Künstlerduo "Kissing Cousins"

Einmal Kunst rot-weiß, bitte

06:11 Minuten
Zu sehen sind zwei Männer, die hintereinanderstehen. Sie tragen einen Fes auf dem Kopf und rote Adidas-Trainingsanzüge.
Zwei Cousins mit drei Streifen: Mehmet und Kazim Akal spielen mit Klischees. © Kilian Blees
Von Tobias Krone · 17.06.2020
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Die Cousins Mehmet und Kazim Akal starten gerade durch – mit Kunstgeschichte im Hip-Hop-Style und einer ersten Monografie. Ihre Farben sind Rot und Weiß, wie sich Tobias Krone beim Besuch im Münchner Atelier des Duos überzeugen konnte.
Am Anfang sei es darum gegangen, das Ego zu verlieren, sagt Kazim Akal. Doch das ist leichter gesagt als getan. Vor allem im Hip-Hop.
"Klar, jeder hat seine Gedanken, jeder hat seinen Stolz und denkt dann immer, er ist der bessere – vielleicht, irgendwo. Und deswegen haben wir am Anfang uns gegenseitig gecrossed, so nennt man das. Er hat was gemalt, war super stolz drauf, und ich habe es einfach übermalt", erläutert der Künstler, wie das dann doch ging. "Die Regel war: Man darf einfach nichts sagen, es ist einfach so. Er darf auch meines übermalen. Irgendwann hat man sich so weit übermalt, dass das Bild plötzlich da ist und man weiß: Okay, eigentlich ist es gut so."

Gemeinsam Kunst studiert

Kazim Akal steht im Kapuzenpulli vor einer seiner letzten Arbeiten – einem mutmaßlichen Selbstporträt in Öl und Graffiti-Optik; neben ihm sein Cousin Mehmet Akal. Die beiden treten gemeinsam auf, seitdem sie im Duo ihr Kunststudium begonnen haben. Ihr türkischer Nachname ist Konzept. Farbkonzept: "Ak ist weiß und al ist rot. Und das ist so unser kleinster gemeinsamer Nenner", erläutert Mehmet Akal.
Auf dem Wägelchen im Atelier stapeln sich die Tuben mit weißer und roter Ölfarbe. Seit Jahren malen sie rot auf weiß, manchmal auch monochrom rot auf rot: ihre Comicfiguren auf Leinwand. Die Köpfe haben die Form von Luftballons, die Locken einfach als Farbwurst direkt aus der Tube geformt. Die Lippen sind geschürzt zu stilisierten Kussmündern.

Lang lebe das Klischee

Eine Hommage an ihren Lehrer an der Kunstakademie: Markus Oehlen, in den Achtzigern einer der Jungen Wilden, hatte sie so im Scherz genannt - "Kissing Cousins". "In der Hip-Hop-Szene oder Graffitiszene gibt einem der Mentor den Künstlernamen", erklärt Mehmet Akal. "Das fanden wir lustig, dass er das so gemacht hatte. Dann haben wir gesagt: Okay, cool, dann übernehmen wir das gleich. Seitdem sind das unsere Superhelden, unsere Alter Egos, die mit allem spielen, allem brechen, allen Dogmen, -ismen; egal was – und retten die Welt vor dem Bösen mit Herzchen und Kussmündern."
Zwei deutsch-türkische Chabos mit Bart, roten Adidas-Trainingsanzügen und Herzchenbrille. Auf den zahlreichen Fotos in ihrem Künstlerbuch "Kissing Cousins" posieren sie selbst als diese Superhelden – sie überaffirmieren Klischees und brechen sie gleich wieder. Sowohl den Migrationshintergrund ihrer Vorfahren als auch die Kunstwelt. Die sei oft zu kühl, finden sie. Also malen sie sich selbst, wie sie mit Schwimmflügeln, Herzchen-Shorts und einem Glas Vernissagen-Prosecco im Meer stehen, während sich am Grund schon die Tentakel finsterer Weichtiere um ihre Füße winden.

Mit Furzmaschine vorm Professor

Ihr Großvater war zwar ein wichtiger, verfolgter Künstler in der Türkei, doch die Eltern waren Arbeiter in Deutschland. Museumsbesuche waren als Kind nicht drin.
Richtig kuschelig war denn auch die Bewerbung für die Kunstakademie bei Markus Oehlen nicht. "Der hat uns dann mit den Worten aufgenommen: Eure Arbeiten sind scheiße, aber ihr seid zwei coole Jungs", berichtet Mehmet Akal.
Und Kazim Akal ergänzt: "Am Anfang haben wir uns sehr weit entfernt von unserem Ursprung. Es ist immer so mitgeschwungen, dass Hip-Hop und Graffiti eigentlich nicht so viel zu suchen hat in der Kunst. Aber wir sind da auch hingegangen mit der Einstellung, uns da freizumachen. Das Ganze ist so geendet, dass wir am Ende vor dem Professor standen mit einer Furzmaschine, die vom Hinterteil in die Nase gegangen ist und man konnte sich sozusagen selbst riechen. So. Das war so der Zenit unseres zeitgenössischen Kulturbegriffs. Dann hat der Markus gesagt: 'Jungs, ihr habt doch alles, wieso macht ihr es euch so schwer?'"
Im Buch dokumentieren Mehmet und Kazim selbstironisch, wie sie ihren Weg in die Kunst und damit wieder zu sich selbst fanden – etwa mit den entblößten Hinterteilen im blank-polierten Bubble-Style, betitelt mit "Selbstporträt". Oder mit einer Serie, in der sie mit überdimensionierten Jeansjacken-Aufnähern im Stil New Yorker Streetgangs verschiedenen Kunstströmungen huldigen – den "Blue Riders" beispielsweise oder den "Insane Dadaists".

Die Hidschab in der Pinakothek

Das Wort "Identität" als T-Shirt-Aufschrift, den Trainingsanzug am Leib, das Fes-Hütchen auf dem Kopf – ständig blitzen im Werk Mehmet und Kazims Teile einer postmigrantischen Herkunft auf. Doch nur ganz nebenbei, ohne sich Rechtfertigungszwängen auszusetzen.
Es gibt wahrscheinlich derzeit nichts Politischeres als ein Mädchen in eine Hidschab aus Herzchenmuster gehüllt. Ein Wandgraffito, das Sie 2019 in der Pinakothek der Moderne München ausstellten.
"Humor ist für uns sehr wichtig", sagt Kazim Akal. "Aber, das bedeutet nicht, dass es uns nicht absolut ernst ist mit dem, was wir da machen. Das darf man nicht verwechseln."
Wer Mehmet und Kazim, ihren gut gelaunten Posen und ihrer vor Ideen sprühenden Kunst im Buch zusieht, merkt: Im Spiel der Identitätspolitik gehen sie längst als Sieger vom Platz.
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