Kunstaktion zum Gedenken an Walter Lübcke

Wölfe gegen Hass und Gewalt

05:53 Minuten
Der Brandenburger Künstler Rainer Opolka steht zwischen seinen Wolfsfiguren auf dem Königsplatz in Kassel.
"Der Wolf ist die Selbstzuschreibung der Neonazis": Bildhauer Rainer Opolka mit seinem Werk in Kassel. © picture alliance / dpa / Göran Gehlen
Von Ludger Fittkau · 16.07.2019
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An der Stelle, an der bis vor Kurzem noch der d14-Obelisk von Olu Oguibe stand, hat sich ein Wolfsrudel niedergelassen. Eine Kunstaktion des Bildhauers Rainer Opolka zum Gedenken an den mutmaßlich von einem Rechtsradikalen getöteten Walter Lübcke.
"Ich trauere hier um Walter Lübcke und ich protestiere gegen Hass und Gewalt".
Der Bildhauer Rainer Opolka hat acht überlebensgroße Bronze-Wölfe auf dem zentralen Kasseler Königsplatz aufgestellt. Die Tiere strecken sich zumeist auf zwei Beinen den Vorbeigehenden entgegen – einige flößen als Mischwesen aus Wölfen und Menschen Furcht ein, manche der gruselig-aggressiven Figuren tragen Waffen. Rainer Opolka:
"Der Spitzname von Hitler war Wolf. Sein Schäferhund hieß Wolf. Himmler hat die Werwölfe gegründet, Hitler lebte in der Wolfschanze und Goebbels hat eine programmatische Rede gehalten, wir sind die Wölfe und müssen sie zerfleischen. Also der Wolf ist die Selbstzuschreibung der Neonazis und der Nationalsozialisten."

Der Schock ist noch da

Viele Passantinnen und Passanten bleiben bei dem Wolfsrudel auf dem klassischen documenta-Spielort in Kassel stehen, einige sind eigens zu der Straßenaktion gekommen. Der Schock angesichts des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor anderthalb Monaten ist manchen noch deutlich anzumerken.
"Ich kenne Herrn Lübcke auch persönlich, von daher ist schon ein Anliegen. Man kann es nicht begreifen."
"Nein, das kann man nicht begreifen, das ist richtig. Aber man muss dagegen was unternehmen, man darf die gar nicht erst groß werden lassen."
"Und ich glaube, die Menschen, die das mitgemacht haben, die Zeit damals, müssen einen Hass haben auf die..."
Die Stimme der Frau erstickt in Trauer um Walter Lübcke und in Wut auf die Täter, die nach allem, was man Stand heute weiß, wohl aus der seit langem etablierten rechtsradikalen Szene Nordhessens kommen. Eine Szene, die aus Sicht vieler Kasslerinnen und Kasseler auch stärker in den NSU-Mord an Halit Yozgat im Jahr 2006 verstrickt war als bisher bekannt wurde.
"Wir hatten schon das Gefühl, dass das so ein bisschen nachlässig behandelt wurde und das viele Fragen offen waren."

Wer anders denkt, wird gemobbt

Die nordhessischen Rechtsextremen versuchen auch heute, etwa im Fußballstadion Nachwuchs bei Jugendlichen zu rekrutieren. Dabei haben sie immer wieder Erfolge. Die Kunstlehrerin Rosemarie Henninghausen erzählt am Rande der Wolfs-Kunstaktion, dass sie selbst einmal in einem Dorf in einer ländlichen Region südöstlich von Kassel von rechtsextrem denkenden Schülern gemobbt worden ist.
"Ich habe einen Kunstkurs gegeben und habe dann halt auch ein bisschen über Kunst im Dritten Reich gearbeitet und dann kam: 'Hitler hat so tolle Bilder gemalt' und solche Sachen. Und weil ich das dann nicht so mitgetragen habe, haben die mich gemobbt."
Mobbing gibt es in Kassel auch schon seit längerem gegen weltoffene Kunst. Eine kleine Gruppe der inzwischen als verfassungsfeindlich eingestuften rechtsextremen "Identitären Bewegung" startete während der letzten documenta 14 im Jahr 2017 zwei Protestaktionen gegen die Flüchtlingspolitik. Und: Die AfD im Kasseler Standparlament machte solange Stimmung gegen den d14-Obelisken von Olu Oguibe, bis der vom zentralen Königsplatz verschwand. Genau von der Stelle übrigens, auf der heute die Wölfe aufgebaut wurden.
Obelisk von dem aus Nigeria stammenden US-Künstler Olu Oguibe in Kassel auf der documenta 2017. In dem Kunstwerk ist auf den vier Seiten des Jesus-Zitat "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt" in Deutsch, Türkisch, Englisch und Arabisch eingraviert.
Der Obelisk von dem aus Nigeria stammenden US-Künstler Olu Oguibe verschwand nach Protesten vom Kasseler Königsplatz. © imago stock&people
Daran erinnert eine Kasselerin, die ungenannt bleiben will: "Was ich ja eben hier auch in Kassel erlebt habe, dieser Obelisk, der stand ja hier. Und da sah man eben auch viele Flüchtlinge, die sich drum rum gesetzt haben. Das war ja auch in den entsprechenden Sprachen. Und ich habe gedacht, das ist genau richtig für diese Stadt. Und dann hat man ja auch in der Zeitung gelesen, dass die AfD-Leute so lange gehetzt haben. Die wollten den Obelisken ja ganz weg haben. Das Kassel keine Willkommensstadt ist, und da meine ich, dass man da auch durch Worte schon vieles zerstören kann."

Noch mehr Opfer rechtsextremistischer Gewalt

Ein Geschichtslehrer, der sich das Wolfsrudel auf dem Königsplatz genau anschaut, vermisst einen inhaltlichen Aspekt auf den Transparenten, die der Bildhauer Rainer Opolka rund um die Bronze-Statuen platziert hat:
"Ich finde die Ausstellung sehr wichtig, auch mit dem Bezug auf Walter Lübcke und auch auf die Bundeskanzlerin, die ja auch immer unter Polizeischutz steht. Der Mord an Walter Lübcke ist der wichtige Mord. Aber es sind auch viele Menschen vorher in den letzten 30 Jahren zu Tode gekommen, durch rechtsextremistische Gewalt. Über 200. Und da müsste man auch Bezug nehmen, das ist wichtig. Das fehlt mir bei der Ausstellung."

Die nächste documenta naht

Im September wird das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa in Kassel in die konkrete Vorbereitungsphase für die documenta 15 starten. Bei der Kunstaktion des Bildhauers Rainer Opolka war die Erwartungshaltung zu spüren, dass Ruangrupa sich mit dem Lübcke-Mord auseinandersetzen sollte.
"Ich glaube, das werden die machen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die sich informieren."
"Ich weiß es nicht, ob es deren Thema ist. Könnten sie, aber müssen sie auch nicht."
"Vorbei kommen die nicht da dran. Das haben sie mit zu berücksichtigen."
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