Kulturfreundschaft

"Bewunderung für die Unfassbarkeit"

Leonid Luks im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 18.03.2014
Zwischen der deutschen und russischen Kultur gibt es eine lange Tradition gegenseitiger Bewunderung. Besonders der Hang zur Innerlichkeit der russischen Literatur habe deutschen Intellektuellen imponiert, sagt der Historiker Leonid Luks.
Stephan Karkowsky: Man reibt sich die Augen und kann es kaum glauben, dass alte Mauern wieder errichtet und alte Gräben buchstäblich wieder gezogen werden an der russischen Westgrenze. Putins Krim-Politik hat den Westen kollektiv gegen Russland aufgebracht. Wir wollen daher heute Morgen einmal an das Verbinden erinnern, an die lange Tradition deutsch-russischer Kulturfreundschaft, und wir tun das mit Hilfe des in Russland geborenen Professors Leonid Luks. An der Katholischen Universität Eichstätt ist er Direktor des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien. Guten Morgen, Herr Luks.
Leonid Luks: Einerseits die große russische Literatur, die einen sehr starken Einfluss auf die deutschen Denker, Philosophen, Schriftsteller hatte. Nietzsche sprach von Dostojewski als den größten Psychologen, den er kannte. Thomas Mann sprach von der heiligen, anbetungswürdigen russischen Literatur.
Vielleicht den Höhepunkt dieser Bewunderung für die russische Literatur stellte die Weimarer Zeit dar. Ich kann zum Beispiel eine Aussage von Hugo von Hofmannsthal zitieren. Er sagte im Jahre 1921, dass Dostojewski nun drohe, Goethe von seinem Sockel zu stürzen. Das ist sicher die Tatsache, dass die russische Literatur die Innerlichkeit, die mystische Seite des Lebens so tief und nuanciert darstellen konnte.
Das hatte natürlich für die deutschen Dichter eine wichtige Rolle gespielt und das hat vielleicht auch ein bisschen damit zu tun, dass Deutschland generationenlang ein Land der Mitte war, ein Land zwischen West und Ost. In Deutschland gab es eine sehr kritische Einstellung gegenüber dem westlichen Rationalismus. Diese mystische Schau, die die russische Literatur oder das russische Denken verkörperten, das hat vielen Deutschen imponiert. Das ist eine der Ursachen für diese Bewunderung für das russische Wesen, für die russische Seele und so weiter.
Karkowsky: Goethe hatte in Weimar selbst häufig Besuch von russischen Dichtern. War der Dichterfürst selbst ein Russland-Fan, wie man das heute sagen würde?
Deutscher Idealismus wird in Russland bewundert
Luks: Das entsteht erst etwas später, diese Bewunderung für Russland. Die entsteht eher in der Zeit, in der Russland wirklich begonnen hatte, eigene Wege zu gehen. Denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann man sagen, dass die russischen Intellektuellen eher die Schüler des Westens waren. Sie haben sich für die westlichen Philosophen, für die westlichen Schriftsteller damals so begeistert. Das war die Zeit, in der Hegel und Schelling einen ungeheueren Einfluss auf die russischen Intellektuellen hatten.
Man hat auch zweitrangige deutsche Philosophen damals mit einer ungeheueren Begeisterung gelesen und rezipiert. Darüber kann man auch in den Erinnerungen, in den Memoiren von Alexander Herzen lesen, der sagte, sogar zweitrangige deutsche Philosophen waren damals in Russland derart einflussreich, dass man ihre Werke beinahe auswendig kannte. Das heißt, das war noch die Zeit des Lehrer-Schüler-Verhältnisses. Die russischen Intellektuellen waren eher Schüler.
Aber man kann seit Dostojewski und Tolstoi sagen, dass nun die russische Kultur jetzt begonnen hatte, ihre eigenen Impulse in Richtung Westen, nicht zuletzt in Richtung Deutschland zu senden, und auf diese Weise begannen auch die westlichen oder auch die deutschen Intellektuellen, die russischen Denker als ihre Lehrer zu bezeichnen und zu betrachten.
Karkowsky: Das ist interessant, dass Sie sagen, dass die Hochzeit dieser russischen Begeisterung, der Begeisterung über auch die russische Romantik in Deutschland in der Weimarer Republik stattfand, also wenige Jahre vor der Katastrophe. Weiß man, wie es den einfachen Menschen ging, also nicht nur den Intellektuellen, was die wussten über Russland, ob die das mitgemacht haben, ob die auch so begeistert waren von der russischen Seele, wie Sie das genannt haben?
"Gegenseitige Bereicherung der Bildungsschichten"
Luks: Das ist wahrscheinlich eher eine intellektuelle Angelegenheit. Hier geht es wirklich um eine gegenseitige Bereicherung der Bildungsschichten, diese Bewunderung für die Unfassbarkeit, für die Tiefe des russischen Wesens in Deutschland, und in Russland waren es andere Eigenschaften der Deutschen, die bewundert wurden. Das war vor allem die deutsche Effizienz, die deutsche Ordnungsliebe.
Symbolisch für diese Gegenüberstellung des deutschen und des russischen Wesens ist der Roman von Gontscharow, "Oblomow". Dort wird Oblomow als ein kontemplativer, aber sehr unfähiger Mensch dargestellt, der nicht imstande ist, irgendetwas zu Ende zu bringen, aber zugleich wirkt er außerordentlich sympathisch.
Sein Freund – das ist ein Deutscher, der heißt Stolz – verkörpert die Fähigkeit, die eigenen Ziele zu verwirklichen, und er ist unglaublich effektiv und effizient. Er ist Oblomow vielfach überlegen, aber trotzdem wirkt er nicht so sympathisch wie sein russischer Freund.
Karkowsky: Sie hören den Osteuropa-Wissenschaftler Leonid Luks von der Katholischen Universität Eichstätt zum deutsch-russischen Verhältnis. Herr Luks, dann kam der Krieg. Hat der Krieg und das Bild des bösen Iwan, der den Deutschen entgegenkam, haben Schreckensbilder wie Stalingrad die deutsch-russische Freundschaft nicht für immer erschüttert und ein Bild entstehen lassen, das heute wieder sehr, sehr leicht wiederzuerwecken ist, das alte Feindbild, alte Ressentiments vom bösen Deutschen und vom bösen Russen?
Trotz Krieg: Sehr positives Deutschland-Bild in Russland
Luks: Ich denke, gerade die Zeit nach diesem vielleicht schrecklichsten Krieg in der Geschichte der Neuzeit, was wir beobachten konnten, das ist paradox. Wenn man heute die russische Öffentlichkeit genauer analysiert, bei vielen Umfragen werden die Deutschen außerordentlich positiv wahrgenommen. Es war eine Umfrage vor einigen Jahren, die das russische Zentrum für Meinungsforschung durchgeführt hatte, und dort wurde gefragt, wer oder welche Nation Russland gegenüber am positivsten sich verhalte oder Russland am positivsten bewerte. An der ersten Stelle waren die Weißrussen und an der zweiten waren es die Deutschen. Man hat also ein sehr positives Deutschland-Bild in Russland, trotz dieses schrecklichen Krieges.
Und dann haben wir natürlich auch die Russland-Euphorie in Deutschland, die in der Gorbatschow-Zeit ihren Höhepunkt erreicht hatte, weil mit Recht hat man damals dieses politische Wunder der gewaltlosen Überwindung der europäischen Spaltung, man hat den russischen Staats- und Parteichef als die wichtigste Ursache für dieses Wunder angesehen.
Karkowsky: Man kann sicherlich sagen, dass diese Gorbatschow-Euphorie lange Zeit angehalten hat, vielleicht sogar bis gestern. Aber gestern dann hat Gorbatschow ganz klar gemacht, dass er die Entscheidung Russlands über die Krim-Annektierung, wie es hier heißt, oder man kann auch sagen, die freie Entscheidung der Krim-Russen, ihr Land an Russland anschließen zu lassen, begrüßen wird, und das könnte doch dieses Bild von Gorbatschow als dem guten Russen, der unser Bild von Russland für immer komplett verändert hat, noch einmal umdrehen, oder nicht?
Luks: Ich glaube, dass die Dankbarkeit immer noch überwiegt, und da könnte man vielleicht auch eine gewisse Analogie zu der ersten deutschen Einheit, wie sie in der Bismarck-Zeit vollzogen wurde, herstellen.
Das ist vielleicht auch noch ein zusätzlicher Gesichtspunkt, warum Russland in Deutschland eine Zeit lang populär war. Zur Zeit des deutsch-französischen Krieges im Jahre 1870 war die Haltung Russlands Deutschland gegenüber sehr wohlwollend, und nicht zuletzt dieser russischen Haltung verdankte man damals die deutsche Einheit.
Der deutsche Kaiser, damals Wilhelm der Erste, hat an den russischen Zaren Alexander den Zweiten einen Brief geschrieben, in dem er ihm gesagt hat, er würde ihm für immer dankbar sein für seine Haltung. 20 Jahre später kam es zu einer Entfremdung zwischen Deutschland und Russland, und diese Zeit, in der man Dankbarkeit äußert, das ist etwas, was nicht für immer währt.
Karkowsky: Haben Sie denn aus Ihrer Erfahrung auch als jemand, der sich vermutlich in beiden Welten zuhause fühlen kann, auch den Eindruck, dass die Menschen einen deutlichen Unterschied machen zwischen Russland und den Russen und der russischen Regierung, ganz besonders Wladimir Putin?
"Diese Sehnsucht nach Freiheit ist in Russland unausrottbar"
Luks: Es gibt kaum einen anderen russischen Autor, der so oft an den deutschen Theatern aufgeführt wurde, wie zum Beispiel Tschechow. Das heißt, man ist imstande, diesen Unterschied zwischen der russischen Literatur und Kultur und dem russischen Staat zu machen. Aber das gleiche betrifft auch die Russen selbst.
Es gibt auch das andere Russland. Es gibt das Russland, das sich nach Freiheit sehnt, das diese autoritäre Herrschaft vehement ablehnt. Das ist ein Russland, das an die Traditionen des Dekabristenaufstandes vom Jahre 1825 anknüpft. Das heißt, diese Sehnsucht nach Freiheit ist in Russland unausrottbar, sie ist da, und das ist die Hoffnung, mit der wir auch im Westen leben müssten, dass diese Kräfte imstande sein werden, diesen autoritären paternalistischen Staat irgendwie in seine Schranken zu weisen.
Karkowsky: Nachdem die EU und die USA Sanktionen beschlossen haben gegen Russland wegen seiner Krim-Politik hörten Sie zur deutsch-russischen Freundschaft den in Russland geborenen Professor Leonid Luks. Er ist an der Katholischen Universität Eichstätt Direktor des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien. Herr Luks, danke für das Gespräch.
Luks: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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