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Wassergewinnung
Von Käfern und Kakteen lernen

Wasser ist in vielen Gegenden der Welt Mangelware. Forscher und Ingenieure suchen deshalb nach neuen Möglichkeiten, Wasser möglichst effizient zu gewinnen. Dabei lassen sie sich von Naturphänomenen inspirieren - Käfer, Kaktus und Kannenpflanze zeigen, wie es funktioniert.

Von Frank Grotelüschen | 25.02.2016
    Goldkugelkakteen (Echinocactus grusonii), auch umgangssprachlich Schwiegermuttersitz genannt. Aufgenommen im Botanischen Garten in Bonn.
    Kakteen müssen mit wenig Wasser auskommen und haben deshalb einen raffinierten Transportmechanismus entwickelt. (picture alliance / dpa / Wolfgang Moucha )
    Nur selten ist es so feucht, dass das Wasser von der Decke tropft. Ganz im Gegenteil: Es gibt Gegenden in der Welt, wo Wasser Mangelware ist – insbesondere in Wüsten.
    "Bei Hitze und Trockenheit verdunstet jeder Wassertropfen, bevor man ihn aufsammeln kann. Deshalb haben wir nach einem Material gesucht, an dem Wasser gut kondensiert und das die Wassertropfen dann rasch abtransportiert, etwa in einen Sammelbehälter."
    Schon seit langem befasst sich Joanna Aizenberg mit der Bionik, also dem Übertragen von Naturphänomenen auf die Technik. Bei der Frage, wie man Wasser möglichst effektiv kondensieren kann, hat sich die Harvard-Forscherin nun sogar in dreifacher Hinsicht von Mutter Natur inspirieren lassen. Trick Nr. 1 stammt von einem Wüstenbewohner.
    "Der Namib-Wüstenkäfer. Seine Flügel sind mit millimetergroßen Noppen übersät, auf denen Wassertröpfchen kondensieren können. Wie das genau funktioniert, meint Aizenbergs Team nun herausgefunden zu haben."
    "Es hat nichts mit der chemischen Beschaffenheit der Flügel zu tun. Stattdessen ist es die besondere Form der Noppen. Ihre Spitzen sind so geformt, dass sich auf ihnen Wassertröpfchen bilden und schnell zu größeren Tropfen wachsen können."
    Indem der Käfer sein Hinterteil hochreckt, lässt er die Tropfen in Richtung Kopf fließen – und kann sie trinken. Die Noppen des Käfers künstlich herzustellen, war für die Forscher kein Problem. Das gelang zum Beispiel mit Aluminium. Doch wie kann man die Tropfen dazu bringen, möglichst schnell abzufließen? Auch dafür finden sich in der Natur ausgewiesene Experten.
    Stacheln mit raffiniertem Transportmechanismus
    Die Stacheln vom Kaktus. Kakteen müssen mit wenig Wasser auskommen und haben deshalb einen raffinierten Transportmechanismus entwickelt.
    "Ein Kaktusstachel besitzt eine konische Form. Am Ansatz ist er breit, zum Ende hin wird er dünner und spitzer. Diese Form kann sogenannten Kapillarkräfte hervorrufen, und diese Kräfte treiben einen Wassertropfen von der Stachelspitze hin zum Kaktusstamm. Diesen Trick haben wir uns zunutze gemacht."
    Allerdings haben die Forscher ihre Alunoppen nicht etwa mit künstlichen Stacheln überzogen. Stattdessen veränderten sie die Form der Noppen so, dass sie ein wenig konisch wurde. Unterm Mikroskop ähneln die Noppen nun kleinen Rutschen, die die Tropfen alle in dieselbe Richtung lenken. Doch damit gab sich Aizenberg noch nicht zufrieden – und bediente sich ein drittes Mal bei Mutter Natur. Diesmal das Vorbild:
    Die fleischfressende Kannenpflanze. Sie fängt ihre Opfer, meist Ameisen, mit einem fiesen Trick: Und zwar sind Teile der Pflanze mit einem glitschigen Ölfilm überzogen, auf dem die Ameisen ausrutschen und in den Kelch purzeln – und das war’s dann. Das mit dem Ölfilm klappt auch bei dem noppenbesetzten Aluminium, und zwar indem es die Materialforscher mit einer porösen Nanostruktur beschichten.
    "Die Nanoporen können Öl speichern, und dieses Öl bildet dann einen Schmierfilm aus, auf dem die Wassertropfen rutschen können. Das beschleunigt den Tröpfchentransport um mehrere Größenordnungen."
    Material könnte zur Wassergewinnung genutzt werden
    Zusammengefasst: Die Noppen Marke Wüstenkäfer lassen das Wasser aus der Luft zu Tropfen kondensieren. Der Kaktus-Mechanismus transportiert die Tropfen ab. Und der Schmierfilm nach Art der fleischfressenden Kannenpflanze sorgt dafür, dass dieser Transport nahezu reibungslos läuft. Einsetzen könnte man das Material eines Tages zur Wassergewinnung in der Wüste, hofft Joanna Aizenberg. Und:
    "Die meisten Kraftwerke nutzen Wärmetauscher, an denen heißer Dampf auf einer kalten Oberfläche kondensiert. Heute benötigt man dafür große Temperaturunterschiede, und das kostet Energie. Mit unserem Material müsste man die Kondensationsflächen nicht mehr so stark abkühlen, und das Kraftwerk würde effizienter."
    Eine Firma, sagt Aizenberg, hat schon Interesse signalisiert, das Käfer-Kaktus-Kannenpflanzen-Material zu einem Patent weiterzuentwickeln.