Kunstprojekt "Manifesto" von Julian Rosefeldt

Wenn ein Filmstar Künstler-Manifeste verkörpert

Die Schauspielerin Cate Blanchett
Für ihre Rolle im Film "Carol" wurde die Australierin Cate Blanchett 2016 für den Oscar nominiert © picture alliance / dpa / Frédéric Dugit
Von Simone Reber · 09.02.2016
Die Schauspielerin Cate Blanchett war schon in sehr unterschiedlichen Rollen zu sehen. In Julian Rosefeldts Filminstallation "Manifesto", zu sehen im Berliner Museum Hamburger Bahnhof, trägt sie nun 13 programmatische Texte in Form poetischer Monologe vor.
"Mankind is passing through the most profound crisis in his history."
Langsam nähert sich die Kamera von oben einer grauen Wüste aus Beton und Geröll. Zwischen den Gerippen aufgelassener Industrieanlagen zieht eine einsame Gestalt ihren Wagen den Berg hinauf. Alte Autoreifen kokeln vor sich hin, auf einem Stein hockt ein Pavian. Julian Rosefeldts Videoinstallation "Manifesto" beginnt mit der Prophezeiung vom Untergang des Kapitalismus, wie sie die Anhänger des amerikanischen Schriftstellers und Kommunisten John Reed in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts formulierten.
"The present crisis has stripped capitalism naked."
"Der John Reed Club of New York, die Autoren sind unbekannt, hat einen Text veröffentlicht, der liest sich wie eine Zustandsbeschreibung von heute, ist aber von 1930, also der beschreibt genau die Krise unserer Zeit: ‚Künstler sind Weise, Seher und man sollte ihnen mehr zuhören.'"
Rosefeldts Zusammenarbeit mit Cate Blanchett entsprang einer zufälligen Begegnung
Die einzigartige Zusammenarbeit mit Cate Blanchett ergab sich aus einer zufälligen Begegnung. Eigens für die Schauspielerin verdichtete Julian Rosefeldt die Manifeste von Künstlern, Architekten und Filmemachern zu verschiedenen Rollen.
"Dieser Aufschrei nach Identitätsfindung, der nicht nur die Kunst ändern will und das Leben, die Welt gleich mit, ist schon mal toll. Aber darüber hinaus war es für mich die große Entdeckung, dass es auch ein introvertierter Dialog ist. Das heißt, es geht auch immer um Selbstfindung. Und deshalb so laut herausgebrüllt und so testosteronschwanger. Weil die eben in einer Lebensphase geschrieben wurden, wo man diese Vehemenz braucht, um sich überhaupt hörbar zu machen."
Die Manifeste dokumentieren den Kampf der Söhne gegen die Väter. Immer wieder prognostiziert die jüngere Generation das Ende ihrer Vorgänger. Das älteste Künstlermanifest stammt von den Futuristen aus dem Jahr 1909. Cate Blanchett rezitiert es im Schneiderkostüm einer smarten Börsenmaklerin.
"Shit to Montaigne, Wagner, Beethoven, and Baudelaire. Look at us. We are not exhausted yet. Our hearts feel no weariness. But they feed on fire on hatred and on speed."
"Diese Technik und Geschwindigkeitsbegeisterung übersetzt sich in ein Bild vom Börsenhandel, in dem Geschwindigkeit bis zum Extremen ins Unsichtbare getrieben wird und es trotzdem alle betrifft, so wie damals eben auch die großen technischen Neuerungen alle betrafen, aber noch nicht so ganz fassbar waren und die Futuristen aus dieser Euphorie heraus ihre Kunst produziert haben."
Blanchett überzeugt durch Wandlungsfähigkeit und Spiellust
Die Wandlungsfähigkeit und die Spiellust von Cate Blanchett locken die Besucher von einer Leinwand zur nächsten. Mal lallt die Schauspielerin als tätowierte Punkerin einen Text von Naum Gabo. Mal verliest sie mit dem Wimpernklimpern einer Nachrichtensprecherin, das Konzept der amerikanischen Künstlerin Sturtevant, die behauptet, dass alle Kunst eine Fälschung sei.
"Good evening ladies and gentlemen, all current art is fake."
In einer Szene spielt die ganze Familie von Cate Blanchett mit, ihr Mann, der Theaterregisseur Andrew Upton und ihre drei Söhne. In biederer Schluppenbluse betet die Mutter vor dem Essen das PopArt-Manifest von Claes Oldenburg.
"I am for an art, that comes out of a chimney like black hair and scatters in the sky."
"Das ist ja ein Familienlunch, ein Sonntagslunch in einer sehr konservativen amerikanischen Südstaatenfamilie. Ich habe kurz schon darüber nachgedacht, wie sich das übersetzen ließ. Und fand dann eigentlich den Gedanken viel spannender, den atmosphärischen Teppich zu beschreiben, gegen den sich Pop gewendet hat, mit alle seiner Drastik in der Formen- und Bildsprache."
"Manifesto" schöpft aus dem Reichtum des Films, ohne die Regeln des Kinos zu befolgen
Ausgeklügelte Kamerafahrten, die aus der Vogelperspektive in das Geschehen hineintauchen, ziehen die Zuschauer in den Bann der Bilder. Die elegant konzipierten nahtlosen Loops lassen Endlosschleifen entstehen. In "Manifesto" schöpft Julian Rosefeldt aus dem Reichtum des Films, verweigert sich aber den Regeln des Kinos.
"Das Kino lebt uns nun besonders stark Emotionswelten vor, aber immer formatiert auf diese 90 Minuten. Da gibt es aber viel mehr zu entdecken und mich interessiert das. Ich arbeite also mit den Mitteln des Kinos, aber bewusst nicht im Kino sondern im Kunstkontext, weil ich da die größere Freiheit habe, all das auszuprobieren, was ich gerne ausprobieren möchte, und da gibt es noch wahnsinnig viel zu entdecken."
Die Leidenschaft der Schauspielerin, die Unbedingtheit des Regisseurs, die Radikalität der Texte elektrisieren das Publikum mit ihrer kompromisslosen Aufbruchsstimmung. Nur einen einzigen Moment auf dem Stuhl zu sitzen, heißt es einmal, bedeutet Lebensgefahr.
"To sit in a chair for a single moment is to risk one's life."
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