"Kulturelle Aneignung"

Wem gehört welche Kultur?

Begleitet von einer Band und Hintergrund-Sängerinnen tritt das US-amerikanische Rock-Idol Elvis Presley in Las Vegas/Nevada auf. Undatierte Aufnahme.
Elvis Presley in Las Vegas (undatierte Aufnahme). © picture alliance / dpa
Von Fabian Köhler · 16.08.2017
Elvis Presley – für viele der König des Rock‘n Rolls. Allerdings ist er auch ein Weißer, der mit afro-amerikanischer Musik berühmt wurde. Ist das ein Fall von kultureller Aneignung?
Lange Zeit schien es, als könne nur noch eine Wunderlampe das Projekt retten. In über 2.000 Castings hatte Disney nach einem Hauptdarsteller gesucht, sogar der Drehbeginn für die neue Aladdin-Realverfilmung wurde verschoben. Bis sie mit dem in Ägypten geborenen Schauspieler Mena Massoud doch noch fündig wurden.

Wie sieht ein authentischer Aladin aus?

Der Grund für den Aufwand: Die Produzenten hatten auf eine "authentische" Besetzung der Rolle des charismatischen Straßenräubers bestanden und explizit nach einem Schauspieler mit "Middle Eastern Background" gesucht. Damit kam Disney jenen Kritikern entgegen, denen schon die bloße Ankündigung des Filmes ausreichte, um den Machern "Cultural Appropriation", also die Aneignung fremden Kulturguts vorzuwerfen. Doch die Sache mit der authentische Darstellung vom Märchen um Flaschengeist und Wunderlampe hat einen Haken: Mit "Middle East" hat Aladin (das Original schreibt sich mit einem "d") in etwa so viel zu tun wie "König der Löwen" mit einer Natur-Doku: Verfasst wurde das Märchen aus Tausendundeiner Nacht von einem französischen Orientalisten. Geboren wurde dessen Original-Aladin nicht in Arabien, sondern in China. Auch die 90er Zeichentrick-Adaption ist keinem arabischen Straßenjungen, sondern dem amerikanischen Schauspieler Tom Cruise nachempfunden , der sich wiederum in einer überwiegend indisch inspirierten Welt bewegt.

Der Kerngedanke ist ehrenwert

Bei so viel kulturellem Durcheinander kann man schon einmal daneben liegen, mag man den Kritikern kultureller Aneignung zugutehalten. Wären irregeleitete Forderungen nach kulturellen Authentizität nicht mittlerweile ein Dauerthema in den popkulturellen Debatten Amerikas. Dabei ist der Kerngedanke eigentlich ein ehrenwerter: Sie wollten aufmerksam machen auf die Trivialisierung kultureller Versatzstücke (z.B. Indianer-Maskottchen in Football-Clubs) bei gleichzeitiger Marginalisierung der Ursprungskultur (amerikanische Ureinwohner). Doch auf der Suche nach immer neuen Fällen vermeintlicher kultureller Aneignung trivialisieren die Kritiker heute vor allem ihren eigenen rassismuskritischen Ansatz.

Gegen weiße Sänger die auf "schwarz" machen

Längst richtet sich die Kritik nicht mehr nur gegen "Whitewashing" in Hollywood-Filmen oder wie dieser Tage zum 40. Todestag von Elvis gegen weiße Sänger die auf "schwarz" machen. Der Vorwurf, sich unterdrückte Kulturen zum eigenen Vorteil anzueignen, trifft auch nicht-schwarze Künstler, die in ihren Bildern an die Sklaverei erinnern, Schriftstellerinnen, deren fiktive Romanfiguren aus Afrika stammen und antirassistische Aktivistinnen, denen der Zugang zu Kongressen verwehrt wird, weil sie "schwarze" Dreadlocks tragen.

Wer besitzt das Copyright auf Dreadlocks?

Dabei sind es oft erst die Kritiker einer vermeintlichen "Cultural Appropriaton", die kulturellen Allerweltspraktiken durch aktivistische Aneignung den Status eines exotischen schützenswerten Kulturguts verleihen: Wer besitzt das Copyright auf Dreadlocks? Die Rastafaris? Warum nicht die Perser, Azteken oder Tartaren, die ihre Haare schon Jahrhunderte zuvor verfilzten. Warum gibt es Kampagnen gegen Sushi in College-Mensas, nicht aber gegen Kaffee? Schließlich geht das Rösten der Kaffeebohne auf eine Jahrhundertealte äthiopische Kulturtechnik zurück?

Abgetrennte Kulturräume sind eine Fiktion

Die Antwort ist einfach: Auch das Kulturverständnis der Kritiker ist das Produkt von Klischees. Das zeigt auch das Beispiel Aladdin: Denn nicht nur der Straßenräuber, auch die gewünschte Identität des Hauptdarstellers entstammt einem westlichen Stereotyp. "Middle East" - das ist keine kulturelle Selbstbezeichnung. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem amerikanischen Militärsprech und bezeichnet von Marokko bis Pakistan hunderte Millionen Menschen unzähliger Sprachen, Religionen und Ethnien, die nichts miteinander gemein haben, außer dasselbe westliche Label zu tragen. Dass solche homogenen und voneinander abtrennbaren Kulturräume zum Glück nur Fiktion sind, verdanken wir kultureller Aneignung - in Disney-Filmen, wie in der realen Welt.

Fabian Köhler hat in Jena und Damaskus Politik- und Islamwissenschaft studiert. Als freier Journalist schreibt er für viele Magazine und Tageszeitungen über Flüchtlinge und Islam(ophobie) und reist durch den Nahen Osten oder das, was davon noch übrig ist.

© Camay Sungu
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