Kulturelle Höhenzüge

14.03.2011
Das Sachbuch "Kilimandscharo" verfolgt die kulturellen Spuren des zirka 12.000 Jahre alten höchsten Berges von Afrika. Es zeigt die Zusammenhänge zwischen seiner Eroberung und der bewussten Unterwerfung Afrikas überzeugend auf.
Der deutsche Missionar Johannes Rebmann war verzaubert, als er am 11. Mai 1848 den Kilimandscharo erblickte. Besonders beeindruckte ihn die Schneekuppe, die den in Äquatornähe gelegenen Berg zierte. Doch der englische "armchair geographe" William Desborough Cooley hielt diese Beschreibung für eine "phantastische Erzählung". Ein schneebedecktes Bergmassiv in der heißesten Klimazone musste eine Erfindung sein.

Inzwischen ist der Kibo – so heißt der Berg eigentlich – ein Faszinosum geworden. Eine Kaffeemarke hat ihn vermarktet und von Andrea Berg wurde er in einem Schlager besungen: "Hoch auf dem Kilimandscharo, / da liegt im Sommer noch Schnee. / Und tief im Herzen, / da spür ich genau... / es tut immer noch weh." Dass die Eismasse des besungenen Berges zwischen 1912 und 2007 "um etwa 85 Prozent gesunken ist", hat allerdings andere Gründe.

Christof Hamann und Alexander Honold verfolgen in ihrem Buch "Kilimandscharo" die kulturellen Spuren des schätzungsweise seit 12.000 Jahren existierenden Kibo. Doch bevor sie zur eigentlichen Bergbesteigung ansetzen – als Erstem gelang sie 1889 dem Deutschen Hans Meyer –, schlagen die beiden Germanisten zunächst einen Weg ein, der durch die Bergmassive der europäischen Kultur führt. Zuerst gilt es mit Petrarca den Mont Ventoux zu erklimmen, um danach einen Abstecher auf den Läuterungsberg zu unternehmen, der in Dantes "Göttlicher Komödie" aufragt. Anfang des 14. Jahrhunderts ist die Erfahrung des Bergsteigens eine "Metapher des Lebens". Das gesuchte Seelenheil ist nur in höchster Höhe zu finden und man muss körperliche Anstrengungen auf sich nehmen, wenn man in die Heil versprechenden Höhen gelangen will. Der Berg, so die Verfasser, wird zum "Austragungsort einer Kraftprobe". Allerdings ist an dieser Stelle der Kilimandscharo etwas in den Hintergrund getreten, da sich die Alpen in den Vordergrund geschoben haben, die zusammen mit Rousseau und Hölderlin erstiegen werden.

Hamann und Honold erweisen sich als kundige Führer, die man gern auf ihren kulturellen Höhenzügen begleitet. Man darf nur nicht ungeduldig werden, denn es dauert etwas, bis endlich das mit "Die Erstbesteigung" überschriebene Kapitel über den deutschen Gipfelstürmer Hans Meyer erreicht wird. Für Meyer ist der Kibo das größte "Wunder des tropischen Afrika". Sehr überzeugend arbeiten die beiden Autoren heraus, wie die Verwunderung der Beginn einer kulturellen Unterwerfung ist, an deren Ende die "Inbesitznahme" steht. Meyer, einem "sachlichen, männlich-keuschen und germanischen" Herrn, gelingt nach "erbarmungslosem Kampf" am 6. Oktober 1889 die Eroberung des höchsten Punktes Afrikas. Nur um einen Berg ging es da aber schon lange nicht mehr. Als er den Gipfel auf den Namen Kaiser-Wilhelm-Spitze taufte, setzte Meyer ein Zeichen der Macht, das im Wissen um die damit verbundene Wirkung gesetzt wurde: Die "ganze afrikanische Frage ist im Grunde nur eine Machtfrage", schrieb er.

Homann und Honold zeigen die Zusammenhänge zwischen der Eroberung des Kilimandscharo und der bewussten Unterwerfung Afrikas sehr überzeugend auf. Man blickt anders in die Tiefen der deutschen Kolonialpolitik, wenn man sie vom Gipfel des Kibo überschaut.


Besprochen von Michael Opitz

Christof Hamann/Alexander Honold, Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges,
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011, 188 Seiten, 22,90 Euro