Kunst mit Sprengwirkung

Von Regina Kusch · 07.07.2009
15 Tonnen Sprengstoff schickte der österreichische Aktionskünstler André Heller für das "Feuertheater mit der Klangwolke" gen Himmel. Durch das überdimensionale Feuerwerk vor dem Berliner Reichstagsgebäude wollte er einen "Augenblick mit einem Hauch von Ewigkeit" entstehen lassen.
Als der österreichische Multimediakünstler André Heller am 7. Juli 1984 vor dem Berliner Reichstag sein "Feuerwerk mit Klangwolke" zündete, waren schon lange im Vorfeld alle Eintrittskarten ausverkauft. Etwa eine halbe Million Schaulustige, mehr als doppelt so viele wie die Veranstalter geplant hatten, wollten dabei sein, als ein 250-köpfiges Pyrotechnikerteam 15 Tonnen Sprengstoff gen Himmel schickte.

Nach einem ausgeklügelten Plan entflammten die Feuerwerker 30.000 pulvergefüllte Pappröllchen. Zehn große Bilder entstanden nacheinander, zusammengesetzt aus 150 Segmenten. André Heller hatte sich damit einen Kindheitstraum erfüllt.

"Da gab es immer Feuerwerke; dort wo wir auf Sommerfrische waren, am See in Sankt Gilgen am Wolfgangsee. Und die waren immer ganz eindrucksvoll, aber nicht wirklich schön. Und ich hab mir damals schon gedacht, das müsste man noch einmal machen, und was Fantastischeres daraus entwickeln. Kann man nicht damit eine Geschichte erzählen? Kann man das nicht mit einer Musik kombinieren? Kann man nicht die Farben, die Formen aufeinander abstimmen?"

Ein Jahr zuvor hatte Heller bereits in Lissabon mit einem spektakulären Feuerwerk die Entstehungsgeschichte der Menschheit erzählt. In Berlin wollte er nun ein Plädoyer für die Fantasie und gegen den Krieg inszenieren.

Der Künstler hatte die Angst zum offiziellen Gefühl des 20. Jahrhunderts erklärt und das Wort in flammenden Lettern in den Himmel geschrieben. Daraus entwickelte sich ein Kriegsbild, in dem Hunderte von Raketen aufeinander zurasten. Mit Spiegeln präparierte Bäume sollten eine brennende Landschaft symbolisieren. Auf Kanonendonner folgte Bert Brechts Antikriegsgedicht "An meine Landsleute".

"Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen!
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!"

Hellers Feuerzauber vor der historischen Kulisse weckte die unterschiedlichsten Assoziationen: Reichstagsbrand, Krieg oder nationalsozialistische Massenversammlungen. Und natürlich hatte der Eventkünstler den Ort an der Grenze zwischen Ost und West nicht zufällig gewählt. Es sei ein magischer Platz, fand er, mit einem Fluch beladen. Um ihn zu bannen, ließ Heller - in einem flammenden Finale zu Händels Messias - Picassos Friedenstaube in den Himmel aufsteigen.

Ob die Zuschauer alle seine Botschaften entschlüsseln konnten, war ihm dabei nicht so wichtig. Ihm kam es vor allem darauf an, ein Massenpublikum mit einem gigantischen Volksfest zu betören.

"Menschen aus allen Altersklassen, aus allen Gesellschaftsschichten, Arbeiter genauso wie Intellektuelle, Rentner sowie Kinder, Gastarbeiter, viele Menschen kommen aus dem Ausland - über 60000, glaube ich. Die fliegen nach Berlin aus England, aus Japan, aus Amerika, aus Österreich, aus Frankreich. Ich glaube, dass uns da was gelungen ist, wovon viele, viele Jahre alle behauptet haben, das gäbe es gar nicht."

Heller hatte angekündigt, mit seinem Spektakel "Widerstand gegen die Folter der Dummheit" zu leisten, wie er es formulierte.

"Alle diese Menschen sehen ja nicht nur das Feuertheater, sondern die hören klassische Musik. Viele davon werden zum ersten Mal in ihrem Leben klassische Musik hören. Und viele junge Leute, die immer nur gewöhnt sind, Rock- und Popmusik zu hören, werden auf einmal eine Leidenschaft entdecken, für die alten Rockmusiker aus dem 18. und 19. und 17. Jahrhundert."

Auf der anderen Seite der Mauer sperrte die Volkspolizei die Gegend rund um das Brandenburger Tor weiträumig ab. Aus Brandschutzgründen - wie es offiziell hieß.

Nachdem sich die Rauchschwaden verzogen hatten, verkündete André Heller, ein so großes Feuerwerk werde er nie wieder entfachen. Doch schon drei Jahre später inszenierte er ein ähnliches Spektakel auf dem Berliner Flughafen Tempelhof; und Hunderttausende von Zuschauern waren wieder gleichermaßen begeistert.