Kunst im Fluss

Von Andreas Robertz · 24.05.2013
Was bleibt nach Hurrikan Sandy? Können wir ohne Handy leben? In dem Projekt "Expo 1: New York" fragen junge New Yorker Künstler nach dem Einfluss von Natur und Technik auf den Menschen und umgekehrt - experimentell und kritisch.
Wie die Rippen eines prähistorischen Dinosauriers stehen die Betonbögen am Rockaway Beach, New York, dicht nebeneinander und trotzen der See. Auf ihnen ruhte vor Hurrikan Sandy die Strandpromenade. Der Sturm markiert gleichzeitig auch die Geburtsstunde der Expo 1: New York, die sich von Anfang an als dringend benötigter Think Tank verstand, einer Ideenwerkstatt, die zwischen ökologischer Katastrophe und technischem Aufbruch eine Antwort auf die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit sucht.

Ein wichtiges Highlight der Expo 1 ist die Gruppenausstellung ProBio, die Künstler und Kurator Josh Kline zusammengestellt hat. In ihr setzen sich eine Vielzahl meist junger New Yorker Künstler mit dem Einfluss neuer Technologien auf unseren Körper und unsere Identität auseinander.

Da untersucht das Online Magazin DIS in seinem Video "Emerging Artist" die Besessenheit zeitgenössischer Kultur nach Körper und Jugend und der gierigen Suche nach dem allerneuesten Trend. Gedreht wie in einem Werbespot sieht man wie drei hochschwangere nackte Bäuche von Frauenhänden gestreichelt werden. Dazu hört man eine warme Stimme, die mit dem ungeborenen Menschen spricht.

Eine andere Arbeit zeigt ein flaches Bassin angefüllt mit Mineralöl und Siliconsand, in dem Smartphones, Kabel und ein sich bewegender Dildo liegen, der wie eine aufgeschreckte Krabbe versucht sich in den Sand zu graben. Auf einem Bildschirm im Sand werden die elektronischen Impulse der Handys in graphische Symbole umgewandelt. "Abax Silura" nennt Ian Cheng seine digitale Ursuppe. Die Arbeit ist anziehend und abstoßend zugleich. Dazu Kurator Josh Kline:

"Wir lieben unser Handy, wir lieben die Technik, nur wohin führt sie uns? Die Ausstellung handelt von diesen Problemen. Wie können wir diese Dinge beeinflussen, dass unser Leben besser wird, anstatt dass wir endlos arbeiten müssen."

Viele der Entwürfe von ProBio sind gewagt und experimentell, komplex und erfrischend unprätentiös. Und hinter der offensichtlichen Ironie lauert oft eine beängstigende Verunsicherung.

"Die Dinge verändern sich und die Arbeiten, die hier ausgestellt sind, blicken auf diesen Übergang. Man kann es fühlen, wenn man das Handy benutzt. Man wird zu jemand anderem. Spätestens wenn die Google Brillen herauskommen, werden wir feststellen, dass etwas Unheimliches passiert. Das Internet wird zu etwas Anderem."

Vergängliche Kunst
Zurück zum eindrücklichen Bild der nackten Betonrippen am Strand von Rockaway Beach. Sie könnten eine Skulptur des Argentiniers Adrian Villar Rojas sein, einem jungen Künstler, der durch seine zum Teil riesigen Lehmskulpturen zum Beispiel im Skulpturenpark des Louvre und auf dem Weinberg in Kassel während der Documenta 13 bekannt geworden ist. Denn er ist, wie er sagt, besessen von der Idee einer großen letzten Katastrophe. Sein postapokalyptisches Amphitheater mit dem poetischen Titel "La Inocencia de los animales" bildet das Highlight und Zentrum eines weiteren wichtigen Modules der Expo 1: der Schule.

"Als Kunststudent hatte ich diese Phantasie, zeitgenössische Kunst ist nicht für die Ewigkeit bestimmt. Ich weiß auch nicht warum. Es ist ein politisches Statement in Bezug auf die Kunstwelt. Es ist so einfach, heutzutage Güter herzustellen. Es ist sehr wichtig für mich, dass diese Werke verschwinden und dann sind sie vergangen."

Adrian Villar Rojas reflektiert in seinen Arbeiten die Möglichkeit einer Welt ohne den Menschen. Sein Lieblingsmaterial ist dabei selber vergänglich: Lehm, ungebrannt, grau, mal rissig, mal glatt. In einem Gespräch mit Chefkurator Klaus Biesenbach spricht er über seine Version von "Dark Optimism", dem zentralen Thema der Expo 1, von einem letzten Kunstwerk vor der Katastrophe, einem letzten Werk, das selber vergehen wird.

Und während er über Zeit-Raum-Repräsentationen in Form von Trichtern, Glocken, Kreisen und Zylindern redet, verändert sich der Raum bereits. Die Stufen, auf denen ein jugendliches und sehr aufmerksames Publikum in großer Zahl Platz genommen hat, bröckeln, neue Risse entstehen und die Zeit vergeht. Das Kunstwerk als lebendiges, sich veränderndes Wesen. Fünf Monate lang werden in diesem Raum Vorträge und Foren mit Wissenschaftlern, Utopisten, Philosophen, Science Fiction Autoren und Künstlern zum Thema Utopie stattfinden. Am Ende wird die künstliche Ruine selber eine sein.

Mit viel Erfolg erweist sich die Expo 1 als Think Tank einer neuen Generation von Künstlern, deren Konzepte Faktoren wie Ökologie, Umweltveränderungen, Biologie und Elektronik kritisch befragen und die Rolle der Kunst als etwas Bleibendes, Statisches, überzeugend in Frage stellen. Niemand weiß, welche Energie von diesen Arbeiten bleiben wird, wenn sie längst vergangen und im unergründlichen Archiv des MoMA verschwunden sind. Auf jeden Fall jede Menge Aufbruchsstimmung und Neugier auf eine neue Generation von Künstlern, die an einem mehr dialogischen Charakter von Kunst interessiert sind.

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