Kultureinrichtungen müssen schließen

Freie Szene im freien Fall?

10:04 Minuten
Ein Bühnenarbeiter trocknet mit einen Tuch am Fuß die schweiß getränkte Bühne nach einer Tanz-Performance.
Soloselbständige stehen in diesen Zeiten allein auf weiter Flur, ihre Zukunft: ungewiss (Symbolbild). © picture alliance / dpa/ Maximilian Schönherr
Bettina Masuch im Gespräch mit Britta Bürger · 30.10.2020
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Freischaffende im Kulturbereich hangeln sich von Auftrag zu Auftrag. Die erfahrene Netzwerkerin Bettina Masuch fordert, das System auf den Prüfstand zu stellen. Momentan werde sichtbar, wie prekär die Lage der Soloselbständigen sei.
Ist die Freie Szene in Deutschland mit der erneuten Schließung von Kultureinrichtungen jetzt im freien Fall? "Ja und nein", sagt Bettina Masuch. Noch ist Masuch Leiterin des Tanzhauses NRW, ab Herbst 2022 übernimmt sie die Leitung des Festspielhauses im österreichischen St. Pölten. Sie ist eine erfahrene Netzwerkerin in der Freien Szene.

Netz an Unterstützung und Subventionen

In Deutschland und Österreich gebe es ein Netz an Unterstützung und Subventionen, betont sie. "Wenn man das mal mit dem Rest der Welt vergleicht, dann sind wir hier immer noch ganz gut aufgestellt. Ich glaube, es ist wichtig, selbst in so einer Krisensituation immer zu schauen, was passiert eigentlich mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Asien, Afrika oder Lateinamerika. Die haben im Moment ganz andere existenzielle Nöte."
Andererseits, ergänzt die Dramaturgin, führe die Corona-Pandemie vor Augen, wie prekär die Lage der Soloselbständigen hierzulande eigentlich die ganze Zeit war. "Das hat nur funktioniert, weil diese große Maschine immer am Laufen gehalten wurde. Weil sich jeder Einzelne praktisch immer von Projekt zu Projekt weiter organisiert hat." Das habe auch eine gewisse Atemlosigkeit zur Folge.
Dieses System müsse auf den Prüfstand, fordert sie. Man müsse jetzt überlegen, so Masuch, "wie man, bei allem Respekt vor der Entscheidung, freischaffend zu sein, eine andere Art fairer Bezahlung und Absicherung hinbekommt. So wie das die Kolleginnen und Kollegen an den Stadt- und Staatstheatern haben."

Verschobene Produktionen

Masuch sieht die Herausforderung derzeit darin, wie es nach dem November weiter geht. "Wenn ich auf unsere Arbeit in Düsseldorf schaue, mussten wir viele Produktionen, die für 2020 geplant waren, ins kommende Jahr schieben. Und viele Produktionen, die eigentlich noch stattfinden sollten, haben noch gar nicht angefangen."
Für Masuch stellt sich damit die Frage, ob die vielen Hilfen, die im Moment aufgelegt würden, dazu führen, dass dann 2021 oder 2022 die große Kürzungswelle kommt.
Sie habe sich darüber geärgert, in der Regierungserklärung lesen zu müssen, "dass wir ein 'Freizeitvergnügungen' sind", sagt Masuch: "Ich hätte mir eine andere Anerkennung der gesellschaftlichen Relevanz unserer Orte gewünscht."
Wie man weiter international arbeiten könne, ohne zu reisen wie in der Vergangenheit, werde für ihre Branche die große Zukunftsfrage sein, betont sie. "Ich denke, das wird einerseits dazu führen, dass man die lokalen und regionalen Szenen noch einmal anders in den Blick nimmt und wertschätzt", sagt Masuch. Andererseits müsse man in Zukunft stärker auf Kooperationen setzen: "Wo man nicht mehr sagen muss, wer ist am schnellsten dabei, etwas Neues vorzustellen, sondern dann Künstlerinnen und Künstler gemeinsam präsentiert."
(mfied)
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