Kunst

Herkules in drei Tagen

Griechenlands Ex-Premierminister Kostas Karamanlis (2.v.r.) im Akropolismuseum in Athen (Archiv)
Griechenlands Ex-Premierminister Kostas Karamanlis (2.v.r.) im Akropolismuseum in Athen (Archiv) © picture alliance / dpa / epa Pantelis Saitas
Von Anne Fromm · 26.04.2014
Anfassen verboten: Wenn es um Kunstobjekte geht, ist das fast immer die Devise. Wissenschaftler der TU Berlin erstellen mithilfe von 3-D-Technologie Repliken, die den sinnlichen Zugang ermöglichen sollen – und gefährdete Objekte retten.
Alltag in der Gipsformerei in Berlin-Charlottenburg: Seit dem frühen 19. Jahrhundert werden hier Gipsabgüsse von Statuen aus Sammlungen aus der ganzen Welt produziert. Dafür schmieren Männer in weißen Latzhosen Gips in große Formen und setzen die trockenen Teile zusammen. Das ist staubig, dauert lange und verlangt filigrane Fingerfertigkeiten.
Ein Stockwerk tiefer arbeiten Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin ebenfalls an Gipsabdrücken – allerdings ganz anders als im herkömmlichen Verfahren.
"Also die Skulpturen werden mit einem Streifenlichtscanner abgetastet. Das ist also ein Fotomessverfahren, wo es möglich ist, Punktwolken zu generieren. Und mit Hilfe dieser Punktwolken ist es möglich, dreidimensionale Modelle virtuell entstehen zu lassen",
sagt Thomas Schelper, der die Werkstatt der Gipsformerei leitet. In vier Berliner Museen scannen die Wissenschaftler der TU verschiedene Exponate. Samuel Jerichow ist einer von ihnen. Auf eine kniehohe Figur des Odysseus hat er schwarze Punkte geklebt, damit der Scanner das Objekt erkennt. Der Scanner selbst besteht aus zwei Digitalkameras und einem Projektor.
"Was ich zuerst mache, ist, ich bewege den Scanner auf den richtigen Abstand, dann drück ich am Computer: bitte Scannen. Dann sendet der Projektor ein Streifenlichtmuster aus, mit kleinen Linien, mittleren Linien und dicken Linien. Und da die auf eine gewölbte Oberfläche treffen, verformen die sich. Die beiden Kameras rechnen diese Verformung direkt in eine Fläche um und zeigen mir die am Rechner."
Dass Jerichow heute gerade den Odysseus scannt, ist kein Zufall. Denn die Gipsformerei hat für die Kooperation mit der TU ganz bestimmte Exponate ausgesucht, sagt Werkstattleiter Thomas Schelper.
Technik soll Kunstwerke retten
"Die Figuren, die die TU hier einscannt, stammen aus dem Berliner Stadtschloss. Es wurde also im Stadtschloss von Schinkel ein Teesalon entworfen für den König. Und in diesem Salon befanden sich 14 Figuren, die sind während des Krieges verloren gegangen, bzw. danach."
Was aber erhalten geblieben ist, sind die Gipsabformungen aus dem 19. Jahrhundert. Nur beginnen die langsam zu bröckeln, deswegen setzt Thomas Schelper große Hoffnung in die 3-D-Scans, um die Kunstwerke zu retten.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gipsformerei mit 3-D-Technologie arbeitet. Auch die Pharaonengattin Teje, die im Ägyptischen Museum in Berlin ausgestellt ist, konnten Schelper und seine Kollegen mit 3-D-Technologie retten.
"Der wurde also vor Kurzem eine Haube zugeordnet. Wir haben also nur diese Haube in diesem Scanverfahren hergestellt. Der Kopf wurde bereits in den 50er-Jahren mit einem herkömmlichen Verfahren abgeformt, sodass wir seit Kurzem dieses Objekt in Gänze zeigen können."
Repliken zum Anfassen für Kinder und Blinde
Konservieren und haltbar machen, das sind nicht die einzigen Vorteile, die die 3-D-Verfahren mit sich bringen. Thomas Schelper glaubt, dass sie auch die Museumspädagogik revolutionieren können.
"Die Museen denken natürlich heutzutage darüber nach, dass die wichtigsten Objekte digital erfasst werden, damit sie den virtuellen Besuchern zugänglich werden. Sicherlich kann man diese 3-D-Objekte digital dann im Internet zeigen, oder man kann sie auch verschicken."
Samuel Jerichow von der TU möchte die Scans nicht nur am Computerbildschirm verarbeiten, er möchte sie auch in 3-D ausdrucken – eben genauso, wie eine richtige Gipsabformung. Das soll ganz bestimmte Museumsbesucher ansprechen.
"Wenn ich ne Figur hab, aus dem 14. Jahrhundert, die kann man ansehen. Aber Kinder wollen ja gern alles anfassen. Und wenn wir eine Replik machen, können Kinder das anfassen. Aber nicht nur Kinder können das anfassen, auch sehbehinderte Leute, die ja sonst nur den Text haben über eine Figur. Aber wenn sie die Figur dann mal in der Hand haben, begreifen sie das Objekt, also im wahrsten Sinne des Wortes."
Ein paar Tage später an der Technischen Uni im Berliner Westen. Samuel Jerichow sitzt vor seinem Rechner. Der Bildschirm zeigt die dreidimensionale Figur des eingescannten Odysseus.
"Wir haben ungefähr 500 Einzelmessungen gemacht von dem Odysseus, und diese 500 Messungen wurden jetzt zu einer Datei zusammengerechnet. Und jetzt hab ich das Problem, dass die Datei noch Löcher hat, und zwar überall da, wo ich nicht scannen konnte. Die muss ich jetzt schließen."
Drei Tage dauert die Herstellung, statt drei Monaten wie bisher
500 Löcher findet das Computerprogramm im Odysseus, sie sind winzigklein und an versteckter Stelle: hinter dem Ohr, in der Tuchfalte oder in der Armbeuge. Die meisten schließt das Programm automatisch. Noch ist der Odysseus aber nicht so weit, gedruckt zu werden. Dafür sind zwei andere Figuren aus der Gipsformerei fertig: Herkules und Kassandra.
Im Druckraum, ein paar Türen weiter, stehen vier 3-D-Drucker, die aussehen wie eine Kommode. Schicht für Schicht legen sie eine Gipsmasse übereinander, sodass eine Figur entsteht. Auf dem Tisch steht der ausgedruckte Herkules: 30 Zentimeter hoch, schneeweiß und hart, wie aus echtem Gips.
"Der Herkules hat acht Stunden gebraucht, um gedruckt zu werden und kostet etwa 400 Euro – aber nur, weil wir das Material gespart haben. Wenn wir den massiv drucken würden, wäre der so 1000, 1500 teuer."
Eine herkömmliche Abformung der Figur hätte etwa drei Monate gedauert. Für die 3-D-Variante haben Jerichow und seine Kollegen drei Tage gebraucht. Trotzdem, sagt Samuel Jerichow, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis 3-D-Technik so ausgereift und günstig ist, dass Museen sie flächendeckend einsetzen können.
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