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Kafka-Verfilmung "Der Bau"
Eine Psychose in der Phase ihrer Entstehung

Oscar-Preisträger Jochen Alexander Freydank hat sich eine Verfilmung von Kafkas unvollendetem Werk "Der Bau" gewagt, mit "Tatort"-Schauspieler Axel Prahl in der Hauptrolle. Das ambitionierte Unterfangen scheitert aber - und das nicht nur formal.

Von Rüdiger Suchsland | 04.07.2015
    "Ich habe den Bau eingerichtet, und er scheint wohlgelungen." Mit diesen Worten beginnt "Der Bau", eine Erzählung aus Franz Kafkas Nachlass, deren Schluss verschollen ist. Der Ich-Erzähler dieses monomanischen Monologs ist ein nicht näher umschriebenes "Tier", das sich zunächst sehr zufrieden mit der Anlage seines labyrinthischen Baus gibt, bald aber ins Grübeln gerät: Gibt es nicht hier und da Mängel, ist der Bau nicht am Ende von Grund auf fehlgeplant?
    Jochen Alexander Freydank, der für seinen Kurzfilm "Spielzeugland" 2008 den Oscar gewann, konkretisiert Kafkas rätselhafte Geschichte nun ins Aktuelle, indem er sie in ein sehr gegenwärtiges New Economy-Setting versetzt.
    Die Hauptfigur heißt Franz mit Namen - bestimmt nicht zufällig wie der großartige Autor der Vorlage. Er ist ein Unternehmer, ein Repräsentant der New Economy mit Trenchcoat und Smartphone und hat geschäftlich und privat alles erreicht. Er hat eine Vorzeigefamilie mit hübscher Frau und adretten Kindern. Seine Wohnung wirkt perfekt und gestylt. Dennoch ist dieser, sein "Bau" aus Franz' Sicht niemals vollständig sicher. Das treibt Franz um. Er irrt durch diese skurrile Mischung aus Bungalow und Bunker, versucht seinen Bau gegen alle Einflüsse von draußen perfekt abzusichern. "Das Schönste an meinem Bau ist die Stille.", sagt er sich.
    Seine Angst vor Eindringlingen und Gefahren nimmt immer groteskere paranoide Züge an. Er verliert immer mehr an Realitätssinn, soviel, dass ihn seine Familie irgendwann zu verlassen droht. Zumindest nimmt er sie kaum mehr wahr und wirkt immer mehr abwesend.
    Der Film verlagert sich Stück für Stück in die Innenwelt der Hauptfigur, bis er vollkommen in ihr versinkt. Alles was dieser Franz erlebt, ist vielleicht nur eine Ausgeburt seiner Phantasie. Das Publikum wird Zeuge einer Psychose in der Phase ihrer Entstehung.
    Dies könnte, nach einer tatsächlich bislang unverfilmten Kafka-Erzählung eine spannende Studie über den Zusammenhang von übersteigertem Selbstbewusstsein und paranoider Logik sein. "Hier ist vielleicht die einzige Stelle in meinem Bau, wo ich stundenlang vergebens horchen kann." Und tatsächlich ist Freydanks Gestaltung dieser Reise in die Nacht sehr ambitioniert: Denn dies soll einerseits ein "cooler" Film sein, in seinen beklemmenden Horrorszenarien aus unserer modernen Lebenswelt, und ihrer Sicherheitsbesessenheit. Zugleich will Freydank in Stimmung und Lichtgestaltung die Welt Franz Kafkas heraufbeschwören.
    Dieses schon konzeptionell gewagte Unterfangen scheitert bereits formal: Die expressiven Atmosphären und surrealen Effekte Kafkas lassen sich nicht leicht in zeitgenössische Film-Ästhetik überführen. Zumindest nicht, wenn man wie in diesem Fall in Bildern mehr raunt, als präzise ist. Was übrig bleibt, sind altbekannte Computereffekte, die schwuppdiwupp mal Franz' Familie verschwinden lassen, sie dann wieder hervorzaubern.
    Und Axel Prahl in der Hauptrolle gelingt es nicht, quasi vollkommen auf sich allein gestellt, die spektakuläre "Verwandlung" eines Alltagsmenschen in ein manisch getriebenes Kunstwesen, zu tragen. So misslingt auch das Unterfangen, das Intime der Psychose in Bilder umzusetzen, Das Gefühl der Entfremdung wird hier nie sinnlich fassbar. Freydank flüchtet sich stattdessen in einen ganz eigenen, sehr artifiziellen filmischen Kosmos. Ein Video-Tagebuch dient zum Aufsagen von Kafka-Texten. "Das Schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch. Plötzlich kann sie unterbrochen werden, und alles ist zu Ende. Vorläufig aber ist sie noch da."
    Und so wirkt am Ende alles wie eine Mischung aus einem Schüler-Theater, das sich am Text verhebt und einer Parodie auf den Autor der Vorlage. Aber so rätselhaft fern Kafka auch einem heutigen Publikum sein mag, so ist doch eines klar: Kafka war nicht "kafkaesk".