Künstler Erwin Wurm

„Mich hat die Arbeit an die Hand genommen“

34:10 Minuten
Der östereichische Bildhauer Erwin Wurm beantwortet am 05.07.2017 im Museum Küppersmühle in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) während der Pressekonferenz Fragen der Journalisten
Der österreichische Künstler Erwin Wurm © dpa / Roland Weihrauch
Moderatorin: Ulrike Timm · 11.03.2019
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Seine "One-Minute-Sculptures" sind sein Markenzeichen: Der österreichische Bildhauer und Maler Erwin Wurm liebt das Spiel mit Alltagsgegenständen. So präsentiert er in seiner aktuellen Ausstellung in Berlin Essiggurken auf weißen Podesten.
Menschen, die sich Nudeln ins Gesicht kleben, sich auf Tennisbälle legen, ihre Arme durch Stuhllehnen fädeln und damit für einen Moment zum Teil einer Skulptur werden. Erwin Wurm ist der Erfinder der sogenannten One-Minute-Skulpturen, mit denen er "absurde Situationen und paradoxe Positionen schaffen" möchte, die "den Blick auf unsere Welt schärfen und verändern".
Mit den One-Minute-Skulpturen wollte er ein Pendant finden zu unserer schnelllebigen Zeit, sagt der Bildhauer.
"Eine Minute ist ja nur ein Synonym für ‚kurz‘. Das kann zehn Sekunden oder zwei Minuten sein. Die Arbeiten sind auch sehr nah an unserer Alltäglichkeit angelegt, aber doch so weit entrückt, dass sie Neues aufkommen lassen."

Nach Lebenskrise fiel das Wollen weg

Die One-Minute-Skulpturen begann Erwin Wurm nach einer anderthalbjährigen Lebenskrise zu entwickeln. Damals waren seine beiden Eltern kurz nacheinander verstorben und seine Frau mit den zwei gemeinsamen Kindern hatte sich von ihm getrennt.
"Das alles zusammen war wirklich ein ordentliches Paket und das hat das Oberste zuunterst gekehrt und ich habe anderthalb Jahre nicht arbeiten können, weil ich voll war mit allem anderen."
Dann habe er die Erfahrung gemacht, dass sich in den anderthalb Jahren seiner reaktiven Depression viel verändert hatte.
"Ich hatte einen anderen Blick auf die Kunst. Viel Wollen ist plötzlich weggefallen. Mich hat da fast die Arbeit an die Hand genommen und geführt. Ein interessantes Phänomen. Also nicht ich habe die Arbeit geführt, sondern umgekehrt."
Ein Statist ist am 06.05.2014 am Eingang des Städel-Museums in Frankfurt am Main (Hessen) bei der Vorführung von Erwin Wurms "einmal Hund sein" mit einem Hundehalsband angeleint.
"Einmal Hund sein" - aus der Serie "One Minute Sculptures" von Erwin Wurm © dpa / Arne Dedert
Das Werk des 64-jährigen Erwin Wurm umfasst aufgeblasene Häuser, verformte Laster, Handtaschen auf Füßen, überdimensionierte, ausgestopfte Hosen, Kartoffeln, die aus einer Wand ragen, aber auch zarte Bleistiftzeichnungen, Videos und Fotografien. Ihm sei klar, dass seine Kunstwerke eine "niedrige Eingangsschwelle" haben.
"Ich arbeite ja auch mit Realismen und Bildern, die von Comic Strips oder Science Fiction kommen. Man ist sehr schnell dabei oder glaubt, sehr schnell dabei zu sein. Aber es gibt auch noch eine zweite und dritte Ebene, die man erobern kann oder auch nicht."

Im "narrow house" überträgt sich geistige Enge

Sein bekanntestes Werk ist das "narrow house", ein im Maßstab zusammengequetschtes Abbild des Hauses, das sein Vater eigenhändig erbaute. Er habe das Elternhaus von zehn auf einen Meter Breite reduziert. Auch alle Räume, Möbel und Bilder, die sich entsprechend dem Original im "narrow house" befinden, sind ebenfalls im Maßstab reduziert.
"Zu dieser Absurdität der gequetschten Proportionen kommt das ganz starke Gefühl der Klaustrophobie und der Enge. Und die Enge liest sich sehr schnell auch als geistige Enge. Und das überträgt sich sehr intensiv."
Seine Familie sei "wahnsinnig reizend" gewesen. Kunst habe dort nicht existiert.
"Es war aber eine kleinbürgerliche Familie, die so war, wie eben alle waren in Österreich zu dieser Zeit. Mit sehr bestimmten Vorstellungen und Einstellungen. Und im Nachhinein durch das Reflexive und das Kennenlernen der Welt ist mir erst aufgefallen, Hoppla, das war ja eine sehr spezielle Zeit und eine sehr spezielle Gesellschaft, in der ich da aufgewachsen bin."
(ruk)
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