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Erinnerungspolitik
Luxemburg gründet Komitee für NS-Opfergruppen

Der 31. August ist in Luxemburg ein Gedenktag für den Widerstand gegen das NS-Regime. Zum 75. Jubiläum eines Generalstreiks wird mit einer besonderen Zeremonie an alle Opfergruppen erinnert, die unter den Nazis gelitten haben. Dazu wurde von der Regierung eigens ein neues Komitee gegründet.

Von Sophie Schram | 31.08.2017
    Das neue "Comité pour la Mémoire" vereint nun die Nachkommen der Widerstandskämpfer, die Hinterbliebenen der zwangsrekrutierten Wehrmachtsoldaten und die Familienangehörigen der jüdischen Opfer aus Luxenburg.
    Das neue "Comité pour la Mémoire" vereint nun die Nachkommen der Widerstandskämpfer, die Hinterbliebenen der zwangsrekrutierten Wehrmachtsoldaten und die Familienangehörigen der jüdischen Opfer aus Luxenburg. (Sophie Schram)
    "Ich bin geboren in Wiltz, ein kleiner Ort in Luxemburg, in der Adolf-Hitler-Straβe und meine Namen sind Albert Johann Heinrich, offiziell im Geburtsschein verankert, und das ist ganz einfach die Konsequenz der Nazipolitik hier in Luxemburg gewesen."
    Wenn der 75-jährige Albert Jean Henri Hansen, der Vorsitzende des neuen Gedenkkomitees, von früher erzählt, hat er immer wieder jene Straße vor Augen, die schon lange wieder "Rue Grande-Duchesse Charlotte" heißt, und in der nur junge Witwen mit ihren Kleinkindern lebten: "Und unter den Nachbarn, ich würde sagen hundert Meter nach links und hundert Meter nach rechts, gab es, wenn ich mich recht erinnere, sechs Familien, wo der Vater den Krieg nicht überlebt hat."
    An seinen eigenen Vater kann sich Albert Hansen nicht mehr erinnern: Weil dieser heimlich andere Widerstandskämpfer in seinem Wagen transportiert hatte, wurde er ins KZ Hinzert deportiert: "Dort wurde er verhört von der Gestapo, der SS und er hat eines dieser Verhöre nicht überlebt."
    Späte Zusammenführung
    Während der Kriegsjahre kamen etwa 5.500 Luxemburger ums Leben: für das kleine Land eine sehr hohe Opferzahl. Das neue "Comité pour la Mémoire" vereint nun die Nachkommen der Widerstandskämpfer, die Hinterbliebenen der zwangsrekrutierten Wehrmachtsoldaten und die Familienangehörigen der jüdischen Opfer.
    Laurent Moyse, Historiker und Vize-Präsident des neuen Komitees, erklärt, warum die verschiedenen Leidensgruppen ihre Geschichte lange Zeit getrennt voneinander aufgearbeitet haben: "Die Opfergruppen hatten teilweise eine andere Geschichte und diese Geschichte wurde nach dem Krieg in jeweilige Strukturen eingebettet, in eigene Strukturen dieser Gruppen, die auch mit politischen Forderungen verbunden waren und das erklärt weshalb keine gemeinsame Geschichte geschrieben wurde."
    Laurent Moyse gehört der jüdischen Gemeinde an. Er selbst hat Angehörige in Auschwitz verloren. Von den luxemburgischen Juden wurden im Krieg mehr als ein Drittel ermordet, doch deren Geschichte wurde erst spät erforscht: "Auch das kann man mit der Spezifität Luxemburgs zu erklären sein. Eine andere Erklärung, die man geben kann ist, dass lange Zeit Luxemburg kein Interesse an Minoritäten gezeigt hat und dass dadurch der jüdische Teil der Geschichte ignoriert wurde."
    Doch das änderte sich vor zwei Jahren. Nachdem Historiker die Rolle der luxemburgischen Behörden während der Nazibesatzung sehr kritisch beleuchtet hatten, entschuldigten sich die Regierung und das Parlament offiziell bei der jüdischen Gemeinschaft Luxemburgs. Eine wichtige Anerkennung: "Und trotzdem gab es Bedauern, bei vielen, dass es so spät kam, also zu einer Zeit, wo eben viele Zeitzeugen überhaupt nicht mehr da sind."
    Die wichtige Rolle der Zeitzeugen
    Die letzten Zeitzeugen der verschiedenen Opfergruppen sind wichtige Berater für die Komitee-Mitglieder, wenn es um die Vorbereitung von Gedenkreden oder pädagogische Projekte geht. Der 91-jährige ehemalige Botschafter Guy De Muyser, der heute noch an einer Universität lehrt, hat oft jungen Menschen seine Kriegserfahrungen als Wehrmachts-Deserteur geschildert: "Erinnerungsarbeit ist etwas Wichtiges, weil man daraus lernen soll, besonders die Generationen, die nachher gekommen sind und die den unglaublichen Druck der Diktatur selbst nicht miterlebt haben."
    Ihr Vermächtnis weitergeben, das betrachtet auch Maisy Ginter als ihre Aufgabe: mit 93 Jahren ist sie das älteste Mitglied des neuen Komitees: Sie bedauert, dass die Frauen, die wie sie zu den über 3.000 luxemburgischen Zwangsarbeiterinnen gehörten, lange in der kollektiven Erinnerung vergessen blieben.
    "Jeder, der eine Rede gehalten hat und wo die Mädchen nicht erwähnt wurden, da habe ich gesagt: wir waren auch eingezogen. Seit ein paar Jahren sind die Mädchen aber auch anerkannt und überall, wo gesprochen wird von den Zwangsrekrutierten, da wird auch von den Mädchen gesprochen, das ist dann ein wenig Satisfaktion für mich."
    Weil die Schicksale der einzelnen Opfergruppen so verschieden sind, sei das Erarbeiten gemeinsamer Erinnerungsprojekte nicht immer einfach. Aber dennoch ist Maisy Ginter sehr optimistisch: "Wir haben alle gelitten, da müssen wir an einem Strang ziehen, wenn jeder Rücksicht auf den anderen nimmt, dann geht das."