Kultur-Nekrolog 2017

Wir werden sie vermissen

Die französische Schauspielerin Jeanne Moreau im Jahr 2008 in Cannes
Die französische Schauspielerin Jeanne Moreau im Jahr 2008 in Cannes © AFP / Anne-Christine Poujoulat
Von Stefan Keim · 31.12.2017
Ihre Gesichter prägten Generationen: Stefan Keim erinnert in seinem Rückblick vor allem an große Schauspielerinnen und Schauspieler, die im vergangenen Jahr verstarben. Besonders den französischen Film hat es hart getroffen – etwa mit dem Tod von Jeanne Moreau.
Augen wie ein Opal, das Gesicht oval, eine femme fatale. Jeanne Moreau singt "Le Tourbillon de la Vie" in Francois Truffauts Film "Jules et Jim". Jeanne Moreau war eins der Gesichter der Nouvelle Vague. In Louis Malles Meisterwerken "Fahrstuhl zum Schafott" und "Die Liebenden" wurde sie bekannt, eine herbe, raue, hochintelligente Schönheit.

Aderlass für die Filmnation Frankreich

Die Schauspielerin Danielle Darrieux 1959 im Film "Marie Octobre"
Die Schauspielerin Danielle Darrieux 1959 im Film "Marie Octobre"© imago
Der französische Film erlebte im vergangenen Jahr einen Aderlass. Emmanuelle Riva begann ihre Karriere zur gleichen Zeit wie Jeanne Moreau, im Film "Hiroshima, mon amour". Noch als 84-Jährige bekam sie für Michael Hanekes "Liebe" eine Oscarnominierung. Danielle Darrieux, Mireille Darc, Jean Rochefort, Claude Rich – sie alle prägten das französische Kino mit vielschichtigen, berührenden Charakteren.
Roger Moore
Der britische Schauspieler Roger Moore© dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd
Roger Moore hatte andere Qualitäten. Er sah grandios aus und spielte den britischen Geheimagenten James Bond mit Leichtigkeit, Eleganz und Ironie. Manche Fans der Filmserie mussten sich erst daran gewöhnen, dass ein völlig anderer Typ als der maskulinere Sean Connery nun die berühmten Sätze sagte:
"My name is Bond, James Bond."
Nicht ganz so legendär waren die Verfilmungen der Groschenromane um "Kommissar X". Hauptdarsteller Brad Harris starb ebenso wie Adam West, der Batman aus den 60er- Jahren, als Comicverfilmungen noch Sprechblasen hatten. Harry Dean Stanton spielte meist kleinere Rollen, aber in ihnen hinterließ er tiefe Eindrücke. Wim Wenders gab ihm eine unvergessliche Hauptpartie in "Paris, Texas". Sam Shepard war Schauspieler und Autor, ein Erforscher der dunklen Seiten der amerikanischen Seele.

Große Regisseure des Horror-Genres

Sehr vielseitig war Martin Landau, meine Lieblingsrolle von ihm ist der alte Bela Lugosi in Tim Burtons wunderbarer Kinobiografie "Ed Wood". Das Horrorgenre verzeichnete große Verluste, vor allem George A. Romero, der den Zombie-Mythos in seiner heutigen Form erschaffen hat. Er verband die raue Ästhetik des Splatterfilms mit politischer Kritik.
"Wenn man das Fantastische als eine Allegorie akzeptiert, dann repräsentiert die tote Gesellschaft oder die der lebenden Toten tatsächlich die revolutionäre Gesellschaft. Mit anderen Worten: Es ist die Gesellschaft, die aus der gegenwärtigen Gesellschaft erwächst."
Der US-amerikanische Filmregisseur Tobe Hooper
Der US-amerikanische Filmregisseur Tobe Hooper© EFE / FESTIVAL NOCTURNA / HO
Tobe Hooper drehte mit "Texas Chainsaw Massacre" einen experimentellen Horrorfilm, der mit ruckeligen Bilder und einem Terror-Soundtrack die Zuschauer anspringt. Und Jonathan Demme schuf mit "Das Schweigen der Lämmer" den seitdem oft kopierten Typus des feinsinnigen, gebildeten, hemmungslos bestialischen Serienkillers. Auch Ulli Lommel drehte einen bekannten Horrorfilm, "The Boogey Man". Als Schauspieler arbeitete er mit Andy Warhol und Rainer Werner Fassbinder, als Liebhaber verführte er Iris Berben und Ingeborg Bachmann – letztere laut eigener Aussage im Spiegel-Interview.

Einer der bedeutendsten Kameramänner

Michael Ballhaus war einer der bedeutendsten Kameramänner des internationalen Kinos, nicht nur wegen seiner berühmten 360-Grad-Kamerafahrt. Den "Ballhaus-Kreisel" gab es zuerst 1974 in Fassbinders schwarzer Erotik-Komödie "Martha".
Der Kameramann Michael Ballhaus hält den "Goldenen Ehrenbären", mit dem er 2016 bei der Berlinale ausgezeichnet wurde. 
2016 wurde Michael Ballhaus bei der Berlinale mit dem "Goldenen Ehrenbären" ausgezeichnet. © dpa
Egon Günther war einer der großen Individualisten des DDR-Kinos. Ein Freigeist, der sich nicht um Denkverbote kümmerte und oft aneckte. Und auch Tankred Dorst drehte einige Filme, vor allem jedoch war er einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts.
Seine Stücke entstanden immer im Dialog mit seiner Lebensgefährtin Ursula Ehlert:
"Ja, wir sind ein Gespräch: Hier an diesem Tisch oder an einem anderen Tisch oder in einem Hotel entstehen gesprächsweise dann doch viele Sachen. Es fängt ja manchmal impressionistisch an, das man eine Szene hat oder eine halbe Szene oder eine Bemerkung oder einen szenischen Einfall, der dann erst mal liegen bleibt und dann später seine Bedeutung kriegt."

Einzigartige Schauspieler treten ab

Hans-Michael Rehberg, Fritz Lichtenhahn und Gerd Kunath waren drei einzigartige Schauspieler, die in diesem Jahr die Lebensbühne verließen. Christa Berndl, Inge Keller und Christine Kaufmann werden ebenso fehlen. Karin Dor war ein Topstar im deutschen Genrekino der Nachkriegszeit, in der Edgar-Wallace-Reihe, in Karl-May-Filmen, sie arbeitete auch mit Alfred Hitchcock und als Bond-Girl.
Die Schauspielerin Karin Dor im Edgar-Wallace-Kriminalfilm "Die weiße Spinne" von 1963
Die Schauspielerin Karin Dor im Edgar-Wallace-Kriminalfilm "Die weiße Spinne" von 1963 © imago/United Archives
Andreas Schmidt wurde nur 53 Jahre alt. In allen Rollen wirkte er absolut glaubwürdig und ehrlich, zum Beispiel als Trucker in Andreas Dresens "Sommer vorm Balkon":
"Ich hatte keinen Vater." – "Was hat denn das damit zu tun?" – "Ich hab zu viel von meinem Onkel gehört. Der hat immer gesagt, im Stehen von hinten gibt keine Kinder. Ist aber Quatsch."

Der Vater der Neuen Wilden

Albert Speer jr. schaffte es, sich von seinem Vater, dem Architekten Adolf Hitlers, zu distanzieren, obwohl er den gleichen Beruf ausübte. Speer jr. entwickelte Ideen für die Stadt der Zukunft.
Porträt des Dresdner Malers und Bildhauers A.R. Penck (eigentlich Ralf Winkler)
Der Dresdner Maler und Bildhauer A. R. Penck© picture alliance / Stefan Hesse
A. R. Pencks Strichmännchen gingen auf die Ursprünge der Kunst in der Höhlenmalerei zurück, Penck gilt als "Vater der Neuen Wilden". Der chinesische Schriftsteller, Menschenrechtler und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo starb an Krebs, vielleicht auch weil ihm die Behörden eine Behandlung im Ausland verweigerten. Peter Härtling war ein großer Erzähler und ein Gesellschaftskritiker. Er schrieb einen großartigen Roman über Verdi – aber auch fantasievolle Kinderbücher.

Legenden des Rock'n'Roll

Manche sagen, Fats Domino habe 1949 die erste Rock'n'Roll-Platte aller Zeiten aufgenommen. Er inspirierte Elvis Presley und die Beatles, kaum einer spielte damals das Boogie-Piano so hart und rhythmisch.
Der Urvater des Rock'n Roll, Fats Domino, Foto vom 19.11.1993. Lange bevor die Musik ihren Namen erhielt spielte sie Fats Domino bereits. Er komponierte rund ein Dutzend Rock'n Roll-Standards, brachte insgesamt 66 Songs in die Pop-Charts, verkaufte weltweit über 60 Millionen Schallplatten und konnte 23 Mal Gold für seine Singles einheimsen. Seit seinem neunten Lebensjahr spielt der in New Orleans geborene Musiker Klavier. 
Der Urvater des Rock'n'Roll, Fats Domino, auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1993© dpa / picture alliance / Matthias Ernert
Ähnlich bedeutend wie Fats Domino für das Klavier war Chuck Berry für die Gitarre im Rock'n'Roll. Durch seine grandiose Spieltechnik wurde das Instrument ein gleichberechtigter Partner für den Gesang. Johnny Halliday brachte den Rock'n'Roll nach Frankreich. Er starb 2017 ebenso wie der Jazzsänger Al Jarreau, Country-Legende Don Williams und die deutsche Blues-Königin Joy Fleming.
Klassikfans vermissen den Bassisten Kurt Moll und die Sopranistin Agnes Giebel, der ein Bach-Oratorium eine viel größere Herzensangelegenheit war als inszeniertes Musiktheater. Jeffrey Tate, der Chefdirigent der Hamburger Philharmoniker, wurde mit einer massiven Verkrümmung der Wirbelsäule geboren. Er ließ sich nicht unterkriegen, studierte Medizin und wurde ein humorvoller, energiegeladener Dirigent. Sein Lebensmotto lautete: "Keep calm and carry on – Bleib ruhig und mach weiter!"