Kunst-Hype in Tel Aviv

Von Natascha Freundel · 27.11.2006
Der internationale Kunstmarkt boomt. Doch Israel gehört noch nicht zu den Ländern, die für ihre Kunst berühmt sind. Das könnte sich bald ändern. Denn zumindest im Lande selbst erlebt die Kunstszene derzeit einen enormen Aufschwung. Trotz Libanonkrieg und großer politischer Ratlosigkeit: Galerie-Ausstellungen sind teilweise schon vor dem Eröffnungstag restlos ausverkauft.
"Ich musste mich daran gewöhnen, dass so viele Menschen zu meiner letzten Ausstellung in Tel Aviv kamen, 60- oder 70.000 Leute - was bedeutet das? Das sind doch keine Massenmedien, aber da war diese massive Reaktion und Aufregung."

Israel feiert und fördert und kauft heimische Kunst seit etwa anderthalb Jahren mehr denn je. Bricht in Tel Aviv das Wochenende an, trifft man sich - ähnlich wie in Berlin - zum Galerie-Rundgang, nach dem Motto: sehen und gesehen werden. Die Gordon Gallery zum Beispiel zeigt goldglänzende, ölig schimmernde große Aluminiumschilder, Holzplatten oder Sperrmüll-Teile des 47-jährigen Ido Bar-El. Der Maler und Leiter der Kunstabteilung an der wichtigsten Kunst- und Designhochschule Israels, Bezalel in Jerusalem, findet seine "Leinwände" auf der Straße. Schon zur Eröffnung vergangenen Donnerstag klebten kleine rote Punkte neben den Arbeiten und signalisierten: dieses Werk ist verkauft. Mehr als die Hälfte der schlichten, mit Öl und Acryl zur Kunst geadelten Industrieabfall-Objekte ging schon zwei Wochen zuvor für 4- 7.000 Dollar über den Ladentisch.

"Seit Mitte der 80er verkaufen wir sehr gut. Aber der Umsatz ging immer in Wellen. Und während einiger Intifada-Jahre war es ja nicht so, dass die Leute kein Geld hatten, das Geld war da, aber sie waren nicht in der Stimmung, Kunst zu kaufen, und das ist sehr wichtig. Man wacht eines schönen Tages auf, möchte eine Galerie sehen, ins Lager der Galerie gehen und etwas kaufen. Aber wenn man den ganzen Tag am Radio sitzen muss, hat man dafür keine Zeit. Als wir uns aus dem Gaza-Streifen zurückzogen und Arafat starb und alles so optimistisch aussah, da begannen die Leute, ihr Geld auszugeben."

Naomi Givon, Chefin der gleichnamigen Tel Aviver Galerie, zeigt derzeit frühe Arbeiten von Moshe Kupferman, der 1926 in Polen geboren wurde und vor drei Jahren starb. In den 1970er Jahren war er der wichtigste Minimalist in Israel und ist auch international bekannt für seine graphit-grauen oder pastellfarbenen Bilder voller Raster, dynamischer Linien: man denkt an Sträflingskleider, Gitter oder Baupläne.

Givon stellt nun einen viel farbenfroheren Kupferman aus, der in den 60er Jahren noch mit großen Farbflächen experimentierte. Schon in der ersten Ausstellungswoche waren die meisten kleinen wie großen Arbeiten zum Preis von 1.500 bis 32.000 Dollar verkauft. Israelische Kunst, so Naomi Givon, sei sehr, sehr günstig im internationalen Preisvergleich. Das betrifft etwa auch die satt und breitflächig mit zementgrauer und zartvioletter Farbe bedeckten Leinwände des 70-jährigen Moshe Gershuni, neben Raffie Lavie der bedeutenste israelische Gegenwartskünstler:

"Im Juni zeigte er großartige, riesige Werke, eine Synthesis würde ich sagen von Marc Rothko bis hin zu Gerhard Richter, etwas ziemlich Unglaubliches, eine enorme Leistung. Und diese Werke kosteten jeweils 50.000 Dollar, was für israelische Verhältnisse eine hübsche Summe ist, aber verglichen mit gleichwertigen Künstlern hätten diese Bilder, wenn man den Markt in New York kennt, für mindestens eine halbe Million Dollar weggehen sollen."

Der internationale Kunst-Hype hat Israel erreicht. Auch wenn nichts vom Optimismus des Gaza-Rückzugs geblieben ist: die Tel Aviver Börse bricht Höhenrekorde, der Dollar fällt, man investiert in Kunst. Die Käufer sind nicht die in den 1990ern so schnell und kurz reich gewordenen High-Tech-Angestellten, es sind wohlhabende und in Sachen Kunst gut informierte Israelis sowie - auch das ist relativ neu hier - Investmentfirmen und Banken. Und gekauft wird alles, was gefällt, auch ganz junge Kunst, auch Fotografie, auch die kleinen, recht gemeinen, auf den ersten Blick wie Spielzeugpuppen anmutenden Skulpturen der immens erfolgreichen, gerade einmal 30-jährigen Zoya Cherkassky. Oder die sich zur klassischen russischen Maltradition bekennenden Alltagsporträts des aus Kasachstan stammenden Michail Rapoport, für die es sogar eine Warteliste gibt.

"Ich hatte diese ständige Zurschaustellung so eines negativen Menschenbildes satt. Ja, ich wollte den Menschen wirklich aus seinem Alltag rausholen, ihn in eine andere Umgebung stellen und noch einmal betrachten."

Oder: die unbedingt menschenleeren Landschaftsaufnahmen von Roi Kuper, dessen jüngste Wasserserie - eine Schule des Sehens - gerade im Tel Aviv Museum ausgestellt ist und dessen Fotos von Armeelagern Zeugen von Kriegsgeschichte sind:

"Als ich klein war, wurde uns immer gesagt: Wir haben die beste Landschaft der Welt. Seht nur, wie wunderschön sie ist! Bis man hinsieht und sich fragt, wovon haben die eigentlich gesprochen? Nein, nichts Besonderes hier. Abgesehen von den Militäranlagen, die sind schön. Sie sind verrückt und gehören da nicht hin, und doch: Man sieht sie und weiß, das ist israelische Landschaft."

Nicht nur erstaunlich vital, auch erstaunlich vielfältig ist israelische Kunst heute. Sie ist keineswegs immer politisch oder immer abstrakt, aber sie oft geladen mit der bis zur Unerträglichkeit starken Energie ihres Landes. Und: sie ist immer enger verbunden mit der arm-aber-sexy-Kunsthauptstadt Berlin.

Jehudit Sasportas, die Israel 2007 auf der Biennale in Venedig präsentieren wird, lebt in Berlin. Zoya Cherkassky arbeitet gerade im Künstlerhaus Bethanien. Sigalit Landau ist eben von ihrer Atelierzeit in den Kunstwerken Berlin zurückgekehrt. Ihre Körper und Landschaft auslotenden Skupturen, Installationen und Videos erzählen von der widersprüchlichen Poesie Israels, in einer ganz internationalen Sprache.