Kunst zum Mitnehmen in Paris

Ist das Ramsch oder kann das in die Tüte?!

Die Ausstellung "Take me (I'm Yours)" in der Monnaie de Paris
Die Ausstellung "Take me (I'm Yours)" in der Monnaie de Paris, unter anderem mit dem Künstler Christian Boltanski. © picture alliance / dpa / Foto: © Maxppp / Annie Viannet
Von Kathrin Hondl · 16.09.2015
Ein T-Shirt hier und eine Jeans dort: Die Zuschauer dürfen sich bedienen in der Ausstellung "Take me (I’m Yours)", die in Paris gezeigt wird. Präsentiert wird die Schau von 44 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, allen voran Christian Boltanski.
Schon in der Metro machen Plakate deutlich, worum es in der Monnaie de Paris geht: "Take me (I’m Yours)" steht da auf schwarzem Grund zu lesen. Wie bei Kleinanzeigen von Babysittern, Putzhilfen oder Nachhilfelehrern im Supermarkt sind am unteren Rand auf Abreisszetteln die Namen internationaler Künstlerinnen und Künstler zu lesen: Gilbert & George oder Carsten Höller, Yoko Ono oder Roman Ondak und natürlich Christian Boltanski, der die Ausstellung zusammen mit Hans Ulrich Obrist kuratiert hat.
"Es geht einfach hier um ein Give and Take, es geht um entweder ein Take-away oder um einen Austausch. Das ist die Spielregel. Und dann definiert jeder Künstler und jede Künstlerin ganz anders, wie die damit umgehen."
"Christian Boltanski – Take me I’m Yours" steht auf den großen braunen Papiertüten, die sich jeder und jede am Eingang der Ausstellung nehmen darf. Um sie zu füllen. Zum Beispiel mit Kleidungsstücken, die Boltanski in einem der prachtvoll dekorierten Salons aus dem 18. Jahrhundert aufgehäuft hat. Die polnische Künstlerin Angelika Markul hat sich gerade bedient. "Ich habe mir ein Halstuch genommen", sagt sie.
Tragen will sie es aber nicht. Alles, was sie in der Ausstellung gefunden hat, bleibt in der Tüte, die sie als Kunstwerk aufhängen will.
"Take me (I’m Yours)" ist die Neuauflage einer Ausstellung, die Obrist und Boltanski vor 20 Jahren organisierten, 1995 in der Londoner Serpentine Gallery. Auch dort präsentierte Boltanski schon Kleiderberge zum Mitnehmen.
"Die Leute waren damals total verrückt danach, gute Klamotten zu finden. Die zerwühlten rasend schnell die Haufen, um die richtige Größe zu suchen. Und die Tüten haben sie hinterher bestimmt weggeworfen. Hier aber, denke ich, werden die Leute die Tüte mit den Klamotten aufbewahren und sich sagen, dass sie da ein Werk von mir besitzen."
Ansichtskarten von Hans Peter Feldmann
Genauso einfach kommt man an Souvenirs der Werke von Gilbert & George oder Hans Peter Feldmann. Anstecker mit Gilbert & George-Botschaften wie "God save the Queen" oder "Ban Religion" zum Beispiel: Davon liegen Hunderte in Kisten zum Mitnehmen bereit. Und Hans Peter Feldmann hat einen ganzen Raum mit Pariser Ansichtskarten dekoriert, auf einem Podest stehen Dutzende kleiner Eiffeltürme, wie sie auch überall in Paris zu kaufen sind. Die aktuelle Dominanz des Kunstmarktes und das omnipräsente Interesse an den horrenden Preisen, die dort gezahlt werden, führten dazu, dass die Mitnehm-Kunst mehr als vor 20 Jahren in London Fetischcharakter hat, meint Christian Boltanski.
"Das ist wie beim Wasser aus Lourdes. Das kommt aus dem Wasserhahn. In einer Flasche aber, auf der ´Lourdes` geschrieben steht, wird es sehr kostbar. Feldmanns Postkarten finden sie auch in der Stadt, aber in einem Umschlag mit der Aufschrift ´Take me I’m Yours` werden sie wertvoll. Kunst hat heute eine quasi religiöse Funktion, die mit der Idee von Reliquien zu tun hat."
Und doch geht es in der Monnaie de Paris nicht nur um die altbekannte Kritik am Fetisch Kunst und dem Markt. Die meisten Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung sind sowieso auch mit hochpreisigen Arbeiten auf internationalen Kunstmessen und Auktionen vertreten. "Take me (I’m Yours)" ist vor allem ein großes, sehr reizvolles und unterhaltsames Spiel, das das Verhältnis zwischen Kunst und Publikum oder – wie es Dada oder Fluxus-Künstler früher nannten – "Kunst und Leben" schwungvoll herausfordert.
Ein Halstuch für Handschuhe
Bei "Swap", einer Performance des slowakischen Künstlers Roman Ondak, lädt mich eine junge Frau ein, an einem Tisch Platz zu nehmen. Zwischen uns liegt ein Paar dunkelgrüner Handschuhe – ein Tauschangebot. Ich lege mein Halstuch auf den Tisch und bekomme dafür die Handschuhe, die eine Besucherin vor mir dort gelassen hat.
Als ich nach der Tauschperformance wieder aufstehe, frage ich mich, in welche Tasche die Handschuhe nun gehören: In meine Handtasche, wo auch mein eingetauschter Schal war – oder in Boltanskis Papiertüte für die Take-Aways der Ausstellung? Ist das Kunst oder ein Paar Handschuhe für den Alltagsgebrauch? Oder beides zusammen? Es ist wie mit Hans Peter Feldmanns Paris-Postkarten, über die Hans Ulrich Obrist sagt.
"Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass gewisse Leute diese Postkarten dann verschicken an ihre Freunde, für andere ist es eine Feldmann-Reliquie, für andere ein Souvenir. Und ich glaube, dass es diese multiplen Codes gibt ist interessant. Und dass jeder für sich entscheidet, wie man eben mit dem Material umgeht. Weil es ja diese Tasche gibt, die Boltanski gezeichnet hat und die der Besucher, die Besucherin hier am Anfang kriegt für die Ausstellung, wird es zu einer Art portablen Ausstellung, ähnlich wie bei Duchamp, das portable Museum. Und man kann sich vorstellen, dass in ein paar Tagen oder Wochen in Tausenden, wenn nicht Zehntausenden Pariser Haushalten diese Ausstellung ist. Dass es eben in ganz verschieden unerwartete Zusammenhänge gehen kann – diese Idee auch von Kunst und Leben, dass Kunst eben auftauchen kann, wo man es am wenigsten erwartet."


Die Ausstellung "Take me (I'm Yours)" ist bis zum 8. November in der Monnaie de Paris zu sehen.