Dienstag, 19. März 2024

Archiv

EU-Maßnahmen gegen Fake News
Wird aus Selbstkontrolle bald Gesetz?

Die EU will Facebook und Co. einen Verhaltenskodex auferlegen - der soll dabei helfen, gegen Fake-Accounts vorzugehen und die Sichtbarkeit von Desinformation verringern. Vorerst soll der Kodex selbstverpflichtend sein, ein Gesetz könnte folgen. Das könnte der freie Meinungsäußerung im Netz schaden.

von Thomas Otto | 26.04.2018
    Europafahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission, Berlaymont Gebäude, Brüssel.
    Die EU-Kommission in Brüssel hat Maßnahmen gegen Online-Desinformation angekündigt (imago stock&people)
    Es ist der gleiche Ansatz, wie ihn die Kommission schon beim Thema Hassrede im Netz gewählt hat: Mit einem Verhaltenskodex sollen große Plattformen wie Facebook oder Twitter dazu gebracht werden, gegen sogenannte Desinformation vorzugehen, so Digitalkommissarin Marija Gabriel:
    "Die Kommission gibt den Plattformen und Netzwerken die Chance, das Problem selbst zu lösen. Wir wollen, dass sie sich bis Juli auf einen Verhaltenskodex gegen Desinformation verständigen."
    Unabhängigen Faktenprüfern und Wissenschaftlern soll es leichter gemacht werden, Falschinformationen aufzudecken und das Phänomen zu untersuchen. Der Kodex soll nicht nur die Plattformen stärker in die Pflicht nehmen. Er soll auch für mehr Transparenz sorgen und den Nutzern helfen, Desinformationen als solche zu erkennen, betonte Sicherheitskommissar Julian King:
    "Der neue Verhaltenskodex soll die Plattformen in die Pflicht nehmen und Werbung transparenter machen. Er soll helfen gegen Bots und Fake-Accounts vorzugehen, die Sichtbarkeit von Desinformationen verringern und vertrauenswürdige Inhalte hervorheben. Und er soll Nutzern helfen zu verstehen, warum ihnen bestimmte Inhalte angezeigt werden, indem die Funktion der dahinterliegenden Algorithmen erklärt wird."
    Bis Juli soll Verhaltenskodex stehen
    Fehlende Rückverfolgbarkeit und Rechenschaftspflicht machten es leicht, Desinformationskampagnen zu starten, so King. Die Kommission wolle deshalb prüfen, inwiefern freiwillige Identifikationssysteme eingeführt werden könnten. Dabei habe man laut King auch IP-Informationen und den Umstieg auf das moderne IPv6-System im Blick, mit dem sich jedes Gerät genau einem Anschluss zuordnen lässt.
    Grundlage für die Vorschläge der Kommission ist unter anderem der Bericht einer Expertenrunde vom März. Darin hatten 39 Wissenschaftler, Plattformvertreter und Medienexperten empfohlen, zunächst überhaupt einmal zu definieren, was unter Desinformation zu verstehen sei. Sicherheitskommissar King versuchte sich heute daran:
    Nachweislich falsche und irreführende Informationen, die erstellt und veröffentlicht werden, aus wirtschaftlichen Gründen oder um die Öffentlichkeit absichtlich in die Irre zu führen. Texte, bei denen die Grenze zwischen Fakten und Meinung verschwimmt, seien damit explizit nicht gemeint, so King.
    Bis Juli haben Plattformbetreiber und Werbewirtschaft nun Zeit, einen freiwilligen Verhaltenskodex nach den Vorgaben der Kommission aufzustellen. Die knappe Frist kommt nicht von ungefähr, betonte Digitalkommissarin Marija Gabriel:
    Bürgerrechtler sehen freie Meinungsäußerung gefährdet
    "Es gibt keine Zeit zu verlieren mit Blick auf die Europawahlen 2019. Wir müssen besonders wachsam sein und unsere Anstrengungen verdoppeln, um gegen Desinformationsstrategien vorzugehen, die auf Wahlen abzielen." Der Fokus der Kommission liegt dabei auf Versuchen aus dem Ausland, Wahlen in der EU zu beeinflussen.
    Bis Oktober soll der Verhaltenskodex umgesetzt sein. Im Dezember will die Kommission überprüfen, ob die Selbstverpflichtung funktioniert oder sie doch einen Gesetzesvorschlag vorlegen will. Wie der aussehen könnte, ist noch offen. Ein heute von der Bürgerrechtsorganisation EDRI geleakter Brief von Sicherheitskommissar King an Digitalkommissarin Gabriel zeigt allerdings dessen Skepsis gegenüber einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Darin heißt es mit Blick auf den Datenskandal um Cambridge Analytica:
    "Selbstregulierung hat sich bei solchen Problemen als unzureichend erwiesen. Ein bindender Ansatz sollte hier gewählt werden, besonders um Plattformen zu zwingen: die Identität derer offenzulegen, die Anzeigen schalten – besonders während eines Wahlkampfes, Werbung klar zu kennzeichnen und den Einsatz von personenbezogenen Daten für politische Zwecke weiter zu begrenzen."
    EDRI kritisiert das Vorgehen der Kommission und wirft Sicherheitskommissar King vor, die freie Meinungsäußerung im Netz zu gefährden. Die Bürgerrechtler fürchten Identitätsprüfungen und automatisierte Filter, die als missliebig eingestufte Inhalte herausfiltern. Im heute von der Kommission veröffentlichten Papier ist die Rede davon, dass künftig auch künstliche Intelligenz eingesetzt werden könnte, um Desinformationen aufzudecken.