Kunst

Widerstreitende Gefühle

Aufnahme vom 11.09.2014 während einer Pressekonferenz in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu seiner Ausstellung "Moshe Gershuni. No Father No Mother". Sie wird vom 13.09. bis zum 31.12.2014 gezeigt und ist die erste umfassende Einzelausstellung des bekannten israelischen Künstlers in Europa.
Der israelische Künstler Moshe Gershuni © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Alice Lanzke  · 26.09.2014
Moshe Gershuni ist einer der wichtigsten israelischen Künstler, doch hierzulande kaum bekannt. Er gilt gleichzeitig als Avantgarde-Held und als Enfant terrible. Seine Bilder, die um den Holocaust und Religion kreisen, malt er mit Einsatz des ganzen Körpers.
Davidsterne, arabische Halbmonde und islamische Zeichen führen einen wilden Tanz der Symbole auf: ein scheinbar chaotisches Nebeneinander, das mit seinen expressiven Farben gleichzeitig verzweifelt und ausgelassen wirkt. "Jerusalemer Nächte" von Moshe Gershuni ist ein Bild der Gegensätze – und die Verkörperung der zentralen Themen des israelischen Künstlers, dessen Werk um Religion und den Holocaust kreist, um Gott und Zionismus, Zweifel und Hoffnung. Für Gershuni selbst sind Kontraste dabei zentral:
"Ich denke, dass jede gute Kunst auf konfliktvollen Gefühlen beruht. So wie man auch im Leben immer widerstreitende Gefühle hat: Auf der einen Seite erlebt man viel Leid, doch auf der anderen Seite will man glücklich sein."
"Ein Schrei, dieses Werk"
Die Ausstellung "No Father No Mother" in der Neuen Nationalgalerie ist eine Entdeckung: Obschon Gershuni mit seinen 78 Jahren als Altmeister der israelischen Kunstszene gilt, ist er in Europa nur wenigen ein Begriff. Auch Udo Kittelmann, Direktor der Neuen Nationalgalerie, der Gershunis Werk in Tel Aviv begegnete und nach Berlin holte, erinnert sich gut an seine erste Reaktion:
"Es war mir relativ schnell klar: Ein ganz junger Künstler ist das nicht. Dafür liegt einfach schon viel zu viel Klagen in diesem Werk begraben. Es ist ein Schrei, dieses Werk. Es ist ein Hilferuf und es zeugt von einem Denken, was schon eine lange Biografie mit sich bringt und vor allen Dingen eine Biografie im Land Israel."
Gershuni ist extra zur Ausstellungseröffnung nach Berlin gekommen – keine einfache Reise für den von Parkinson gezeichneten Künstler, der mittlerweile im Rollstuhl sitzt. Schleppend und doch klar betont er, dass er absolut kein religiöser Mensch sei. Und mehr noch: Gott sei die schlimmste Erfindung der Menschheit, so Gershuni wörtlich. Eine Aussage wie ein Paukenschlag – deren Eindringlichkeit sich auch in seinen Bildern wiederfindet. Was er genau damit meint, erklärt der gebürtige Israeli mit einem Gleichnis:
"Wenn zwei Menschen sich um einen Stein streiten und beide sagen: 'Das ist meiner', dann können sie sich einigen, indem sie den Stein in zwei Hälften teilen oder eine andere Lösung finden. Wenn aber einer der beiden sagt: 'Mein Gott hat mir gesagt, dass es mein Stein ist', dann gibt es keinen Kompromiss. Dann ist die einzige Lösung, den anderen zu töten."
Plastische Bilder, voller Emotionen
Moshe Gershuni ist für seine klare Haltung bekannt: 2003 sollte er den renommierten Israel-Preis bekommen. Nachdem er sich weigerte, ihn aus den Händen des damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon entgegen zu nehmen, wurde er ihm wieder entzogen. Das Ergebnis ist eine bis heute ambivalente Rezeption im Heimatland des Künstlers, wie Co-Kurator Ory Dessau beschreibt:
"In der israelischen Kunstgeschichte gilt Moshe Gershuni als Avantgarde-Held. Aber in einem weiteren Kontext ist er das Enfant terrible."
Zum Bild des Enfant Terrible passt auch Gershunis Technik: Nachdem er sich um 1980 nach seiner Teilnahme an der Biennale Venedig von der Konzeptkunst abwandte, wechselte er zur Malerei – auf seine ganz eigene Art und Weise: Papier und später Leinwand legte er horizontal auf den Boden, um die Farbe auf allen Vieren aufzutragen – mit seinem Körper als Werkzeug. Das Ergebnis sind sehr plastische Bilder, voller Emotionen und doch merkwürdig kontrolliert.
Zweifel an jüdischen Traditionen
Die sein Werk bestimmenden Themen jener Zeit bedeuteten einen Tabubruch – in mehrerlei Hinsicht. Denn Gershuni verarbeitete nicht nur seine spät entdeckte Homosexualität, sondern ging auch offensiv mit seinen Zweifeln an jüdischen Traditionen um, wie Co-Kurator Dessau erklärt:
"Man muss beachten, dass das nationale jüdische Projekt die Wiedererfindung des Judentums war – nicht im Kontext der Diaspora oder des Exils, sondern im Kontext des Landes. Daher wurde sich nicht auf das Judentum als Religion bezogen, sondern auf die – wie wir es nennen – hebräische Kultur. Diese ist direkt mit dem Land verbunden und nicht mit der jüdischen Tradition außerhalb Israels."
Viel ließe sich noch über Moshe Gershuni sagen – eindringlicher jedoch erzählen die Bilder von der Gedankenwelt des Künstlers.
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