Künstler starten Online-Petition

Forderung nach Solidarität mit Kuba

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Mobiler Marktstand auf Kuba, der von einem Fahrrad bewegt werden kann. Im Vordergrund gelbe Bananen, hinter dem Stand sitzt der Händler.
Mobiler Marktstand auf Kuba: Die Menschen auf der Insel sind arm. Jenny Erpenbeck macht dafür vor allem die Wirtschaftsblockade der USA verantwortlich. © picture alliance / dpa / imageBROKER / Thomas Dressler
Jenny Erpenbeck im Gespräch mit Vladimir Balzer · 24.06.2020
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Mehr als 50 namhafte Künstlerinnen und Künstler appellieren an die Bundesregierung, die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba nicht zu streichen. Die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck hält auch ein Ende des US-Wirtschaftsembargos für dringend geboten.
60 Jahre dauert das US-Wirtschaftsembargo gegen Kuba inzwischen schon an. Die längste Blockade der Geschichte - mit dem Ziel, die kommunistische Führung Kubas zu stürzen. "Das ist, als ob man einem Land verbietet, zu überleben - und es am ausgestreckten Arm verhungern lässt", sagt die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck.

Nicht das falsche Zeichen setzen

Zugleich hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nun kürzlich eine Strukturreform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit angekündigt. Deutschland ist momentan in etwa 85 Ländern engagiert, künftig sollen es deutlich weniger sein. Nach Medienberichten steht auch Kuba auf der Streichliste.
Mehr als 50 namhafte Künstlerinnen und Künstler wenden sich deswegen jetzt an die Bundesregierung: Neben Jenny Erpenbeck gehören auch Fatih Akin, Wim Wenders, Julia Franck, Noam Chomsky oder Nora Bossong zu den Erstunterzeichnern einer Online-Petition.
Auf dem Bild ist die Autorin Jenny Erpenbeck mittig auf dem Bild zu sehen, sie guckt grade lächelnd in die Kamera
Jenny Erpenbeck setzt sich für Kuba ein.© imago/Italy Photo Press
"Man wundert sich", sagt Erpenbeck, "dass die Angst so groß ist vor der kleinen Insel, die noch die Stellung hält." Deutschland dürfe mit dem Aussetzen der Entwicklungshilfe nicht das falsche Zeichen setzen: "Zumal Kuba in Bezug auf manche Menschenrechte weiter ist als der Westen. Es gibt dort das Recht auf allgemeine Bildung, ein gutes Gesundheitsszstem, das in ganz Südamerika seinesgleichen sucht." Es sei beeindruckend, dass man auf der Insel kaum Analphabeten begegne.

Kubanische Ärzte helfen im Ausland

Kubanische Ärzte unterstützten momentan 27 Länder im Einsatz gegen das Coronavirus. Für Erpenbeck stellt sich die Frage, ob die Kubaner ihre Mediziner auch künftig weiter in andere Länder schicken können, um zu helfen. "Plötzlich gibt es eine Empfehlung an bestimmte Länder, diese Ärzte nicht mehr zu nehmen." Die EU könnte diesen Ländern Rückendeckung gegenüber den USA geben, findet sie. "Möge der Welt nichts Schlimmeres passieren, als dass eine Ärzteentsendung eine PR-Maßnahme ist."
Auf Kuba herrsche Mangelwirtschaft und allgemeine Armut, sagt Erpenbeck, "die unter anderem durch die Blockade kommt. Aber es gibt Leute, die abends auf der Promenade im Lampenlicht Bücher lesen. Es gibt eine Gesellschaft, in der Konsum tatsächlich keine Rolle spielt."
Die deutsche Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 sieht Erpenbeck als Chance für die EU, sich von der Trump-Politik abzusetzen. Für Erpenbeck funktioniert Freiheit auch im Westen im Guten wie im Schlechten: "Man hat in den USA auch die Freiheit, so arm zu sein, dass man an Corona stirbt, weil man nicht ins Krankenhaus kann. Die Freiheit hat auch dort Grenzen."
(mfied)

Das Gespräch im Wortlaut:
Vladimir Balzer: Prominente Namen aus der deutschen Kultur verbindet, dass sie sich mit Kuba solidarisieren in einer öffentlichen Petition, in der das Ende der Blockade durch die USA gefordert wird, und das kurz vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Da erwartet man auch von Deutschland und von Europa insgesamt ein Zeichen Richtung Kuba. Mit dabei: Fatih Akin, Jan Delay, Julia Franck, Peter Lohmeyer, Volker Schlöndorff, Hannah Schygulla, Wim Wenders und auch die vielfach prämierte Schriftstellerin Jenny Erpenbeck. Sie fordern ein Ende der US-Blockadepolitik. Warum?
Jenny Erpenbeck: Diese Blockade ist seit 60 Jahren im Gang, das muss man sich mal vorstellen. Es ist im Prinzip so, als ob man einem Land verbietet, zu überleben - und es am ausgestreckten Arm verhungern lässt.
Das wird unter den jetzigen Bedingungen mit Corona natürlich noch verschärft und tritt sozusagen noch klarer ins Bewusstsein, dass da was geändert gehört. Stattdessen erlebt man, dass Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba aufkündigt und eigentlich genau das macht, was Trump erreichen will, sich amerikafreundlich verhält.
Balzer: Aber von EU-Seite gibt es ja auch Kritik an dieser Blockadepolitik.
Erpenbeck: Es hat sich aber nichts geändert.

Profil gegenüber Trump gewinnen

Balzer: Erwarten Sie, dass sich etwas ändert mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, dass sich etwas bewegen könnte in Ihrem Sinne?
Erpenbeck: Ich finde es zumindest wichtig, dass in Erinnerung gerufen wird, dass es eine Problemlage gibt, die nun irgendwann auch mal tatsächlich überdacht und geändert gehört. Das wäre doch auch ein guter Moment, sich abzusetzen und zu profilieren gegenüber der Trump-Politik, die ja immer noch sehr auf Kalten Krieg setzt. Man wundert sich ja beinah, dass die Angst so groß ist vor dieser kleinen Insel, die da noch die Stellung hält.
Balzer: Aber die Europäische Union blockiert ja Kuba nicht. Was könnte denn die EU realistischerweise gegen die Trump-Regierung auf diesem Gebiet wirklich ausrichten?
Erpenbeck: Diese Blockade heißt ja auch, dass Leuten untersagt wird, mit Kuba Handelsverträge zu schließen, und ich denke, in dem Moment sollte Deutschland nicht das falsche Zeichen setzen, indem es die Entwicklungshilfe aussetzt, zumal ja bekannt ist, dass Kuba in vielerlei Hinsicht in Bezug auf manche Menschenrechte tatsächlich sogar weiter ist als der Westen.
Es gibt dort das Recht auf allgemeine Bildung, es gibt ein gutes Gesundheitssystem, was in ganz Südamerika seinesgleichen sucht, und das wissen alle. Momentan stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Kubaner ihre Ärzte weiterhin in andere Länder schicken können, um zu helfen, und durch diese Ärzte hat Kuba auch Devisen eingenommen.
Plötzlich gibt es ein Verbot oder eine Empfehlung an bestimmte Länder, diese Ärzte nicht mehr zu nehmen. Solche Sachen könnte, denke ich, ein europäischer Beschluss schon kippen beziehungsweise die Länder stützen, die ohne die USA aufgeschmissen wären und sich nicht trauen, sich dagegen aufzulehnen.

Ein weiter Blick auf die Dinge

Balzer: Bei allem Respekt vor dieser Ärzteentsendung in Corona-Zeiten: Man kann das natürlich auch als PR-Maßnahme der kubanischen Regierung interpretieren.
Erpenbeck: Ich kann nur sagen: Möge der Welt nichts Schlimmeres passieren, als dass eine Ärzteentsendung eine PR-Maßnahme ist.
Balzer: Sie haben das Stichwort Bürgerrechte, Menschenrechte erwähnt. Kuba wird seit Jahrzehnten vorgeworfen, dass das Land politisch unfrei ist, die Opposition unterdrückt wird, es gibt Angst vor Repressionen, die offiziellen Medien gelten als gleichgeschaltet. Inwieweit muss sich sich da Kuba noch entwickeln?
Erpenbeck: Ich glaube, es täte dem Westen ganz gut, wenn es da einen weiteren Blick auf die Dinge gäbe. Als ich dort war, hat mich beeindruckt, dass es kein Analphabetentum gibt, wie in anderen südamerikanischen Ländern, wo ich war. Es gibt allgemeine Armut, die unter anderem natürlich auch durch diese Blockade kommt, es gibt viele Dinge nicht, es ist eine Mangelwirtschaft, auch ganz klar, wenn man allein auf der Welt ist, aber es gibt Leute, die abends auf der Promenade im Lampenlicht sitzen und Bücher lesen. Es gibt eine Gesellschaft, in der Konsum tatsächlich keine Rolle spielt, und das kann man natürlich auch als eine Art von Freiheit betrachten.
Balzer: Man könnte aber auch aus Ihren Worten schlussfolgern, dass Sie einen sehr romantischen Blick auf diese Insel haben.
Erpenbeck: Sagen wir mal, ich finde es immer noch angebracht, über Alternativen nachzudenken. Wir sehen doch, dass bestimmte Entwicklungen in der Monopolisierung der westlichen Welt dazu führen, dass die Ressourcen ausgebeutet werden in einer Weise, die uns nicht für Jahrhunderte das Überleben sichern wird.
Auch in so einer Zeit wie jetzt mit Corona, wo man über Globalisierung noch mal anders nachdenkt, über Solidarität noch mal anders nachdenkt, kann Kuba in mancherlei Hinsicht auch einen Anstoß geben, noch mal positiv über solche Dinge nachzudenken.
Die Freiheit ist ja eine Freiheit, die im Guten wie im Schlechten auch im Westen funktioniert. Man hat in den USA auch die Freiheit, so arm zu sein, dass man an Corona stirbt, weil man nicht ins Krankenhaus gehen kann. Die Freiheit hat auch dort Grenzen.

Andere Vorstellungen über das Glück der Menschheit

Balzer: Das klingt so, als ob Kuba tatsächlich nur das Opfer wäre.
Erpenbeck: Ich würde einfach sagen, dass ein Staat Handel treiben können muss, und ich finde, dass Trump sich immer noch als Weltpolizist aufspielt, der bestimmen darf, wer das macht und wer das nicht macht. Das ist eine veraltete Art zu denken.
Es muss doch die Möglichkeit geben, dass auch Leute, die andere Vorstellungen davon haben, wie das Glück der Menschheit erreicht werden kann, dass die Handel treiben dürfen mit dem Rest der Welt.
Das ganze westliche System beruht darauf, dass man Alternativen hat, dass man im Wettkampf ist, das wird ja auch immer gesagt, wir sind im Wettbewerb. Beim Wettbewerb der Gesellschaften hört es plötzlich auf mit dem Konkurrenzdenken. Das finde ich komisch.
Balzer: Ist für Sie Kuba so eine Art Alternativgesellschaft, eine Art Gegenstück zum globalen Kapitalismus?
Erpenbeck: Ich finde schon. Ich finde es erstaunlich, wie die sich halten unter diesen grässlichen Bedingungen. Als die Sowjetunion und die Unterstützung der Sowjetunion weggebrochen ist, ging es denen eine Zeit lang wirklich sehr schlecht, das haben mir Leute dort erzählt. Ich habe viele dort kennengelernt, die noch wirklich persönlich mit Che Guevara und Fidel Castro verbunden, auch im Denken verbunden sind. Ich finde das interessant.
Balzer: Ich habe jetzt noch kein einziges kritisches Wort von Ihnen gehört über die politischen Unfreiheiten, über die Wirtschaft, die am Boden ist – das hängt sicherlich zum Teil auch mit dem US-Embargo zusammen, aber ganz sicher nicht nur – über die Verfolgung der Opposition. Auch viele Künstlerinnen und Künstler, Schriftsteller, Schriftstellerinnen leiden ja durchaus unter der staatlichen Zensur und unter der Behördenwillkür. Da liegt doch vieles im Argen auf dieser Insel, auch politisch, gesellschaftlich, oder?
Erpenbeck: Ich habe ja gesagt, es ist eine Mangelgesellschaft, ganz klar, es ist eine Insel. Eine Insel ist immer ein Problem. Auch Island muss ja alles importieren. Ich habe zu der Zeit, als ich dort war, niemanden getroffen, der Probleme gehabt hätte.
Zum Beispiel diese Buchmesse in Havanna, das ist die schönste Buchmesse, auf der ich jemals war. Buchmessen sind sonst eigentlich eher anstrengend. Die Buchmesse in Havanna ist ein Volksfest, wo Familien hingehen, wo Leute hingehen aus, wie es hier immer heißt, bildungsfernen Schichten. Das ist wirklich eine Sache, die geliebt wird. Das waren Eindrücke, da muss ich ganz ehrlich sagen, das werde ich nicht vergessen.
Balzer: Sie merken schon, ich versuche noch unbedingt aus Ihnen herauszuholen, dass Sie ein kritisches …
Erpenbeck: Was soll ich sagen, ich werde hier definitiv nicht … Also ich kann nicht, und ich werde nicht solche Dinge sagen. Ich habe niemanden getroffen, der oppositionell war und Probleme hatte. Das ist vielleicht ein Mangel, das lag daran, dass ich nur zwei Wochen da unterwegs war und einfach niemanden getroffen habe.
Ich finde es immer ganz schwierig, dass davon ausgegangen wird, dass alle Gesellschaften in der Welt so werden müssen wie unsere, um gleichberechtigt behandelt zu werden. Das finde ich problematisch. Ich finde auch problematisch, dass ich das jetzt sagen soll, da bin ich die Falsche.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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