Aus den Feuilletons

Durch den Meinungsstrom

04:10 Minuten
Aus der Unterwasser-Perspektive sieht man einen Profischwimmer beim Kraulen.
Immer weiter schwimmen - die Meinungsfreiheit sorgt dafür, dass wir immer wieder auch mit unangenehmen Meinungen konfrontiert sind. © dpa/ Sebastian Gollnow
Von Ulrike Timm · 25.09.2020
Audio herunterladen
Manchmal möchte man einfach nur abtauchen. Andere Meinungen nicht hören zu wollen, scheint tief menschlich zu sein, schreibt die "Süddeutsche Zeitung". Sich Zug für Zug mit Meinung und Gegenmeinung auseinanderzusetzen, könnte zum Ausdauersport werden.
Gehen wir gleich in die Vollen und suchen nach dem "Standort in der Welt". Wo und wie findet man den? Der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG geht es um die Meinungsbildung, und auch um den journalistischen Kommentar. "Braucht es überhaupt Meinungsjournalismus, wenn Meinungen wie Heu in der Öffentlichkeit vorhanden sind? Jeder Mensch kann heute ja nicht nur eine haben, sondern sie relativ ungestört im Kanal seiner Wahl veröffentlichen. Daraus werden dann im schlimmsten Fall sogenannte 'Shitstorms', die es bisweilen wiederum selbst zur Nachricht bringen."

Meinungen hören und ertragen

Meredith Haaf verweist aber in der SZ beharrlich darauf, dass sich eine Meinung bilden mehr bedeutet als rumposaunen und posten, dass sehr viel Zuhören und Ertragen unterschiedlicher Positionen dazugehört, dass ein Prozess des Abwägens nötig ist. Kopf also statt allein der Bauch. "Der Wunsch, vor der Meinung der anderen seine Ruhe haben zu wollen, sitzt offenbar tief im Menschen. Die Meinungsfreiheit wiederum beinhaltet die Gesetzmäßigkeit, dass es zu jeder Meinung eine Gegenmeinung gibt. Meinungen zu haben und zu hören ist eine Art Ausdauersport", lesen wir in der SZ.

"Weiter so, Deutschland"

Ein Beispiel dafür gibt Timothy Garton Ash im Gespräch mit dem SPIEGEL, wenn er erzählt, wieviel gegenteilige Anschauungen sich die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher von ihren Beratern anhören musste und angehört hat, als es 1990 um die Verhandlungen zur Deutschen Einheit ging. Die eiserne Lady tendierte klar zum "No" – und ließ sich überzeugen.
"Auf dem Aktienmarkt der Geschichte weiß man nie, was passiert" resümiert der britische Historiker vergnügt im Gespräch mit dem SPIEGEL. Er bewertet die Entwicklung des Vereinigten Deutschlands in Europa so positiv, wie es wohl nur ein Außenstehender, ein Brite tun kann.
"Spontan würde ich sagen: Weiter so, Deutschland", so Timothy Garton Ash, "Weiter mit der Kontinuität im Guten. Aber darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass die Deutschen ihre Führungsrolle in Europa strategischer angingen, sich größere Ziele setzten. Und dass sie verstehen, dass solche Ziele nur zu erreichen sind in einer Zusammenarbeit aller, aber wirklich aller Demokratien, also mit klassischen Ländern des Westens wie Großbritannien und den USA, aber auch weit über den klassischen transatlantischen Westen hinaus," lesen wir im SPIEGEL.
Nun, mit den USA und Großbritannien ist das aktuell, gelinde gesagt, etwas schwierig, aber da spricht eben der Historiker von hoher Warte. Und gibt den Deutschen dann gleich, in Anlehnung an den früheren Bundeskanzler Willy Brandt, diesen Zuruf mit: "Mehr Strategie wagen."

Farbenlehre gegen Diskriminierungsverdacht

Die FAZ klinkt sich ein in die Diskussion um ein seltsames Papier des Berliner Senats, der seine Beamten zur "Diversitätssensibilität" anhalten will und folglich Begriffe wie "schwarz fahren" und "anschwärzen" unter Diskriminierungsverdacht stellt. "Man könnte sich glatt schwarzärgern, liefe man nicht Gefahr, rassistische Denkstrukturen fortzuschreiben", meint Hannah Bethke und führt an, dass sich das "Schwarzfahren" sprachgeschichtlich auf das "Schwarze der Nacht, den Schmuggel, illegale Aktivitäten" bezöge und keineswegs auf die Hautfarbe. Eine kleine Farbenlehre schiebt sie in der FAZ noch hinterher.
"Gelb vor Neid? Erinnert allzu sehr an koloniale Praxis, Asiaten als 'gelb' einzustufen. Die Rote Karte zeigen? Man denke an die Hexenverbrennung. Weiß wie Schnee? Markiert die vielbeschworene Überlegenheit der weißen Rasse. So zeigt die kolorierte Hypermoral der Senatsverwaltung vor allem eines: wie man sich selbst handlungsunfähig macht. Den Opfern des Rassismus ist damit am wenigsten geholfen."
Gönnen wir uns zum Wochenende noch eine kleine ungetrübte Portion Optimismus und schließen mit einer Überschrift aus der Neuen Zürcher Zeitung, dort heißt es: "Das Glück liegt immer vor uns".
Mehr zum Thema