Kultur-Nekrolog 2016

Kreative Größen, die wir vermissen

Der Schauspieler, Chansonnier und Autor Manfred Krug auf einem Foto aus dem Jahr 1990.
Der Schauspieler, Chansonnier und Autor Manfred Krug (1937 - 2016) © picture alliance / dpa - Fotoreport
Von Stefan Keim · 31.12.2016
Schauspieler, Dirigenten, Schriftsteller: Neben mehreren weltberühmten Popstars sind im vergangenen Jahr auch andere einflussreiche Kreative gestorben. Einige Protagonisten der ehemaligen DDR waren darunter.
"Bin der neue Parteisekretär. – Und ich bin Pittiplatsch, der Liebe."
Von seinem breitkrempigen schwarzen Hut lässt der Zimmermann Hannes Balla Wasser auf den Parteisekretär hinunter schwappen. Der Film "Spur der Steine" lief 1966 drei Tage lang in den Kinos der DDR. Dann wurde er wegen "antisozialistischer Tendenzen" verboten. Hauptdarsteller Manfred Krug war ein unbeugsamer Anarcho-Cowboy des Ostens:
"Ich halt mich an meine Beschlüsse, und wenn das nicht passt, dann gehen wir dahin, wo wir nicht belästigt werden. – Wie meinst du das? – So wie du es ganz richtig verstanden hast. Dahin, wo der Sozialismus nen Dreck wert ist."
1976 bekam Manfred Krug Berufsverbot und verließ die DDR. Der Stasi-Spitzel, der ihn verraten hatte, bekam von ihm Ohrfeigen. Im Westen wurde Krug als Tatort-Kommissar und Anwalt in der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg" zu einem der beliebtesten Schauspieler. Im Oktober starb er mit 79 Jahren an einer Lungenentzündung. Sechs Jahre älter wurde Hilmar Thate, der wie Krug in den Westen wechselte und dort mit Peter Zadek und George Tabori arbeitete.
Gisela May im Jahr 2000
Die Schauspielerin und Diseuse Gisela May (1924-2016)© imago/Gueffroy
Gisela May wählte einen anderen Weg. Sie blieb bis ins hohe Alter Sozialistin und spielte drei Jahrzehnte am Berliner Ensemble. Mit ihrer kraftvollen, warmen Stimme war sie eine ideale Interpretin der Chansons von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Auch nach dem Ende der DDR blieb sie glaubwürdig und populär.
Der Schriftsteller Hermann Kant am 28.2.2002 in seinem Haus in Prälank bei Neustrelitz
Der Schriftsteller Hermann Kant (1926-2016)© dpa / picture alliance / Stefan Sauer

Sozialistischer Botschafter mit Humor

Anders verhielt es sich mit Hermann Kant. Seine Bücher wie "Die Aula" waren Pflichtlektüre in der DDR und wurden dennoch gern gelesen. Weil er sozialistische Botschaften mit Humor und Leichtigkeit verband:
"Ganz sicher, also etwa 'Die Aula', das ist für mich die Geschichte eines Versuchs, Kommunist zu werden."
In einigen Büchern ließ Kant Systemkritik durchschimmern. Doch dann passte er sich an, wurde Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR und schließlich Mitglied des Zentralkomitees. Er befürwortete den Ausschluss kritischer Kollegen, bespitzelte Günter Grass und fand bis zu seinem Tod in diesem August kein Wort der Reue.
Der italienische Schriftsteller Dario Fo
Der italienische Schriftsteller Dario Fo (1926-2016)© dpa - picture alliance / Riccardo De Luca
Für einen unabhängigen Sozialismus stand der Dramatiker Dario Fo. Mit seiner Frau Franca Rame entwickelte er ein satirisches, linkes Volkstheater und legte sich mit allen Mächtigen an. Theater aus dem Geist der Commedia dell´Arte, mutig, kantig, kampfeslustig. Mit der Betonung auf lustig.

Personifizierte moralische Autorität

Eine moralische Autorität ganz anderer Art war Elie Wiesel. Er überlebte mehrere Konzentrationslager, schrieb autobiographische Bücher und kämpfte darum, dass die Politiker der Welt Lehren aus den unvorstellbaren Verbrechen zogen. Unvergesslich ist seine Rede vor sechs Jahren in Buchenwald, flankiert von Angela Merkel und Barack Obama:
"Somehow many of us were convinced that at least one lesson will have be learned that never again there will be war, that hatred is not an option."
Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel
Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel (1928-2016)© picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Elie Wiesel erinnerte an die Überzeugung der Überlebenden, dass Krieg und Hass nun endlich vorbei sein müssten. Dann stellte er infrage, ob die Politiker wirklich etwas gelernt hätten, ließ aber nicht von der Hoffnung ab. 2016 starben auch die ungarischen Schriftsteller Peter Esterhazy und Imre Kertesz, der italienische Philosoph und Romanautor Umberto Eco, die US-Amerikanerin Harper Lee, die Österreicherin Ilse Aichinger, der deutsche Intellektuelle und Fernsehmoderator Roger Willemsen und der Dramatiker Edward Albee, der mit "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" das Vorbild für viele krasse Eheschlachten verfasste.

Vielseitiger, feinfühliger Schauspieler

Auch Horst Schimanski hatte viele Nachfolger. Er war der erste Fernsehkommissar, der zur besten Sendezeit Scheiße sagte:
"Durch Schimanski ist er doch lebensfähig geworden, dieser Satz. Jeder sagt zu Hause 25.000mal Scheiße, nur im Fernsehen sagen sie, um Gottes willen, warum sagt der das? – Sagen Sie nicht Scheiße? – Ja, doch. – Na, also."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Schauspieler Götz George (1938-2016)© picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Götz George war ein vielseitiger, feinfühliger Schauspieler. Als Schimanski wurde er zur Kultfigur. Ebenso grandios verkörperte er den Massenmörder Fritz Haarmann in "Der Totmacher" oder seinen eigenen Vater Heinrich George in einer FilmBiografie. Wenn ihm jemand blöd kam, wie Thomas Gottschalk in "Wetten, dass ... " nahm Götz George kein Blatt vor den Mund:
"Also, komm auf den Film zu sprechen. Der ist mir wichtiger als das, was du redest."
Uwe Friedrichsen starb 2016 ebenso wie die großen alten Theatermimen Hans Korte und Michael Altmann.
Der polnische Film- und Theaterregisseur Andrzej Wajda, aufgenommen am 27.11.2013 in Krakau
Der polnische Film- und Theaterregisseur Andrzej Wajda (1926-2016)© picture alliance / dpa / Jacek Bednarczyk
Besonders schlimm erwischte es das internationale Kino. Jacques Rivette, einer der prägenden Köpfe der französischen Nouvelle Vague, der Italiener Ettore Scola, der Iraner Abbas Kiarostami, der Pole Andrzej Wajda, der Argentinier Hector Babenco, der Amerikaner Michael Cimino – sie alle waren Filmregisseure von Weltrang. Auch das Schaffen von Herschell Gordon Lewis hatte weitreichende Folgen, denn er schuf in den 60er-Jahren den Splatterfilm. Und mit Gene Wilder und Alan Rickman starben zwei einzigartige Schauspieler.
Der französische Dirigent und Komponist Neuer Musik, Pierre Boulez, dirigiert am 17.10.2008 bei einer Generalprobe des Eröffnungskonzertes der Donaueschinger Musiktage das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.
Der französische Dirigent und Komponist Pierre Boulez (1925-2016)© picture-alliance / dpa / Rolf Haid
Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez wurde mit der Forderung berühmt, alle Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Später dirigierte er in Bayreuth den sogenannten "Jahrhundert-Ring". Ebenso einflussreich war der Dirigent Nikolaus Harnoncourt, einer der Väter der historischen Aufführungspraxis.
Sie sehen die Architektin Zaha Hadid.
Die Architektin Zaha Hadid (1950-2016)© picture-alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga

Königin der Kurven und fließenden Formen

Mit nur 65 Jahren starb die aus dem Irak stammende Architektin Zaha Hadid, die als Königin der Kurven und fließenden Formen galt. Eine andere Form der Schönheit vertrat der österreichische Karikaturist Manfred Deix. Seine Bilder zeigen den Menschen als monströses Wesen aus Fleisch und Körpersäften. Deix selbst sah sie allerdings ganz anders:
"Ich wehr mich gegen den Vorwurf, ich würde die Menschen hässlicher darstellen, als sie sind. Das stimmt überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, ich mach die Menschen schöner, als sie sind."
Der österreichische Grafiker, Cartoonist, Karikaturist, Musiker und Buchautor Manfred Deix, aufgenommen am 13.10.2007 auf der Internationalen Frankfurter Buchmesse.
Der österreichische Karikaturist, Musiker und Buchautor Manfred Deix (1949 - 2016)© picture-alliance / dpa / Arno Burgi
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