Kulturwandel in Afrika

Keine weißen Retter mehr

10:16 Minuten
Zwei kleine afrikanische Jungen halten die Hand eines Weißen fest.
Der Schwarze als Hilfsobjekt, der Weiße als strahlender Retter in der Not: Dieses Bild von Entwicklungshilfe kritisieren inzwischen viele. © imago / Thomas Frey
Von Marc Engelhardt · 14.01.2020
Audio herunterladen
Große Kulleraugen und Hungerbäuche: Jahrzehntelang warben Hilfsorganisationen mit Bildern notleidender Kinder um Spenden für Afrika. Doch dieses Stereotyp wollen sich manche Afrikaner nicht mehr gefallen lassen. Und auch die Hilfsorganisationen denken um.
Vor fünfzig Jahren sprachen die Bilder noch eine eindeutige Sprache: Biafra-Kinder, abgemagert bis auf den Hungerbauch, wurden zum Symbol der unmenschlichen Aushungerung von Millionen durch die nigerianische Armee. Sie waren Opfer, die von Helfern aus dem Westen gerettet werden sollten und nicht gerettet werden durften. Die Bilder blieben unvergessen. Und prägen den Hilfsdiskurs mit Afrika bis heute: der Schwarze als Hilfsobjekt, der Weiße als strahlender Retter in der Not.
Dieses Abziehbild aber lassen sich immer weniger Afrikaner gefallen. Denn das Afrika von heute ist nicht mehr das von einst. Als die britische Filmemacherin Stacey Dooley für eine Hilfsaktion der BBC mit schwarzem Baby auf dem Arm posierte, warf die ugandische Aktivistin Olivia Alaso ihr vor, das namenlose Kind als Requisite zu missbrauchen. Der Streit kochte hoch, und Alaso erklärte sich schließlich in der BBC:
"Es gibt viele Fotos, die unsere Geschichte verzerren: Man geht zu den ärmsten, den wirklich allerärmsten Menschen bei uns und tut so, als wäre das Afrika. Kommt in unsere Dörfer, fragt uns, was wir brauchen, und dann antworten wir euch gerne - und wenn ihr dann die Hilfe bringt, die wirklich benötigt wird, dann wird sie auch sehr geschätzt werden."

Einen Nerv im Netz getroffen

Alaso ist in Jinja aufgewachsen, Ugandas viertgrößter Stadt am Viktoriasee. Weiße mit Geld und Einfluss, die ihre mit bunten Logos geschmückten Jeeps am Straßenrand parkten, gebe es dort überall, sagt sie. Zu ihnen gehörte auch die US-Amerikanerin Kelsey Nielsen, die heute an Alasos Seite gegen die Stereotype kämpft. Mit dem Hashtag NoWhiteSaviors, Keine weißen Retter, haben die beiden im Netz einen Nerv getroffen. Fast 275.000 folgen ihnen auf Instagram. Dabei haben sie nichts gegen Weiße, wie sie betonen, sondern nur gegen den Mythos des weißen Retters. Nielsen weiß, wovon sie spricht: Sie war erst 23, als sie ihre eigene Hilfsorganisation leitete. Verrückt, sagt sie im Podcast Tiny Spark – aber in der Welt der Entwicklungshilfe völlig normal:
"Da gibt es diese Gruppe vor allem junger, weißer Frauen, die voll motiviert sind und es wirklich gut meinen. Aber sie haben auch einen irren Glauben daran, wozu sie angeblich berechtigt und fähig sind: Probleme auf der anderen Seite der Welt zu bewältigen, deren Lösung man uns zuhause niemals anvertrauen würde. Seien wir doch ehrlich: Der einzige Grund, warum ich der Boss war, waren nicht meine Verdienste, sondern ein unverdientes Privileg und mein Zugang zur Macht."
Eine weiße Frau mit roten Haaren steht neben einem stapel Maissäcken. Hinter ihr sind afrikanische Frauen mit Kopftuch.
Gerade junge, weiße Frauen sind oft sehr motiviert, wenn es darum geht, mit Entwicklungshilfe Gutes zu tun.© imago / netx / Michael Gottschalk
Hautfarbe und Nationalität als Schlüssel zu Macht und Privilegien in Entwicklungsländern können tödliche Folgen habe, sagen Alaso und Nielsen. Eins ihrer Beispiele: Eine Missionarin, die in ihrem Hilfszentrum unterernährte Kinder ärztlich behandelt haben soll – ohne medizinische Ausbildung. Die Behörden interessierte das offenbar nicht. Schließlich war die Missionarin in Uganda höchst angesehen. Noch sind die Vorwürfe nicht bewiesen, es gilt die Unschuldsvermutung. Doch dass Privilegierte mit Helfersyndrom Schaden anrichten, wenn auch selten tödlichen, daran besteht auch für Tobias Denskus kein Zweifel. Er unterrichtet an der Universität von Malmö Entwicklungskommunikation:
"Man darf sicherlich nicht unterschätzen, wie viel schlechte Entwicklungszusammenarbeit auch immer noch passiert und wie viele Rucksacktouristinnen, die schlecht informiert und schlecht ausgebildet sind, sich auf den Weg machen – aus reinen Selbstfindungsgründen, um ihren Lebenslauf aufzuhübschen. Da ist natürlich auch die berechtigte Kritik, dass das eben sehr oft eine Fortsetzung von kolonialen Praktiken ist, die eben sehr viel älter sind."

Oxfam hat sein Sekretariat jetzt in Kenia

Konsequenzen gezogen hat die Hilfsorganisation Oxfam. Die im britischen Oxford gegründete Organisation ist mit ihrem internationalen Sekretariat nach Nairobi in Kenia gezogen. Dabei ging es um mehr als nur einen neuen Standort, sagt Marion Lieser, die geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der deutschen Sektion von Oxfam:
"Mir ist einfach wichtig, dass klar ist, dass dieser Schritt eben nicht rein symbolisch war, sondern dass es auch um eine interne Machtverlagerung geht. Und die drückt sich darin aus, dass es immer mehr Oxfam-Organisationen im Süden gibt. Also nicht nur, dass man dieses Oxfam-Sekretariat aus Großbritannien nach Kenia verlagert hat, sondern dass wir im Süden wachsen."
Oxfam-Sektionen gibt es inzwischen auch in Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika. Die Idee: Wenn starke Organisationen in den Empfängerländern mitbestimmen, wofür Spendengeld ausgegeben wird, übernehmen sie immer mehr Kontrolle. Heba Aly sieht darin einen Trend. Die Direktorin des Informationsdienstes The New Humanitarian beobachtet einen unaufhaltbaren Wandel:
"Humanitäre Hilfe, selbst im ganz offiziellen Sektor, wo immer noch weiße Männer den Ton angeben, diversifiziert sich. Noch wichtiger ist vielleicht, dass dieser Sektor die humanitäre Hilfe nicht mehr kontrolliert."

Lokale Organisationen müssen gestärkt werden

Aly wünscht sich, dass vor allem denjenigen, die ganz allein und ohne Überbau zu humanitären Helfernwerden, mehr Respekt entgegen gebracht wird.
"Die wichtigsten Helfer sind diejenigen, die selber Opfer einer Krise sind: Sie sind oft die ersten, die helfen. Nicht die Leute in den weißen Landrovern, sondern lokale Organisationen haben die richtigen Antworten. Das ist nicht neu, aber wird jetzt endlich anerkannt. Und die internationale Gemeinschaft fragt sich: Wie können wir diese Organisationen stärken, anstatt laufend Hilfe aus dem Ausland zu schicken?"
Allerdings verdienen Ausländer in der Entwicklungshilfe bis zu neun Mal mehr als ihre lokalen Kollegen, Extras wie Schulgeld oder Wohnungszulage nicht mitgerechnet – bei gleichen Qualifikationen. Das hat eine Studie im Auftrag des britischen Wirtschafts- und Sozialforschungsrats ergeben. Sie sagt auch: Lokale Helfer empfinden diese Ungerechtigkeit als eins der größten Probleme am Arbeitsplatz. Dabei ist der Wert der Ortskräfte eigentlich unbezahlbar, weiß Achim Wennmann. Am Genfer Graduate Institute untersucht er am Zentrum für Konflikt, Entwicklung und Frieden die Hilfe unter besonders schweren Bedingungen – nach Kriegen oder Konflikten.
"Wenn man dann mit Externen wie Raumschiffen dort landet um wieder was ganz Neues von oben aufzubauen, ist dieses nicht oft mit den realen Strukturen verbunden, die nach dem Krieg existieren", sagt er. "Weil, oft ist es ja in einem Nachkriegsgebiet nicht möglich für die Zentralregierung, im ganzen Land zu agieren. Und deshalb braucht man auch Zugänge, die oft durch spezialisierte Organisationen eröffnet werden, die spezielle Verbindungen zu Gruppen haben, die einige Landesteile kontrollieren."
Wo Gelder zentral an die Regierung überwiesen würden, gehen auch oft hohe Millionenbeträge verloren – durch Ineffizienz oder Korruption. Mit lokalen Helfern lässt sich das Problem eindämmen. Und das ist wichtig im Hilfsgeschäft. Der Bedarf an humanitärer Hilfe steigt seit Jahren. Immer neue Krisen, dazu eine Vielzahl scheinbar unlösbarer Konflikte hat die Not explodieren lassen. Die Vereinten Nationen erwarten, dass in diesem Jahr mehr als 168 Millionen Menschen dringend auf Hilfe angewiesen sein werden. Um sie zu erreichen, setzen auch sie unverstärkt auf die kleinen Organisationen, die Probleme und Lösungen am besten kennen. Ramesh Rajasingham, Direktor der UN-Nothilfekoordination in Genf, weiß das – und kennt auch die Probleme:
"Geld ist wichtig, ja, aber vor allem geht es ums Risiko. Und das nehmen die lokalen Gruppen auf sich. Hunderte von ihnen sind bei dieser Arbeit getötet worden."

Die meisten UN-Mitarbeiter sind Ortskräfte

Eine Studie von "Interaction", einem Zusammenschluss von mehr als 200 Hilfsorganisationen in den USA zeigt: Viele große Hilfsorganisationen wollen für ihre Mitarbeiter Risiken vermeiden und reichen die gefährliche Arbeit im Feld deshalb immer häufiger an kleine lokale Gruppen weiter. Die können schlecht nein sagen, weil sie vom Geld der Großen abhängig sind. Denn bisher, das räumt auch Rajasingham ein, können kleine, lokale Organisationen nicht selber Geld von Gebern beantragen.
"Es wäre sehr wichtig, Wege zu finden, um Hilfsorganisationen vor Ort direkt zu finanzieren. Als Subunternehmer fehlt ihnen die Möglichkeit, Kapazitäten aufzubauen, vor allem eine leistungsstarke Buchhaltung. Denn wir sind letztlich dem Steuerzahler gegenüber verantwortlich. Die Geber müssen also sicher sein können, dass jeder, der Hilfsgelder ausgibt, das auch ordentlich macht."
Der UN-Koordinator beobachtet aber auch deutliche Fortschritte: Wo zu Zeiten des Biafrakrieges schlicht Lebensmittel abgeworfen wurden, werde heute mit Betroffenen besprochen, welche Hilfe nötig sei. Und die mit Abstand meisten UN-Mitarbeiter seien inzwischen Ortskräfte, inklusive Führungsriege. Doch keine weißen Retter, das bedeutet vor allem einen umfangreichen Kulturwandel. Wenn der gelingt, wäre das ein Abschied von den Stereotypen – und der Beginn gleichberechtigter Hilfe.
Mehr zum Thema