Kuratorin Juan Xu

Weltenwandlerin im Auftrag der Kunst

Moderation: Katrin Heise · 22.10.2020
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Kurz vor Beginn der Kulturrevolution in China geboren, wollte Juan Xu schon als Jugendliche vor allem eines: weit weg. Erst viele Jahre später in Deutschland entdeckte die Kuratorin China wieder für sich – über die zeitgenössische Kunst.
Den "Hang zum Feminismus" hat Juan Xu von ihrer Großmutter. Wenn auch nur indirekt.
Schon als Kind weiß Juan Xu: "Ich will auf keinen Fall ihr Leben wiederholen." Denn ihre Großmutter führt ein Leben in Abhängigkeit: Geboren Anfang des 20. Jahrhunderts in China, mit 17 verheiratet, mit 20 verwitwet, danach von männlichen Verwandten "geduldet".

"Ich hatte immer Fernweh"

Für sich selbst wünscht sich Juan Xu etwas Anderes, "ich wollte etwas Besonderes erleben". 1964, kurz vor Beginn der chinesischen Kulturrevolution in eine bürgerliche Familie geboren, erlebt sie in ihrer Kindheit und Jugend die erschütternden Folgen dieser politischen Kampagne. Juan Xu wächst bei ihrer kranken und unglücklichen Großmutter auf, ihre Eltern arbeiten in anderen Städten.
Sie habe "keine wirklich schöne Kindheit gehabt", erinnert sich die Kuratorin. Doch Anfang der 1980er-Jahre gehört die junge Chinesin dann zu jenem ersten Jahrgang, der nach der Schule sofort auf die Universität darf, ohne vorher zur Arbeit aufs Land geschickt zu werden. Sie beginnt zu studieren, engagiert sich in der Studentenbewegung und arbeitet als Touristenführerin für deutsche Reisegruppen: "Ich hatte immer Fernweh."
Von Konfuzianismus und Kommunismus wendet sie sich ab. Bei einem Aufenthalt in Australien erkennt Juan Xu allerdings, wie sehr sie in ihrem Herkunftsland verwurzelt ist. "Ich habe in China gedacht, ich wäre nicht so chinesisch", sagt die Kunstvermittlerin: "Als ich in Australien war, habe ich festgestellt: Ich bin so chinesisch. Ich habe die Sprache vermisst, das Essen. Ich konnte die viele Sonne nicht vertragen. Ich hatte Sehnsucht nach Regen, nach Gedicht und Poesie."

Ein neuer Blick auf die eigene Herkunft

Ihrem Fernweh tut diese Erfahrung aber keinen Abbruch. Obwohl sie mit Deutschland lange Zeit nicht viel mehr verbindet als Beethoven und das Bild, das sie aus den russischen Kriegsfilmen ihrer Jugend kennt, entscheidet sie sich erst für die deutsche Sprache und dann für das Land. In Tübingen setzt sie ihr Germanistikstudium fort und findet Jahre später in der "Fluxus-Stadt Wiesbaden", in der sie mittlerweile lebt, einen neuen Zugang zu China: über die zeitgenössische Kunst.
Seitdem vermittelt Juan Xu Ausstellungen zwischen beiden Ländern, arbeitet als deutsch-chinesische Kuratorin und Kunstkritikerin. Zurzeit kuratiert sie die Internetausstellung "Sharing Crisis".

Chinesische Kunst gegen "das Chinesische"

"Contemporary Art ist der chinesischen Gesellschaft eigentlich sehr fremd, von der Idee und vom Konzept", sagt die Wiesbadenerin. Gleichzeitig sei die zeitgenössische Kunst in China viel politischer als die deutsche, so ihre Einschätzung: "Die Contemporary Art in China ist aus China, aber gegen das Chinesische."
Vielleicht muss sie das auch sein. Denn Zensur ist für Künstlerinnen und Künstler in China Alltagsgeschäft. Das hat auch Juan Xu schon am eigenen Leib erfahren. 2012 wurden bei einer Ausstellung ihres feministischen Künstlerinnen-Kollektivs "Bald Girls" unliebsame Bilder abgehängt. Seitdem habe sich die Lage im Land noch einmal verschärft, berichtet sie. Damals seien vor allem politische Symbole ein Problem gewesen, während andere Themen geduldet wurden: "Jetzt ist alles tabu."
(era)
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