Kulturpolitik

Drama um das Theater in Augsburg

Das Stadttheater in Augsburg
Das Stadttheater in Augsburg © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Michael Watzke  · 24.05.2016
Das Augsburger Theater muss Mitte Juni schließen wegen Sanierungsmaßnahmen. Das Theater ist geschockt, denn die Schließung wurde erst am Wochenende kurzfristig bekannt gegeben. Zugleich kämpft es gegen ein Volksbegehren, das die Sanierung stoppen will.
Das Theater Augsburg mit Shakespeares "Sommernachtstraum". In diesem Sommer droht ein Alptraum in der Heimatstadt des Dramatikers Bertold Brecht. Das mächtige Augsburger Theater mit seinen acht weißen Säulen muss kurzfristig schließen – aus Brandschutzgründen, erklärt Kulturreferent Thomas Weitzel:
"Am 19. Juni wird die letzte Vorstellung am Großen Haus stattfinden. Das ist natürlich ein harter Schlag für die letzte Spielzeit von Juliane Votteler. Die hätte im nächsten Jahr ihre letzte Saison gehabt. Die Saison war schon komplett durchgeplant – und kann im Großen Haus nun nicht mehr durchgeführt werden."
Das bedeutet: Das Theater Augsburg muss jahrelang geplante Theater-Premieren quasi über Nacht absagen. Für andere Aufführungen sucht das Ensemble hektisch nach Ersatz-Spielorten. Es müssen große Hallen sein:
"Das ist natürlich die Krux beim Musiktheater – gerade weil das Große Haus geschlossen wird. Das Schauspiel in der Brechtbühne läuft ja weiter mit seinen 300 Plätzen. Aber das Große Haus mit mehr als 900 Plätzen und dem größten Abonnement von 600 Besuchern – das ist schon sehr schwierig unterzubringen. Wir brauchen für die großen Plätze entsprechend Aufenthaltsmöglichkeiten. Das heißt: das Orchester, der Chor, das Ballett brauchen – gerade bei großen Operetten- oder Musicalproduktionen –natürlich auch Backstage-Bereiche."

Kampf um Geld und persönliche Verletzungen

Backstage – das ist ein gutes Stichwort, um das Theater mit dem Theater in Augsburg zu begreifen. Denn backstage - hinter den Kulissen - bekämpfen sich schon seit Monaten zwei Lager. Es geht ein bisschen um Kunst – vor allem aber um viel Geld und persönliche Verletzungen. Zum Beispiel die von Kurt Idrizovic. Einem Augsburger Buchhändler mit freundlichem Schnauzbart und Lesebrille. Sein Buchladen am Obstmarkt ist seit einiger Zeit das Ziel nächtlicher Attacken.
"Wir kriegen ständig Schmierereien an der Schaufensterscheibe. Plakate mit Schmähungen. Es ist eine giftige Auseinandersetzung geworden."
Der Grund ist ein Bürgerbegehren, für das Idrizovic seit Anfang April Unterschriften sammelt. Die Frage lautet: "Soll die Stadt Augsburg die Sanierung des Theaters trotz angespannter Haushaltslage über Neuverschuldung finanzieren? Ja oder Nein?" Idrizovic plädiert für "Nein". Er braucht 11.000 Gleichgesinnte.
"Wenn die Unterschriften zusammenkämen, gibt’s den sogenannten Bürgerentscheid. Und der braucht dann doppelt so viele, also zehn Prozent der Wahlberechtigten. Das hieße circa 22.000 Stimmen in Augsburg."
Dazu muss man wissen, dass Augsburg, die Heimatstadt des einst so steinreichen Fugger-Geschlechts, heute hochverschuldet ist – mit 345 Millionen Euro. Die Sanierung des Augsburger Theaters soll nun noch einmal 185 Millionen Euro kosten.
Idrizovic ist das zu viel. Er wünscht sich eine billigere Lösung – und schlägt vor, dass das Theater einen Teil seines jährlichen Betriebskosten-Zuschusses von 23 Millionen Euro für die Schuldentilgung abzweigt. Augsburgs Theater-Intendantin Juliane Votteler ist brüskiert.
"Nein, das geht nicht, weil ein Theater eine aufwändige Institution ist, in der sehr viele Menschen beschäftigt werden. 85% unserer Kosten sind Personalkosten, also an hier fix beschäftigte Menschen gebunden. Sie müssen sich das als einen mittelständischen Betrieb von einer ziemlichen Größenordnung in dieser Stadt vorstellen. Mit festen Arbeitsplätzen."

Morsche Bausubstanz

Die Arbeitsplätze mögen fest sein - der Arbeitsplatz ist es nicht mehr. Das Augsburger Ensemble bietet seit einiger Zeit kostenlose Führungen durch das Theatergebäude im Stadtzentrum an. Diese Rundgänge offenbaren die morsche Bausubstanz des 139 Jahre alten Neo-Renaissance-Kastens. Die meisten Teilnehmer sind schockiert:
"Man sieht einen Haufen morsche Ecken und Stellen, an denen man sieht: es muss schleunigst was passieren."
"Da glaubt man sofort, dass das Theater an die Grenzen gestoßen ist von seiner Fläche, vom Platz her, von der Nutzung. Da ist nicht mehr viel Spielraum nach oben."
Aber muss eine Sanierung und Erweiterung wirklich 185 Millionen Euro kosten? Der Buchhändler Idrizovic ist kein Kulturbanause. Er liebt das Theater. Sein Vorschlag:
"Dass man einen kleinen Wettbewerb macht, einen Architektur-Wettbewerb. Und sich die Zahlen nochmal genau anguckt. Und dann aus diesem Wettbewerb heraus ein neues, schönes, funktionstüchtiges Theater baut. Das wäre mir das liebste. Der Plan, den wir jetzt haben, ist dafür nicht geeignet."

Sanierung zu lange hinausgezögert

Die Stadt Augsburg sieht das anders. Der Stadtrat hat die teure Sanierung bereits genehmigt – und will bald loslegen. Die plötzliche Schließung des Theaters aus Brandschutzgründen erhöht den Druck zusätzlich und sicher nicht ganz zufällig. Kulturreferent Thomas Weitzel sagt, man hätte schon viel früher mit der Sanierung beginnen müssen.
"Seit 50, 60 Jahren ist an diesem Haus nichts gemacht worden. Wir wissen, dass wir eine Sanierungsphase, die wir vielleicht vor 20 Jahren hätten machen sollen, komplett übersprungen haben. Und letzten Endes erlebt man dann böse Überraschungen, wenn man Wände und Lüftungsschächte aufmacht."
Böse Überraschungen – die erlebt auch Buchhändler Kurt Idrisovic, der Mann mit dem Bürgerbegehren gegen die 185-Millionen-Euro-Sanierung. Wie viele Unterschriften er schon gesammelt hat, verrät er nicht. Dass er wegen seines Engagements Aufträge verloren hat, erzählt er gern. Schuld sei Theater-Intendantin Votteler:
"Sie hat mich unter Absingen schmutziger Lieder leider aus dem Theater geworfen, ich habe jetzt mit meinen Veranstaltungen keinen Zugang mehr zum Theater. Ich hatte auch einen kleinen Shop, wo wir im Theater Bücher verkaufen. Auch das ist mir verboten worden. Also der Ton ist relativ rau."
Was hätte wohl der alte Bert Brecht zum Theaterstreit in seiner Heimatstadt gesagt? Es gibt einen Brief von 1917 – darin schreibt Brecht: "Ich bin für die Schließung der Theater!" Allerdings aus künstlerischen Gründen. Nicht wegen des Brandschutzes oder gar der Sanierungskosten. Das Original des Briefes befindet sich übrigens im Besitz des Buchhändlers Kurt Idrisovic.
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