Kunst im Keller

Von Klaus Englert · 21.02.2012
Die Architekten Till Schneider und Michael Schumacher haben einen unterirdischen Anbau für das Frankfurter Städel errichtet. Er ist die fünfte und größte Erweiterung in der Geschichte des Museums.
Nach nur zweieinhalb Jahren Bauzeit hat das Frankfurter Städelmuseum einen neuen Erweiterungsbau. Das kann als Rekordzeit gelten, müssen Bauherren doch regelmäßig mit Firmenpleiten, Konstruktionsfehlern, Gerichtsklagen oder wachsenden Kosten rechnen. Martin Engler, Leiter der Abteilung Gegenwartskunst, freut sich, dass die Bauphase ohne Pleiten, Pech und Pannen ablief, aber auch darüber, dass von Frankfurts Mäzenen zahlreiche Spenden für die Erweiterung und die Renovierung des Altbaus eingingen. Dabei handelt es nicht nur um Geldspenden. Insgesamt überließen Frankfurter Bankhäuser für die Neupräsentation der Gegenwartssammlung über 800 Kunstwerke. Engler hat also guten Grund, kurz vor der Einweihung des Neubaus glücklich zu sein:

"Ich bin sehr zufrieden. Was wirklich unwahrscheinlich gut aufgeht, ist die Idee, dass die Sammlungsarchitektur und die reale Ausstellungsarchitektur gleichermaßen Hand in Hand geht."

Martin Engler meint nicht nur den unterirdischen Erweiterungsbau, den die Frankfurter Architekten Schneider und Schumacher entworfen haben. Er denkt auch an das Berliner Büro Kuehn Malvezzi, das die Ausstellungsräume des Altbaus mit kräftigen Farben neu gestaltete und für den Neubau eine kluge Installation entwickelte. Nina Beitzen, Direktorin von Kuehn Malvezzi, ist noch damit beschäftigt, die Einbauten zu testen:

"Es geht ja darum, für jeden Sammlungsbereich eine angemessene Präsentationsform zu finden. Bei der Klassischen Moderne ist es mehr die diagonale Bewegung, der ganze Flügel ist asymmetrisch angelegt, und hier, durch diese Haus-in-Haus-Lösung, ist es eher der dynamische Besucherparcours, der auf die Gegenwartskunst reagiert."

Während der Bauarbeiten war der Raumeindruck der 3000 Quadratmeter großen Halle überwältigend: In der Raummitte wölbt sich das Kuppeldach, und die in der Deckenverschalung eingelassenen 195 Oberlichter leuchteten wie Sterne am Firmament. Jetzt, nach Abschluss der Arbeiten – das muss leider eingewandt werden – ist dieser auratische Eindruck verflogen. Denn es galt, eine pragmatische Ausstellungsarchitektur aufzubauen, um den riesigen Raum sinnvoll bespielen zu können. Die von Kuehn Malvezzi entworfene Lösung kann zwar die ursprüngliche Ausstrahlung nicht wieder zurückbringen. Aber es ist ihnen immerhin gelungen, ein recht originelles "Haus-im-Haus-System" zu entwickeln, das für die Präsentation der Gegenwartskunst ganz unterschiedliche Raumkompartimente anbietet. Das bestätigt auch Martin Engler:

"Was gut aufgeht, ist, dass man eine Architektur hat, die Häuser und Plätze offen aneinanderreiht, ein offenes System von Plätzen und Häusern, die unterschiedliche Erzählungen ermöglichen. Das war unsererseits natürlich der große Wunsch, als wir uns die Sammlung ausgedacht, als wir uns überlegt haben: ‚Was für eine Geschichte erzählen wir eigentlich?’ Dass wir natürlich eine Erzählform wählen wollen, wo wir bewusst einen offenen, diskursiven, dialogischen Vorschlag liefern, der verschiedene Erzählstränge ermöglicht, die parallel laufen, die sich überkreuzen, die auch mal die Richtung wechseln – dass wir die entsprechend offen legen."

Den Architekten Till Schneider und Michael Schumacher, die sich 2007 im Wettbewerb gegen eine starke internationale Konkurrenz durchgesetzt hatten, oblag die Aufgabe, den Altbau komplett zu sanieren und den Erweiterungsbau zu entwerfen. Das verlangte von den beiden Frankfurtern eine sensible Herangehensweise, denn Städel-Schule und -Museum sind heutzutage ein Stilmix aus Klassizismus, robuster Nachkriegsmoderne und neusachlicher Architektur der 90er-Jahre. Zum Glück entschieden sich Schneider und Schumacher nicht für einen weiteren oberirdischen Annex, sondern für eine unterirdische Erweiterung. Till Schneider erläutert:

"Wir haben uns entschieden, dass wir unter die Erde gehen. Als die Entscheidung getroffen war, haben wir uns überlegt: Niemand ist gerne unter der Erde. Wie kann man das so hinkriegen, dass man die Kunst nicht einfach so versteckt und diesen Ort einfach nur versteckt, sondern dass da etwas ist, was sich nach außen ausdrückt’."

Schneider und Schumacher reihen sich ein in den Trend, Erweiterungsbauten einfach unter die Erde zu verlegen. Das hatte vor wenigen Jahren Rafael Moneo mit seinem Madrider Prado-Anbau erfolgreich vorgemacht. Während Moneo oberirdisch eine am Klassizismus orientierte Gartenlandschaft anlegte, wählten die Frankfurter Architekten eine öffentlich begehbare Dachlandschaft, die sie sehr modern interpretierten: Auf dem grünen Karree zwischen Städel-Schule und Museum verbanden sie aufs Glücklichste reine Funktionalität mit bildprägender Ästhetik. Denn der Rasen wölbt sich in der Mitte zu einer leicht ansteigenden Kuppel. Dabei wird der grüne Teppich von 195 kreisrunden Scheiben unterbrochen. Für die Parkbenutzer erlauben diese Gucklöcher einen neugierigen Blick nach innen, den Museumsbesuchern kommen sie vor wie ein bestirnter Himmel. Till Schneider meint, die neue Erweiterung sei – gegenüber den renovierten Räumen des Altbaus – ein Ort der Überraschungen:

"Das Neue zeichnet sich dadurch aus, dass wir dieses große Volumen unterhalb der Erdoberfläche geschaffen haben, aber das nicht einfach so zugedeckelt haben, sondern dem Ort auch ein klares identifizierbares Zentrum gegeben haben – eine ganz eigene Charakteristik gegenüber den Räumen, die sich oben anbieten."