"Künstler des Jahres": Kemang Wa Lehulere

Bilder für die Post-Apartheid-Zeit

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Kemang Wa Lehulere © Deutsche Bank Kunsthalle / Foto: Adam McConnachie
Von Jochen Stöckmann · 23.03.2017
Bibeln als Knebel, ein Flügel aus Holzprothesen: Der Südafrikaner Kemang Wa Lehulere erschafft mit seiner Kunst ein assoziatives Gespinst aus Bilderfindungen, historischen Anspielungen und kritischen Zeitkommentaren. Nun wurde er von der Deutschen Bank als Künstler des Jahres ausgezeichnet.
Der "Bird Song" beginnt stumm, mit einem farbenfroh gemalten Vogel. Ein Kleinformat, eingefügt in die hohe weiße Wand der Kunsthalle. Das Foto eines verwitterten archäologischen Fundstücks irritiert im blitzsauberen White Cube. Mit Absicht, denn das Original war ein Wandgemälde von Gladys Mgudlandlu. Deren Geschichte erzählt der sehr viel jüngere Kemang Wa Lehulere. Als erste Farbige wurde die Künstlerin in den 70ern in südafrikanischen Galerien gezeigt – und deshalb von den Gegnern der Apartheid als naive Vorzeigemalerin der Weißen kritisiert. Das brachte ihr den Spitznamen ein "Bird Lady – weil sie Vögel malte und Landschaften", sagt Wa Lehulere.

Township-Häuser von Nazi-Ghettos inspiriert

"Aber eben auch Township-Häuser. Diese Wohnsiedlungen im Apartheid-Regime waren von den Ghettos der Nazis beeinflusst: höchstens zwei Zugänge, um jede Bewegung der Bevölkerung zu kontrollieren, also ganz strategisch gebaut."
Es geht um Wände und Mauern, nicht nur um naive Vogelbilder. Und selbst die können geheime Botschaften bergen, frei wie ein Vogel. Aber als Wa Lehulere – selber in Townships aufgewachsen – die Wandgemälde viele Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes entdeckte und sorgsam freilegte, da konnten nur wenige diesem differenzierten Blick auf die Kunst der Lady Bird folgen, denn, so Wa Lehulere:
"Der Übergang von einem System zum anderen geschieht nicht über Nacht. Und jede Machtstruktur formt die Menschen: mental, ihre Gefühle, die Psychologie, bis hin zum Körper. Es gab auch radikale Künstler, für die war Selbstbestimmung und Identitätspolitik das große Thema.

Ausgebildeter Schreiner – und als Künstler Autodidakt

Wa Lehulere selbst gehörte zu diesen "Radikalen", war Mitbegründer des Kollektivs Gugulective. Die Künstlergruppe fragte, welchen grundlegenden Kulturwandel die "Post-Apartheid" denn nun tatsächlich mit sich gebrachte habe. Alte Metaphern waren kollabiert, traditionelle Symbole hatten ihre Eindeutigkeit verloren. Um aber eine neue Bildersprache nicht einfach nur zu erfinden, sondern auch auszuprobieren, dafür forderten die jungen Wilden neue Räume für die Kunst. Nicht Ateliers, sondern andere Formen der Öffentlichkeit. Das berührte ästhetische Fragen, und dabei hat Wa Lehulere – ausgebildeter Schreiner und als Künstler Autodidakt – viel gelernt. Und so spinnt er den von der "Lady Bird" aufgenommenen Faden mit eigenen Tusche-Variationen fort, die das Vogelmotiv in ein Strichgefieder von Abstraktionen verwandeln. Um sich dann einer Installation mit Vogelhäuschen zu widmen – einerseits Schutz, andererseits Käfig.
Wa Lehulere: "Um dafür die treffende Ausdrucksweise zu finden, habe ich über eine Fotoserie nachgedacht. Dann wollte ich eine physische Präsenz in der Ausstellung, Skulpturen. Aber schließlich war Video das Beste, das bringt jetzt herein, was Skulpturen nicht schaffen."

Wa Lehuleres Kunst lässt Hoffnungen anklingen

Mit diesen Medien spielt Wa Lehulere – und schafft dadurch weite Räume für Assoziationsketten. Alte, zerkratzte Schulbänke verweisen auf Zwänge, aber auch Chancen der Erziehung. Daneben hängen Dutzende hässlicher Holzprothesen von der Decke – und formen einen wunderbar schwebenden Flügel. Bibeln in der Eingeborenensprache Xhosa stecken als Knebel zwischen künstlichen Gebissen, die Religion als Sprachpfropf. Anfangs ratlos, dann überrascht wird der Betrachter hineingezogen in das Gespinst von Bilderfindungen, historischen Anspielungen und kritischen Gegenwartskommentaren. Und findet sich wieder mitten in der südafrikanischen Gesellschaft.
"Es hat sich nicht viel geändert, die Leute werden ungeduldig", sagt Wa Lehulere. "Nicht nur Künstler oder junge Leute meiner Generation. Aus der ganzen Gesellschaft kommen Proteste, schon seit Jahren. Sie wollen jetzt Freiheit, wirtschaftliche Unabhängigkeit – und nicht länger warten.
Wie reagiert der Künstler? Nicht mit kleinen Fluchten oder großen Utopien. Kemang Wa Lehulere zeichnet Widersprüche nach, macht Risse sichtbar, lässt Hoffnungen anklingen.
(tmk)
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