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Referendum in Irakisch-Kurdistan
"Ja" zum eigenen Staat?

Mehr als fünf Millionen Wähler sollen in einem Referendum entscheiden: Spalten sich die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak vom Rest des Landes ab? Während einige die Entscheidung für längst überfällig halten, ist sie für andere verfassungswidrig. Die USA und die EU wollen keine weiteren Spannungen in der Region.

Von Björn Blaschke | 25.09.2017
    Anwohner von Irakisch-Kurdistan in einem Wahlbüro in der Hauptstadt Erbil.
    Wird die autonome Region Irakisch-Kurdistan bald unabhängig? Viele Menschen in der Hauptstadt Erbil hoffen das. (Sputnik/dpa)
    "Ja zum Referendum und ja zur Unabhängigkeit" – überall in Irakisch-Kurdistan prangt dieser Spruch. Und der Präsident der autonomen Region im Norden des Irak trat in den zurückliegenden Tagen ungewöhnlich häufig öffentlich auf. Zuletzt warb Massoud Barzani vergangenen Freitag im Stadion von Erbil vor zehntausenden Menschen für die Volksabstimmung, die heute stattfindet.
    Die Zustimmung die Barzani in Irakisch-Kurdistan genießt, wirkt groß. Auch Nureddin will mit "Ja" zur Unabhängigkeit stimmen. Kaum erstaunlich; der Mitzwanziger verkauft im Bazar von Erbil typische kurdische Pluderhosen und Turban-Kopftücher; Nureddin ist Kurde bis ins Mark:
    40 Jahre Kampf um die Unabhängigkeit
    "Ja, ich stimme dafür. Wir haben auf diesen Tag sehr lange gewartet und es ist unser Recht, das uns bisher niemand zugestanden hat. Es hätte schon vor Jahrzehnten "Ja" zu Kurdistan heißen müssen. Seit vierzig Jahren kämpfen wir für unsere Unabhängigkeit. Jedes Volk der Welt hat seine Unabhängigkeit, warum sollten wir sie nicht haben?"
    Dem stimmt Shuwan Saabr Mustapha prinzipiell zu – und bezieht sich dabei auf die UN-Charta, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker – also auch des kurdischen Volkes - festschreibt. Dennoch hat Shuwan in letzter Zeit in heißen Diskusionen Freunde und Bekannte versucht, davon zu überzeugen, dass das Referendum jetzt nicht stattfinden sollte. Er hält es für verfassungswidrig. Und Shuwan sollte es wissen; er ist Richter:
    "Die irakische Verfassung besagt, dass Provinzen das Recht haben, ein Referendum abzuhalten, wenn es um ihre Autonomie geht innerhalb des Staates. Aber die Verfassung sieht nicht vor, dass Provinzen aus dem Irak herausbrechen."
    Das auch sagt die zentralirakische Regierung in Bagdad; sie hält das Referendum für illegal. Dennoch: Der Präsident von Irakisch-Kurdistan hält an dem Referendum fest; die Zeit dafür sei gekommen.
    Volksabstimmung hat viele Gegner
    Die USA, die meisten EU-Staaten und der UN-Sicherheitsrat lehnen die Volksabstimmung ab! In Zeiten, in denen der IS im Irak noch nicht endgültig geschlagen ist, dürften keine neuen Spannungen provoziert werden. Darüber hinaus drohten die Regierungen der irakischen Nachbarn in Ankara und Teheran, wenn die Kurden an der Volksabstimmung festhielten, werde das seinen Preis haben. Der Grund für diese Position: In der Türkei und im Iran leben ebenfalls große kurdische Minderheiten – und deren Freiheitswillen könnte ein unabhängiges Irakisch-Kurdistan beflügeln.
    Nureddin, den Bazar-Händler in der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan, beeindrucken die vielen Gegner des Referendums kaum. Er meint, dass sie die Kurden eher zusammenschweißen.
    "Heute sind wir alle geeint – Kurden und alle andern Volksgruppen in Irakisch-Kurdistan. Wir bekommen unser Recht. Unsere Gegner stehen nicht erst seit heute gegen uns. Die Führungen in der Türkei, im Iran, in Syrien, in Bagdad waren immer gegen uns. Wir werden gewinnen."