Kulturtechnik der Handschrift

Persönlichkeit, die sich auf Papier manifestiert

Autograph von Johann Wolfgang von Goethe - Den Drillingsfreunden von Köln, 1814, Eisengallustinte auf Velin zum Teil mit geprägtem Ornamentrand.
Johann Wolfgang von Goethe (Autograf "Den Drillingsfreunden von Köln", 1814): Spaß am Schönschreiben © imago / Future Image / C. Hardt
Wolfgang Mecklenburg im Gespräch mit Ute Welty · 23.01.2019
Wer schreibt heute noch mit der Hand? Wohl nur noch eine kleine Minderheit. Wenn die Handschrift komplett verschwände, wäre das ein großer Verlust, warnt der Autographenhändler Wolfgang Mecklenburg.
Ist die Handschrift eine aussterbende Kulturtechnik? In Finnland zum Beispiel verlangen die Schulen von Kindern gar keine Handschrift mehr, sondern setzen komplett auf Tablet und PC.
Wolfgang Mecklenburg, Autographenhändler und -liebhaber, würde ein Verschwinden der Handschrift nicht nur aus beruflichen Gründen bedauern. Denn ein handgeschriebener Text transportiere sehr viel mehr als Information: "Wenn ich es mit einem getippten Text vergleiche, dann kommt in der Handschrift eben doch sehr viel Persönlichkeit zum Ausdruck", sagt er.
"Schreiben ist ja ein feinmotorisch ziemlich anspruchsvolles Handeln. Es ist Körpersprache auf eine Art und Weise, die sich auf dem Papier manifestiert, die dort einfriert."

Beethovens Persönlichkeit zeigt sich in seiner Handschrift

Zum Beispiel bei Ludwig van Beethoven: Seiner Handschriften sehe man die Ungeduld an: "Es hat ihn ja fast zerrissen in seiner Schaffenskraft", sagt Mecklenburg. "Das sind oft Dinge, die man praktisch nicht lesen kann."
Goethe hingegen sei da viel disziplinierter gewesen und habe auch Spaß daran gehabt, schön zu schreiben. Ähnlich offenbar Theodor Fontane: "Es ist beiden [Goethe und Fontane] zu eigen, dass es sehr ausdrucksvolle, schwungvolle, lebendige Handschriften sind. Sie haben beide etwas sehr Freies, halten sich beide in vielen Fällen nicht an die jeweiligen Konventionen, sondern haben eben im Laufe ihres Lebens ihre Eigenheiten entwickelt."
Die bisher verschollen geglaubte erste Niederschrift des berühmten Gedichtes "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" von Theodor Fontane (1819-1898), aufgenommen am 30.05.2007 in den Räumlichkeiten der Autographenhandlung J.A. Stargardt in Berlin. Foto: Arno Burgi +++(c) dpa - Report+++
Lange verschollen geglaubtes Autograph von Theodor Fontanes Gedicht: "Herr von Ribbeck auf Ribbeck"© picture-alliance/ ZB / Arno Burgi
Einen besonderen Reiz der Handschriften liegt Mecklenburg zufolge in den großen Werkmanuskripten: "Das sind natürlich für uns heute bedeutende Quellen, weil Schaffensprozesse nachvollziehbar werden. Gerade wenn ich an Fontane denke: Wir haben viele Manuskripte von ihm gehabt, in denen der Schaffensprozess wirklich nachvollziehbar wird – durch Streichungen, durch Umänderungen, dann wird wieder ein Wort rausgelöscht und wieder was anderes probiert. Wie ist der Zeilenfall? Wie ist der Silbenfall? Wie funktioniert das? Klingt das so gut? Ist es das, was ich will? Und irgendwann am Ende ist halt der Text da, den wir heute kennen."

Die Menschen suchen nach dem Einmaligen, Einzigartigen

Gerade weil die Handschrift im Alltag an Bedeutung verliert, beobachtet Mecklenburg Interesse am Handschriften-Sammeln. "Ich erlebe heute, dass viele Leute zum Handschriften-Sammeln oder zum Interesse für Handschriften kommen, weil sie eine gewisse Übersättigung hinsichtlich dieser Allverfügbarkeit, diese Kopierbarkeit haben. Jeder kann innerhalb von 30 Sekunden die Mona Lisa auf seinem Smartphone haben. Das ist immer alles da, duplizierbar, kopierbar."
(uko)
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