Kulturstreit um weiße Pferde

Von Günter Kaindlstorfer · 07.10.2012
Die Österreicher streiten über die Ausrichtung der wohl berühmtesten Reitschule der Welt. Seit die Lippizaner und ihre Reiter Gewinn erwirtschaften müssen, sei die Einrichtung zu einer reinen Touristenattraktion verkommen.
Sie gehören zu Wien wie Tafelspitz und Stephansdom: die edlen Hengste der "Spanischen Hofreitschule". Seit viereinhalb Jahrhunderten zelebrieren die Lipizzaner im barocken Herzen Wiens die Hohe Schule der Reitkunst. Eine weltweit einzigartige Institution.

Seit Dezember 2007 leitet Elisabeth Gürtler die Geschicke der Hofreitschule. Die resolute Dressurreiterin a.D. ist keine Unbekannte in der besseren Wiener Gesellschaft: Im Hauptberuf ist Elisabeth Gürtler Miteigentümerin des Hotels Sacher, acht Jahre lang organisierte sie darüber hinaus den berühmten Wiener Opernball, seit 2011 ist sie mit dem Schauspieler Helmuth Lohner verheiratet. Im mittlerweile fünften Dienstjahr verwaltet sie im Nebenberuf nun schon die Spanische Hofreitschule. Mit energischem Schritt schreitet die Direktorin durch die historischen Stallungen und tätschelt eines der weißen Rösser:

"Das ist ein besonders Lustiger, der Kitty: Der ist intelligent, aber er ist wahnsinnig frech."

Elisabeth Gürtlers Wirken an der "Spanischen" ist alles andere als unumstritten.

"Die Hofreitschule verkommt zu einer reinen touristischen Show."

... meint der Gürtler-Kritiker Karl Friedrich Habel. Die Literaturkritikerin Daniela Strigl springt ihm bei:

"Die Hofreitschule ist in Gefahr, sich von einem künstlerisch wertvollen Institut in ein Zirkusunternehmen zu verwandeln."

Grund für die Aufregung: In den Augen ihrer Kritiker fährt Elisabeth Gürtler einen gnadenlosen Kommerzialisierungskurs. Seit die Regierung Schüssel-Haider die Hofreitschule 2001 aus der öffentlichen Verwaltung ausgegliedert hat, muss sich das renommierte Reitinstitut selbst finanzieren, ja, nach Möglichkeit soll es sogar Gewinne abwerfen. Das hat gravierende Konsequenzen, wie Daniela Strigl feststellt:

"Man kann sagen, dass die Lipizzaner in den letzten Jahren zunehmend an die Kommerzkandare genommen wurden. Es ist förmlich so, dass der Lipizzaner in der Hofreitschule keinen Rossapfel fallen lassen kann, ohne dass nicht ein Vergolder hinzuschießen würde. Damit meine ich, eine Indienstnahme der Schultätigkeit, aber auch der Zuchttätigkeit für Werbezwecke. Und das ist letzten Endes würdelos."

Um die Spanische Hofreitschule ist ein regelrechter Kulturkampf entbrannt. Auf der einen Seite stehen die Kritiker des aktuellen Kurses, sie scharen sich um den sogenannten "Freundeskreis der Spanischen Hofreitschule", einer Gruppe von 1300 lose organisierten Pferde-Aficionados aus halb Europa, die sich Sorgen um die reiterische Qualität an der Hofreitschule machen. Auf der anderen Seite stehen Elisabeth Gürtler und ihre Gefolgsleute, sie erfreuen sich der politischen Rückendeckung durch die in Österreich sogenannte "schwarze Reichshälfte", im speziellen des für die Lipizzaner zuständigen Landwirtschaftsministers. Mit den Aktivitäten ihrer Kritiker im "Freundeskreis" hat Elisabeth Gürtler naturgemäß keine Freude:

"Ich würde einmal sagen, alle, die sich da im Freundeskreis als ,Experten' bezeichnen, das wage ich zu bezweifeln, dass das wirklich die unangefochtenen Experten sind, denen es zusteht, über die Fähigkeiten eines Reiters wirklich ein Urteil abzugeben. Unsere Reiter hier sind sicher größere Experten als die von außen, die hier und da hereinschnuppern."

Das sehen die Gürtler-Kritiker anders. Ihre zentralen Kritikpunkte: Gürtler unterwerfe Reiter und Rösser einem ungesunden Ausbeutungsdruck, um die Hofreitschule aus der Verlustzone zu führen. Was man heut zu sehen bekomme, orientiere sich eher an den Bedürfnissen asiatischer Touristen als an den Ansprüchen klassischer Reitkunst:

Strigl: "Der Zirkus hat die Aufgabe, Pferde zu dressieren. Das ist Zirkuskunst, hat aber in der Hofreitschule absolut nichts verloren."

Masse statt Klasse, Quote statt Qualität, Kommerz statt elitärer Hochkultur: Das sind die aktuellen Konfliktlinien. Für Daniela Strigl ist die Spanische Hofreitschule nur EIN Beispiel für das, was sich derzeit in vielen Kulturinstitutionen abspielt, nicht nur in Österreich:

"Ich glaube, wenn es um Kunst geht, um ein Kulturgut, dass eine Gesellschaft auch die Kraft haben soll, sich dem Trend entgegenzusetzen, dem allgemeinen Ökonomisierungs- und Ausbeutungstrend auch einmal Widerstand zu leisten und zu sagen: Wir haben hier etwas ererbt von den Generationen vor uns, und wir müssen schauen, dass das nicht verloren geht."

Wer hätte das gedacht: dass ausgerechnet die puristischen Fans der klassischen Reitkunst zu Vorreitern der Neoliberalismus-Kritik werden? O tempora, o mores!