Kunsthistoriker Walter Grasskamp

Warum Museumskonzepte eine Frischzellenkur brauchen

Blick in die Frank-Stella-Retrospektive, die von September 2012 bis Januar 2013 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen war.
Sind Kunstmuseen tatsächlich eine "Fehlkonstruktion", wie der Autor Walter Grasskamp in seinem Buch behauptet? © picture alliance / dpa
Von Eva Hepper · 21.04.2016
Als "erfolgreiche Fehlkonstruktion" bezeichnet der Kunsthistoriker Walter Grasskamp das Kunstmuseum im Titel seines Buches. Was macht den emeritierten Professor so zornig? Hat er bessere Ideen für die Ausstellung von Kunst? Ein Patentrezept jedenfalls nicht - dafür aber eine äußerst amüsante Schreibe.
Ist die Institution Kunstmuseum noch zeitgemäß? Soll das Museum noch den Aufgaben des Sammelns, Bewahrens, Erforschens und Ausstellens gerecht werden, die am Ende des 18. Jahrhunderts definiert wurden? Vermag es seinem Bildungsauftrag noch nachzukommen in Zeiten der Digitalisierung und neuer Sehgewohnheiten? Ist seine Förderung mit öffentlichen Mitteln angesichts knapper Kassen noch zu rechtfertigen?
Und: Darf ein Museum die gesammelten Werke wieder veräußern? Es sind provokante, Tabus streifende Fragen, die Walter Grasskamp in seinem neuen Buch stellt.

Umfassende Bestandsaufnahme

In "Das "Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion" unternimmt der renommierte Kunstwissenschaftler eine umfassende Bestandsaufnahme: Er verfolgt die großen Diskurslinien zum Wohl und Wehe der Institution, die sich in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Publikationen und Symposien niedergeschlagen haben, und fühlt ihr den Puls – und zwar, wie er schreibt, unvoreingenommen und unabhängig, "lobbyfrei".
Bereits im ersten Kapitel skizziert Grasskamp das Museum als ein widersprüchliches und paradoxes Konstrukt. Es erwerbe seine Stücke "auf ewig", müsse mit nicht einspielbaren Folgekosten fertig werde – Versicherung, Lagerung, Klimatisierung, Bewachung, Konservierung, Restaurierung und Präsentation – sei strukturell unterfinanziert, könne Fehleinkäufe und Wertewandel nicht kompensieren und würde unaufhaltsam wachsen.

Werke verdrängen sich gegenseitig

Zudem verdrängten sich die Werke gegenseitig ins Depot, die immer größer und vermeintlich bedeutender werdende Gegenwartskunst pflüge das Gestern unter. Und ohne Blockbuster-Ausstellungen sei kein (Museums-)Staat zu machen. Die aber stünden den Kernaufgaben der Institution entgegen. Ergo: Das Museum ist eine Fehlkonstruktion.
Der emeritierte Kunsthistoriker der Münchener Akademie dekliniert seine Thesen mit Hilfe prominenter Beispiele durch. Die Tücken von Finanzierungsmodellen wie dem Public Private Partnership im Museum Kunstpalast Düsseldorf kommen ebenso vor wie die Problematik der Haltbarkeit von moderner Kunst – Dieter Roths Schokoladenskulpturen oder Joseph Beuys' Fettwerke – mit ihren Herausforderungen für Restauratoren oder der gar nicht so neue Tabubruch des Bestandsverkaufs.

Und die Zukunft?

Wie sieht die Zukunft des Museums aus? Darauf gibt der Autor keine explizite Antwort. Das muss er auch nicht. Allein die Diskussion der Problematik ist instruktiv, und Anregungen finden sich viele: Warum nicht die Restauratoren in Fragen des Ankaufs einbeziehen? Warum "extrem Unstabiles", das fraglos seine Berechtigung habe, ankaufen? Warum nicht neu nachdenken über den Umgang mit privaten Danaer-Schenkungen, die die Häuser auf Jahre aller Handlungsspielräume berauben?
Man wünscht sich das Buch in die Hände aller Beteiligten. Zumal Walter Grasskamp nicht nur bekannte Probleme brillant analysiert, sondern auch sehr vergnüglich zu lesen ist. So pointiert, bildreich und witzig schreibt kein Zweiter der Zunft.

Walter Grasskamp, "Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion"
C.H. Beck, München 2016
187 Seiten, 18 Euro

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