Kunst, Macht, Bildung

Von Bernhard Doppler · 29.08.2008
Im vergangenen Jahr veranstaltete die Stadt Frankfurt zum ersten Mal ein Festwoche zu Ehren ihres bekanntesten Stadt-Sohnes Johann Wolfgang Goethe. Dieses Jahr wird das Projekt "Goethe ffm" wiederholt. Unter dem Motto "Kunst. Macht. Bildung" finden zahlreiche Podiumsdiskussionen, Lesungen und Theateraufführungen statt.
Zum zweiten Mal wird in Frankfurt am Main im Anschluss an Goethes Geburtstag am 28. August eine Festwoche veranstaltet, die neben dem Schauspiel Frankfurt und dem Freien Deutschen Hochstift mehrere kulturelle Einrichtungen der Stadt einbindet. 2008 wird auch ein weiteres Jubiläum begangen: der 200. Todestag von Goethes Mutter Catharina Elisabeth Goethe. Ihr widmet das Goethe-Museum eine eigene Ausstellung, die der Legendbildung über Catharina Elisabeth, Frau Aja, entgegenarbeitet, die vor allem Bettina von Arnim, aber auch ihr Sohn selbst betrieben haben. Als Prototyp der bodenständigen deutschen Hausfrau taugt Frau Aja wenig; gekocht hat sie zum Beispiel nie, sondern viel mehr ein großes gesellschaftliches Leben gepflegt und viel von Geld verstanden.

Für die Bildung ihres Sohnes war jedoch die Lebensmaxime der Mutter, Erziehung nicht als Beschneiden und Reglementieren, sondern als ein organisches Wachsen-Lassen zu sehen, wichtig. In einer Podiumsgespräch im Schauspielhaus, "Zum Erstaunen bin ich da", ist Goethes Bildungsideal diskutiert und vor allem vom Goethe-Forscher Michael Jäger - eben erschienen sein Buch: Global Player Faust - in äußerst scharfem Kontrast zum Bildungsbegriff in der aktuellen Hochschulreform und in der gegenwärtigen Bildungsdebatte gesehen worden.

"Die Kritik der Moderne ist nichts Reaktionäres, die Kritik ist das Prinzip der Moderne schlechthin, die Moderne muss man nicht gegen Kritik in Schutz nehmen. Das wäre lächerlich. Was ist das Bildungsprinzip Goethes? Es ist unabhängig vom Nützlichkeitsdenken, vom praktischen Denken, vom Utilitarismus. Was wir gerade erleben - und insofern ist es schon sehr wichtig, dass wir uns mit Goethe beschäftigen - ist die totale Auslieferung unseres Bildungssystems an das Nützlichkeitsdenken."

Goethe wäre für die heutige Bildungspolitik das Negativbild eines Studenten: langes, zielloses Herumschnüffeln in verschiedenen Studiengängen, mehrfacher Abbruch, keine richtigen Abschlüsse und kein Interesse - so Friedrich A. Kittler - an mathematischem Denken. Gegenüber solchen sich von Goethe ableitenden Attacken gegenüber der aktuellen Bildungspolitik blieben die Ideen von Michael Conrad, Leiter einer Schule für "Creative Leadership" in Berlin, der in Goethe mit seinem Zuhören-Können und seinen Integrationsbemühungen ein Vorbild für modernes "leadership" sieht, peinlich naiv. Das Einüben kindlicher Benimmregeln als Leadership-Seminar ?

Leider konnte das Schauspiel Frankfurt konnte dieses Jahr mit seinen beiden Goethe-Premieren nicht recht überzeugen. Es schien sich schon ein wenig Abschiedsstimmung in der letzten Saison der Frankfurter Intendanz von Elisabeth Schweeger breit zu machen.

Die Zusammenstellung der Monologe von Peter Hacks "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" und von Samuel Beckett "Das letzte Band" bietet zwei verdienten Schauspielern des Ensembles, Jennifer Minetti als recht resolute Frau von Stein und André Wilms als Krapp - Bernhard Minetti dabei imitierend - große Rollen. Als Gespräche über die Abwesenheit von Geliebten lassen sich die beiden Stücke sicherlich thematisch verbinden, aber hätte man die beiden Monologe der weltanschaulich konträren Autoren nicht noch mehr dramaturgisch verzahnen können?

Die Eröffnungspremiere "Torquato Tasso" wird in der Regie von Urs Troller auf der großen fast leeren Bühne auf einem schiefen Boden durchaus als aktuelles Beziehungsdrama gespielt, aber Goethes Streitgespräche werden doch ziemlich oft weggenuschelt und weggelächelt, während der sehr junge Tasso-Darsteller Bert Tischendorf zu sehr in seinem Freiheitswunsch auf kindlichen Trotz setzt und dabei in seiner Agilität in erster Linie sportlich beeindruckt.
In Erstaunen setzt dennoch Goethe und seine Modernität. Wie er aus einem nichtigen Anlass - die etwas reservierte Zustimmung für eine noch nicht vollendete künstlerische Leistung - ein spannendes Drama schaffen konnte! Wie zynisch scharfsichtig er so früh, um die Begrenztheit individueller Freiheit wusste!

Michael Jäger meinte in der Podiumsdiskussion, Goethes Ideal wäre Urbanität, wäre die Großstadt gewesen, zwar nicht die von Frankfurt, sondern die der Großstadt des 18. Jahrhunderts: Rom. Tatsächlich: Goethe-Festwochen in der urbanen Bankenmetropole Frankfurt können eine sinnvolle Alternative zu den touristischen Pilgerfahrten in die Kleinstadt Weimar sein, wenn man die Aktualität der deutschen Klassik von Zeit zu Zeit überprüfen will. Die nächste Goethe-Festwoche in Frankfurt findet 2010 statt.