Kulturtechniken zur „Bewältigung von Außergewöhnlichem“

Hufeisen und Horus-Auge: Alles Glückssache

Der Schornsteinfeger bringt Glück - und darum gibt es ihn auch als Glücksfigur
Der Schornsteinfeger bringt Glück - und darum gibt es ihn auch als Glücksfigur © imago stock&people
Von Cornelia Wegerhoff  · 31.12.2018
Zu Silvester haben sie Hochkonjunktur: Hufeisen (Öffnung bitte nach oben), kleine Schornsteinfeger-Figürchen oder vierblättriger Klee. Ein Forschungsprojekt widmet sich der Kulturgeschichte von Glücksbringern. Denn die gibt es bereits seit Jahrtausenden.
Aus Sicherheitsgründen ist die Vitrine abgeschlossen, denn hinter dieser Glasscheibe liegt es, das große Glück. Zumindest das, an das die alten Ägypter felsenfest geglaubt haben. "Götterfiguren, Udjat-Augen, Djet-Pfeiler. Beine, Hände sind auch gar nicht seltene Amulette... Glücksbringer, mehr als 3000 Jahre alt. Heute kostbare Ausstellungsobjekte im Ägyptischen Museum in Bonn, in der Antike allerdings genauso Massenware wie die Glücksschweinchen aus Plastik heutzutage, stellt der Experte nüchtern klar: "Die sind eben in Serienproduktion zu Tausenden, Hunderttausenden hergestellt worden."
Ludwig Morenz, Professor für Ägyptologie an der Uni Bonn, erforscht gerade die antike Glückssache und das entsprechende Zubehör: "Was wir nicht wissen, ist, wie die verteilt wurden. Ob es da eine Art Handel gab? Ob eben praktisch auf Vorrat gefertig wurde? Oder ob es eher eine sakrale Institution gab, dass man bei irgendwelchen Götterfesten meinetwegen Amulette bekam. Interessant wäre dieses Verhältnis von Ökonomie zu Heiligem. Also letztlich diese Sache, die ja auch bis heute geht: Kann man mit Amuletten Geschäfte machen? Ist natürlich auch ein fließender Übergang zu dem, was wir aus der katholische Kirchen von Reliquien und Ähnlichem kennen."

Es ist menschlich, sich mit Gegenständen Mut zu machen

Von der Götter-Figur zum Rosenkranz, vom Alten Ägypten zum neuzeitlichen Silvesterbrauch. Der Kulturvergleich zeigt: Es ist überaus menschlich, sich mit Gegenständen Mut zu machen. Auch wenn da manch einer mit den Augen rollt…
"Jeder hat mit Krisen zu tun. Jeder hat auch Bewältigungsstrategien. Auch jede Kultur gibt Hilfsmittel an die Hand. Bei unserem altamerikanistischen Teilprojekt geht's um Ketten, die als Chaquiras bezeichnet werden. Das sind einfache Perlenketten, die durch nichts, scheinbar durch nichts besonders ausgezeichnet sind. Aber diese Ketten sind im Rahmen von schamanistischen Ritualen von höchster Bedeutung gewesen."
Über den ganzen Erdball, durch alle Jahrtausende führen die Forschungen zu den "Kulturtechniken zur Bewältigung von Außergewöhnlichem", wie es heißt. Ludwig Morenz ist Koordinator des gleichnamigen wissenschaftlichen Verbundprojektes. Neben der Uni Bonn sind daran auch die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Medizinischen Hochschule Brandenburg beteiligt. Drei Jahre lang wird dort fachübergreifend geforscht. Ein gemeinsames virtuelles Museum und drei Ausstellungen sind geplant. Die erste beginnt bereits am 14. Januar in der Ägyptischen Sammlung in Bonn. "Ich finde es super spannend, wie man die Psychologie da mit reinbringen kann und es verbindet so viel."

Ein Auge für das Wohlergehen

Annika Felten schreibt gerade ihre Doktorarbeit über die Bedeutung von Objektmagie zur Zeit der Pharaonen. Auch sie steht immer wieder vor der besagten "Glücksvitrine": "Genau. Und da sehen wir vor uns jetzt die Udjat-Augen. Das ist so eine ganze Amulett-Gruppe, die hat man früher getragen oder eben den Mumien beigelegt, und auch das sogenannte Horus-Auge. Und Horus musste gegen seinen – naja, viele sagen 'bösen' - Onkel Seth kämpfen. Sie haben sich gestritten und da, in einigen Wettkämpfen, hat Seth Horus ein Auge herausgerissen, es verletzt. Und dann gibt es den Mythos, dass der Gott Toth das Auge wieder zusammensetzte und es wieder heil machte. Und seitdem steht das Udjat-Auge für 'Heilsein' und 'Wohlergehen'."
In der Wissenschaft zählen nur Fakten. Aber einen Glücksbringer trägt Annika Felten auch selbst, gibt sie zu: "Ja, tatsächlich habe ich eine Kette, die mir Glück bringen soll, die mich mit meinen Geschwistern verbindet, mit drei Perlen drin, für meine beiden Geschwister, also für uns drei. Ja, die trag ich dann immer und hoffe, dass ich dadurch Mut, Kraft und Weisheit quasi dafür habe."

Sich nicht darauf verlassen, sondern sich unterstützen lassen

Doktorvater Ludwig Morenz schmunzelt kurz, aber die Sache nimmt er sehr ernst: "Wir können die alte Unterscheidung zwischen Aberglauben und Aberwissen machen: Quatsch ist es dann, wenn man glaubt, dass es naturgesetzlich wirkend ist. Sobald man das als stärkend und schützend nimmt, hat es seinen eigenen Sinn."
Und das gelte sogar für die ganz Großen der Wissenschaft: "Es gibt da die schöne Amulett-Geschichte von Niels Bohr, diesem Atomphysiker. Der in seinem Gartenhaus ein Hufeisen hängen hatte, darauf von einem seiner Mitphysiker verspottet wurde. Was soll denn das? Sie als Naturwissenschaftler, glauben Sie denn da dran? Und Bohrs Antwort war eher lachens: Natürlich nicht, aber helfen soll´s ja trotzdem."
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