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Exotischer Teilchen-Vierling
Chinesische Forscher finden Hinweise auf das Tetraquark

Physik. - Bislang hatte man den Eindruck, die Grundlagenforschung in China fristet ein Schattendasein. Doch das Riesenreich bemüht sich seit Jahren um Anschluss in der Spitzenforschung. Inzwischen sind Erfolge sichtbar: Teilchenphysiker konnten bemerkenswerte Messdaten über ein neues, ziemlich seltsames Teilchen präsentieren – eine Art Vierling.

Von Frank Grotelüschen | 04.07.2014
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    Blick in den Kontrollraum des chinesischen Beschleunigers IHEP. (Frank Grotelüschen)
    "Das ist Deng Xiaoping. Er war es, der diesen Beschleuniger bewilligt hat."
    In einem Vorort von Peking steht der Physiker Xiaobin Ji vor dem Eingang zu seinem Institut und blickt auf ein kunstvoll gerahmtes Porträtfoto. Es zeigt den einstigen chinesischen Staatsführer Deng Xiaoping. Dieser hatte in der 80er-Jahren das Land nicht nur geöffnet, sondern auch die Grundlagenforschung gefördert – insbesondere jenen Teilchenbeschleuniger, vor dessen Eingangstür Ji nun steht.
    "Beijing electron-positron collider. This is our machine."
    Der Pekinger Elektronen-Positronen-Collider, ein Beschleunigerring mit einem Umfang von 240 Metern. Er schießt Elektronen frontal auf ihre Antiteilchen, die Positronen. An der Stelle, wo die Teilchen kollidieren, steht ein sensorgespickter Klotz, zehn Meter hoch und 650 Tonnen schwer. Es ist der Teilchendetektor BES-III. Er beobachtet, was bei den Kollisionen passiert.
    "Das ist die Tür zur Detektorhalle. Im Moment ist sie geschlossen, denn der Beschleuniger läuft gerade. Wenn wir etwas reparieren wollen, müssen wir ihn stoppen und eine halbe Stunde warten, bis Strahlung abgeklungen ist. Erst dann können wir durch diese Tür in die Halle und den Detektor reparieren."
    Bei den Kollisionen entstehen laufend neue, exotische Teilchen. Sie zählen zur Klasse der Hadronen. Das sind Teilchen, die ausschließlich aus Quarks zusammengesetzt sind, den Urbausteinen der Materie, sagt Xiaoyan Shen, Sprecherin von BES-III.
    "Hadronen bestehen normalerweise entweder aus zwei oder aus drei Quarks. Aus drei Quarks sind beispielsweise Protonen und Neutronen zusammengesetzt, die Bausteine der Atomkerne. Theoretisch aber könnte es auch andere Kombinationen geben – Teilchen etwa, die aus vier Quarks bestehen. Bislang aber waren solche Teilchen noch nie in einem Experiment beobachtet worden."
    Tetraquark, so nennen die Fachleute den Quark-Vierling. Die Physiker aus Peking glauben nun, dem Sonderling dicht auf den Fersen zu sein.
    Xiaoyan Shen: "Wir haben hier ein paar ungewöhnliche Teilchen erzeugt und genau unter die Lupe genommen. Dabei stellte sich heraus, dass sie wahrscheinlich aus vier Quarks zusammengesetzt sind. Also vielversprechende Kandidaten für das Tetraquark."
    Noch ist unklar, ob diese neuen Teilchen tatsächlich aus vier Quarks bestehen oder aber aus zwei Quark-Pärchen. Doch da auch an Beschleunigern in Japan und am CERN entsprechende Indizien gefunden wurden, sind die Chinesen optimistisch, auf der richtigen Fährte zu sein. In der Fachwelt jedenfalls sorgten die Resultate aus Peking für Aufsehen – wie auch andere Resultate der chinesischen Teilchenforschung. So hatte vor zwei Jahren ein Detektor namens Daya Bay eine bestimmte Eigenschaft des Neutrinos präzise vermessen – und war zu dem überraschenden Schluss gekommen, dass Neutrinos für die Entstehung des Universums eine viel größere Rolle spielen könnten als gedacht. Die Erfolge kommen nicht von ungefähr. Auf der Jagd nach Renommee und Nobelpreisen steckt China schon seit einiger Zeit immer mehr Geld in die Physik, sagt Hesheng Chen, ehemaliger Direktor des Teilchenforschungszentrums IHEP.
    "Als ich 1998 Direktor des Instituts wurde, lag der Jahresetat bei umgerechnet knapp zehn Millionen Euro. Als ich Ende 2011 aufhörte, hatte der Etat eine Größe von 120 Millionen Euro erreicht. Also ein Steigerung um mehr als das Zehnfache!"
    Und auch für die Zukunft schmieden Chinas Teilchenjäger schon Pläne – höchst ehrgeizige Pläne.
    Hesheng Chen: "Es gibt den Vorschlag, in China einen Riesenbeschleuniger zu bauen – einen Ring mit 80 Kilometern Umfang. Er wäre dreimal so groß wie der LHC in Genf. Damit ließe sich das Higgs-Teilchen viel genauer studieren. Und vielleicht könnte wir sogar neue Teilchen finden, bislang unentdeckte Teilchen."
    Ein Projekt, das – falls es realisiert wird – China endgültig an die Spitze der Teilchenphysik katapultieren wird.