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Fact-Checking
Fakten richtigstellen - klappt das eigentlich?

Spätestens seit der Brexit-Abstimmung und den letzten US-Wahlen sind Falschnachrichten als Problem erkannt worden. Sind sie eine Bedrohung für die Demokratie? Als Gegenmaßnahme sehen sich Faktencheck-Initiativen. Doch was können diese Internetportale tatsächlich bewirken?

Von Vera Linß | 15.08.2017
    Das Correctiv Logo in Berlin
    Unter den ersten Fakten-Checkern: Correctiv. (Britta Pedersen/dpa)
    Gut eine Handvoll Fact-Checking-Portale gibt es im deutschsprachigen Internet. Die bekanntesten: hoaxmap.org und mimikama.at. Seit 2016 überprüft Hoaxmap Gerüchte, die über Flüchtlinge und Asylsuchende kursieren; Mimikama klärt seit 2011 über Lügen im Netz auf.
    ARD-Faktenfinder: Hohe Zugriffszahlen
    Neben diesen privaten Initiativen kümmern sich auch die Öffentlich-Rechtlichen um Falschmeldungen. Etwa seit April dieses Jahres der ARD-Faktenfinder. Die Resonanz ist groß, sagt Redaktionsleiter Patrick Gensing:
    "Was man jetzt schon sagen kann, ist, dass das Interesse immens ist. Wir haben hohe Zugriffszahlen. Wir haben viele Anfragen von Kollegen, wir haben viele Anfragen von Wissenschaftlern, von Studenten, von Parteien. Wir merken, dass das Thema offenbar sehr viele Menschen bewegt und beschäftigt."
    Mehr als 5,6 Millionen Mal wurde die Seite allein im Juli aufgerufen. Ob - wie ganz aktuell - umstrittene Behauptungen zum Dieselskandal, Gerüchte über Flüchtlinge oder der Streit um die Impfpflicht: zweifelhafte Aussagen, die viele Menschen erreichen und oft geteilt werden, kommen in den ARD-Faktencheck. Patrick Gensing:
    "Es ist so, dass wir uns zuletzt auch gerade um Großereignisse gekümmert haben. Also wir stellen fest in Zeiten von G20 beispielsweise, da florieren die Falschnachrichten. Da fressen sich wirklich die wildesten Gerüchte durchs Internet. Das ist auch zu beobachten bei Anschlägen, also London beispielsweise. Das sind auch Anlässe, bei denen sehr, sehr schnell sich Falschmeldungen verbreiten im Internet."
    Recherchezentrum Correctiv: Schnell reagieren ist wichtig
    Dies bestätigt auch Karolin Schwarz vom stiftungsfinanzierten Recherchezentrum Correctiv. Seit Anfang Juni veröffentlichen die Fact-Checker von correctiv ihre Recherchen unter dem Label "echtjetzt". Auch für Facebook analysiert das vierköpfige Team Nachrichten.
    Ihre Erfahrung: Je schneller man reagiert, desto mehr Leute lassen sich mit Richtigstellungen erreichen. Kursiert eine Falschmeldung hingegen lange im Netz, ist sie nur noch schwer einzufangen. Manchmal helfe es auch nur noch, Posts wieder zu löschen, um deren Verbreitung zu stoppen. Jüngstes Beispiel: Ein falscher Fahndungsaufruf, der während des G20-Gipfels zur Jagd auf mutmaßliche Gewalttäter aufrief.
    Schwarz: "Da hat die Polizei mehrfach vehement dementiert, dass es diesen Fahndungsaufruf gab. Der Artikel hat sich trotzdem 150.000-mal auf Facebook geteilt. Bevor dieses Bild, das da geteilt wurde, nicht offline genommen wurde, war da keine Chance, noch mit irgendwelchen Statements vorzugehen. Das ist aber ein Extrembeispiel. Also es gibt durchaus Möglichkeiten, Dinge noch mal einzufangen, Menschen zu erreichen mit einer nüchternen Betrachtung des Ganzen."
    Wissenschaftliche Forschung noch am Anfang
    Wie genau Anti-Fake-News-Berichte wirken, versucht derzeit die Wissenschaft herauszufinden. Zwar steht die Forschung noch am Anfang, erste Erkenntnisse gibt es aber bereits, weiß die Journalistin Ingrid Brodnig, die sich seit Jahren mit digitaler Debattenkultur befasst. Brodnig berichtet von einer Studie der École d’Économie de Paris, in der während des französischen Wahlkampfs untersucht wurde, wie die Richtigstellung einer Falschnachricht das Denken von Menschen beeinflusst.
    "Da haben sich Forscher falsche Behauptungen von Marine Le Pen angesehen. Zum Beispiel hat Marine Le Pen behauptet, 99 Prozent der Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen seien, seien Männer, und Bilder würden das beweisen. Wenn man sich aber die Zahlen des UNHCR anschaut, dann sind die ganz anders. Dann ist ein großer Teil der Flüchtenden Kinder und auch Frauen. Und wenn dann Menschen, die zuerst die Falschmeldung von Le Pen gelesen haben, auch die Richtigstellung der offiziellen Einrichtung der UN gelesen haben, dann wurde dem mehr geglaubt."
    Auch Patrick Gensing von den ARD-Faktenfindern kann von positiven Erfahrungen berichten:
    "Wir konnten einige Falschmeldungen tatsächlich einfangen, also sowas wie die AfD, die ankündigt, sie zieht vors Bundesverfassungsgericht, um möglicherweise gegen die Ehe für alle zu klagen. Da konnte man sehr schnell feststellen, die AfD ist gar nicht antragsberechtigt in diesem Fall vor dem Bundesverfassungsgericht. Und diese Meldung hat sich dann öfter in den Netzwerken geteilt als die Ankündigung der AfD, die in großen Medien erschienen ist."
    Dennoch bleiben Fragen offen. Etwa, wen die Fakten-Checker genau mit ihrer Arbeit erreichen und ob die Aufklärung über Fake News nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln - etwa bei Wahlen - beeinflusst.