Kommentar zu Vorwürfen gegen Wedel

Das mulmige Gefühl eines klaffenden Abgrunds

Regisseur Dieter Wedel
Mit schwerwiegenden Anschuldigungen konfrontiert: Dieter Wedel © Swen Pförtner / dpa
Von Antje Allroggen  · 26.01.2018
Was lauert in den Archivräumen des Saarländischen Rundfunks? Warum wurde in der umfassenden Dokumentation der Geschehnisse rund um Wedel eine mutmaßliche Vergewaltigung als Privatangelegenheit klassifiziert? Unsere Kommentatorin Antje Allroggen fragt sich, was uns noch erwartet.
Es ist ein Skandal, wenn man hört, was diese Frauen der Wochenzeitung "Die Zeit" da erzählen. Sie wurden - so sagen sie - öffentlich beschimpft, gedemütigt, erpresst, sexuell belästigt, sogar vergewaltigt.
Der Text hinterlässt das mulmige Gefühl eines klaffenden Abgrunds und führt zunächst in die Archivräume des Saarländischen Rundfunks. Eine Tochterfirma der Anstalt hatte die Serie, in der es in dem besagten Artikel geht, damals produziert. Ausgerechnet in den Kellern dieser Anstalt – die Metapher könnte kaum treffender sein – gammeln seit nun fast vier Jahrzehnten 18 Aktenordner vor sich hin, die bestätigen, was die Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch der Zeit nach so vielen Jahren des Schweigens nun anvertraut hat.

Transparente und gnadenlose Aufklärung versprochen

Ihre Verletzungen waren so schwer, dass sie die Rolle nicht mehr spielen konnte. Das Drehbuch musste umgeschrieben werden, eine neue Schauspielerin übernahm, die Kosten explodierten. Das fiel dann den Bürokraten des SR auf. Ein Revisionsbericht wurde erstellt. Nur dank dieser sorgfältigen Arbeit der Wirtschaftsprüfer – und das allein ist ganz schön zynisch – wurde der Fall Wedel/Gemsch überhaupt so akribisch dokumentiert.
Nach der Veröffentlichung des Zeit-Artikels, der auch ein kritisches Licht auf den Saarländischen Rundfunk wirft, reagierte der Sender gestern prompt: Er habe damals von den Vorwürfen sexueller Übergriffe durch Wedel gewusst und dennoch die Zusammenarbeit fortgesetzt. Sein Intendant Thomas Kleist zeigte sich gestern hörbar betroffen und geschockt über den Fund in seinem Haus. Nun wird nach Zeitzeugen gesucht, eine Taskforce wurde eingerichtet.
Zur Vergewaltigung befindet sich in den Akten ein kurzer Kommentar: Der Streit sei eine persönliche Angelegenheit. Eine bodenlose Unverschämtheit, die auch der Intendant in vielen Interviews sofort kritisierte. Die aktuelle Leitung des Senders scheint also alles richtig zu machen, indem sie eine transparente und gnadenlose Aufklärung verspricht.
Warum, so fragen wir heute, handelte die Anstalt so? Schmückte ein damals äußerst gefragter Dieter Wedel das kleine Saarbrücker Haus so sehr, dass es die Dokumentation über eine Vergewaltigung einfach verschwinden ließ?

Systemische Verkrustungen?

Die Causa Wedel könnte die Spitze eines Eisbergs sein. "Die ARD nimmt die Diskussion um Missbrauchsvorwürfe sehr ernst", sagte ihr Vorsitzender Ulrich Wilhelm. Anfang Februar wollen sich die Intendanten der ARD mit dem Thema befassen.
Der aktuelle Fall wirft ein erschreckendes Licht auf die miserablen Arbeitsbedingungen im Fernsehgeschäft, hat aber noch eine weitaus größere Dimension: Sah oder sieht es in deutschen Schauspielhäusern, Filmakademien oder anderen Institutionen denn ganz anders aus? Und weist auf systemische Verkrustungen, die möglichweise noch immer bestehen. So zumindest wäre zu erklären, warum die Süddeutsche Zeitung auf 30 gestreute Interviewanfragen zum Thema sexuelle Belästigung nur dreieinhalb Rückmeldungen bekam.
Einige kritisieren die Zeit nun dafür, dass sie Wedel keinen Raum in der Geschichte eingeräumt haben, um zu den Vorwürfen Position zu beziehen. Gelegenheit dazu hätte er gehabt. Er sieht sich als Opfer einer Verleumdungskampagne. Die Frauen verstecken sich jedenfalls nicht mehr und finden endlich Gehör.
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