Kunst und Knochenbühne

Von Stefan Keim · 21.03.2011
Landestheater bringen das Theater dorthin, wo es nur wenige andere Kulturangebote gibt. Sie spielen in Stadthallen, Klassenzimmern und Bürgerhäusern. Zur Eröffnung des Landesbühnentreffens in Detmold ist sogar Bundespräsident Christian Wulff gekommen.
"Bruno wollte Kunst studieren. Natürlich freie Kunst. Die freieste Kunst möglichst. Aber seine Mappe war möglicherweise doch etwas zu frei? Oder naiv. Oder alt."

Ein Menschenleben in knapp zwei Stunden. "Kommt ein Mann zur Welt" ist eine satirisch-zeitgenössische Variante des "Jedermann". Bruno ist ein Außenseiter. Die Mädels, die er gut findet, knutschen immer mit anderen. An der Kunstakademie wird er nicht aufgenommen, das Scheitern scheint unausweichlich. Da landet er als Sänger einen Überraschungshit, "Brunos Lied". Doch der Ruhm währt nicht lang, Bruno wird dick, krank, dement und stirbt.

Das Theaterfestival der Landesbühnen in Detmold startet mit der Premiere eines zeitgenössischen Stückes. Das Publikum bejubelt die Aufführung mit einem Klatschmarsch, der Bundespräsident ist gekommen, lobt vor der Premiere die Arbeit der Landesbühnen, beglückwünscht danach das Ensemble und eilt schnell zum Flughafen, bevor der wegen des Nachtflugverbots geschlossen wird. Ein großer Abend für Detmold, das überregionale Feuilleton hat mal wieder nicht hingeschaut. Weil das Stück von Martin Heckmanns schon vier Jahre alt ist.

"Wenn’s doch gut ist? Wenn’s ihnen doch gefällt? – Es müsste schon auch neu sein. Neu müsst es schon sein, sonst ist das nur Privatkunst. – Neu, Herr Professor, was könnte denn bitte schön neu sein? Tatsächlich wahrhaftig neu?"

Große Uraufführungen gibt es selten an Landesbühnen. Aber sie spielen oft neue Stücke nach, was für die Dramatiker ebenso wichtig ist. Altmodisches Theater mit wackelnden Kulissen findet man nirgendwo mehr. Die Qualität der Landesbühnen ist in den vergangenen zehn Jahren überall gestiegen.

Tajana Reses Inszenierung von "Kommt ein Mann zur Welt" leidet ein bisschen unter den Zwängen der großen Bühne. Riesige, schmale, bewegliche Schränke und Videoprojektionen wirken etwas wuchtig für das filigrane Stück. Sonst wurde es bisher in kleineren Räumen gespielt. Aber das Ensemble um den vielschichtigen Brunodarsteller Daniel F. Kamen springt mit riesiger Spielfreude von Rolle zu Rolle und trifft den tragikomischen Ton dieses konzentrierten Menschenlebens. Ob sich "Kommt ein Mann zur Welt" auch bei den Gastspielorten in Ostwestfalen verkauft? Eine Landesbühne muss Kompromisse machen.

"Sie müssen ihren Spielplan über weite Strecken mit dem Gastspielmarkt abstimmen, mit der Tourneekonkurrenz abstimmen."

Kay Metzger, Intendant des Landestheaters Detmold.

"Sie überlegen sich dreimal, ob sie 'ne Zauberflöte spielen, weil sie zwölfmal angeboten wird von anderen Unternehmen. Das ärgert einen manchmal. Denn auf der einen Seite sind inhaltliche Aspekte, auf der anderen auch ensemblepolitische Aspekte. Man möchte ja Sänger weiterbringen, Schauspieler weiterbringen. Und dann schaut man wieder auf die Landkarte. Ah, die spielen das, die spielen das. Die Gastspielbühne kauft das nicht. Das tut einem manchmal weh."

Das Festival zeigt die Vielfalt der Landesbühnen: In der einen Spielstätte läuft der Boulevardklassiker "Charleys Tante", in der andreren "Die Ermittlung" von Peter Weiss, Dokumentartheater nach den Protokollen der Auschwitz-Prozesse.

"Ich war im Block 11 nur Schließer. Für alles, was im Bunker geschah, war nicht ich sondern der Arrestverwalter verantwortlich. – Sind Häftlinge im Arrestbunker gestorben? – Schon möglich. Aber ich kann mich nicht erinnern."

Die Angeklagten und ihre Verteidiger verdrängen, verschleiern, vertuschen. Die Landesbühne Wilhelmshaven zeigt das Stück bewusst nüchtern. Auf der Bühne stehen Stuhlreihen, die sieben Darsteller sitzen am Anfang mit dem Rücken zum Publikum. Erst später sieht man einige im Profil, nur ganz selten sprechen sie direkt zu den Zuschauern. Eine karge, anstrengende und gerade deshalb intensive Aufführung.

"Wie positioniere ich mich? Und wie möchte ich als Deutscher 2011 zu den Geschehnissen dort mich verhalten?"

Das sind die Fragen, die Regisseurin Eva Lange dem Publikum stellt. Nach der Vorstellung gibt es im Theaterrestaurant eine ungewöhnlich offene und emotionale Publikumsdiskussion. Ein Besucher sagt, er sei zutiefst erschüttert und könne es nicht ausschließen, dass er im Konzentrationslager zu den Tätern gehört hätte. Und die Schauspieler erzählen, wie nahe ihnen die Texte gegangen sind.
Eva Lange erzählt von den Proben:

"Wohin kann ich mit der Wut, die dieses Stück in mir auslöst? Die wollten manchmal diese Form zerstören, die Stühle umhauen. Es ging aber nicht. Sie kamen da nicht raus. Und sie fühlten sich manchmal auch als Schauspieler wie in einem Korsett. Und haben aber immer gesagt, ich weiß, warum das so sein muss. Und trotzdem find ich es unaushaltbar."

Die Heldentat des Festivals wird die Landesbühne Sachsen aus Radebeul vollbringen. Sie zeigt am Freitagabend "Faust" als romantische Oper von Louis Spohr.

"Wir reisen mit einer großen Oper hier an, mit über 120 Mitwirkenden, großes Orchester, großer Chor."

Intendant Christian Schmidt aus Radebeul.

"Und hier mussten wir einfach auf die Kosten schauen. Und da haben wir mit den Ensembles geredet und gesagt, wir fahren nach der Vorstellung wieder zurück nach Radebeul. Das sind ungefähr knapp 500 Kilometer. Das nehmen wir auf uns, weil wir beim Festival mit dieser außergewöhnlichen Oper dabei sein wollen."

Landesbühne, Knochenbühne. Doch über die Beschwernisse des Tourens übers Land, die manchmal technisch unzureichenden oder kleinen Spielstätten, die langen Fahrten im Bus, beschwert sich kaum jemand. Im Gegenteil, Detmolds Intendant Kay Metzger sagt, das fördert den Teamgeist:

"Wenn Sie als Ensemblemitglied immer wieder zwei, drei Stunden im Bus sitzen, um irgendwohin zu fahren und dann später zurück zu fahren, entsteht ja eine ganz andere Gemeinschaft. Die müssen auf Gedeih und Verderb zusammenhalten. Und ich hab immer wieder festgestellt, das ist viel intensiver, viel dichter und näher als an einem normalen Stadttheater, wo man sich bei den Proben trifft, dann vielleicht noch mal in der Kantine und dann war’s das. Das ist hier anders."