Kühe an der Wand

Von Georg Gruber · 11.04.2005
Kunst mit Kühen - dadurch wurde er bekannt: Er klappte eine Kuhweide in die senkrechte, montierte lebensgroße Kühe an eine Häuserwand, mitten in der Stadt.
Diese Installation wurde Touristenattraktion und eines der Wahrzeichen des Berliner Szene-Viertels Prenzlauer Berg. Die Kühe sind inzwischen von der Hauswand verschwunden, seit Herbst ist an derselben Stelle ein neues Kunstwerk, mit farbigen Neonleuchten. "Wilde Natur" heißt es. Auf der Hannover Messe (11.-15.April) steht ein überlebensgroßer, begehbarer Kopf, die aufwändige Technik stammt vom Frauenhofer Institut, die Idee von dem Berliner Künstler Sergej Dott.


Dott: "''Man schiebt 1000 Sachen an.
Und wenn von diesen tausend Sachen drei funktionieren, dann war das wunderbar, wenn man sowas macht begibt man sich immer ins Risiko."

Berlin, Prenzlauer Berg. Schon von weitem ist ein farbiges Leuchten zu sehen, wenn man vom Kollwitzplatz kommt, dem Zentrum des Viertels ...
Das Klacken ist der Takt der Nacht, die Technik hinter dem Leuchten.

Eine ganze Hauswand voll buntem Neon, geschwungene Linien, Figuren, Symbole:

Mann: "Ich fand da oben eine Figur sehr spannend, die hat ein blaues Auge und ein pochendes Herz und dieses pochende Herz dominiert eigentlich alles."

Umfrage: "Ich empfinde das wie ein Panoptikum von verschiedenen Szenen."
"Es hat auch was Meditatives, wenn man da drauf kuckt, dann kuckt man da ewig drauf."

"Wilde Natur" heißt das blinkende Werk an der Wand, das sich einer einfachen Deutung verschließt.

Dott: "Die Quintessenz all dessen ist: die Explosion im Kopf wird verschoben,"

sagt der, der es erschaffen hat: Sergej Dott.

Sein Atelier hat er eine gute halbe Stunde Autofahrt entfernt, auf dem weitläufigen Gelände des früheren DDR-Rundfunks, das auf einer Käufer wartet und von Bands und Künstlern zwischengenutzt wird.

Dott: "Das ist jetzt hier noch eine kleine Halle, wo wir jetzt gerade arbeiten und für die Hannover Messe diesen großen Kopf machen."

Souverän, mit einem leichten Lächeln steht er da, der Kopf, am Rand der Halle, durch deren Decke das Wasser tropft.

Dott: "Drei Meter fünfzig breit, drei Meter siebzig tief, im Hinterkopf eine Tür, kann man reingehen, drin hat man nachher Fernsehgeräte."

Der Mensch sieht sich selbst.

Dott: "Im Fußboden hat man einen Monitor drinne, da hat man ein schlagendes Herz drin."

Er kann Befehle geben, ohne Kabel und Tastatur, allein durch Bewegungen, Gesten.

Dott: "Die Idee ist, dass man mit den Sinnen des Menschen arbeitet, bzw. gleichzeitig mit den Funktionen, man steht in einem Kopf drin, schaut ein Herz, das schlägt, nimmt den Kopf hoch und sieht plötzlich das Hirn, wie es funktioniert, das wird auch noch bearbeitet, in dem die einzelnen Energieströme gezeigt werden,"

zu sehen ist das ganze zuerst auf der Hannover Messe, dann, so die Vision des Künstlers,

Dott: "Es gab immer den Wunsch, da hin auszubrechen"

im "öffentlichen Raum" einer großen Stadt.

Denn der "öffentliche Raum" ist seine Bühne, seine bevorzugte Ausstellungsfläche seit Mitte der 90er:
Dott: "Die Leute gehen ganz normal an den Dingen vorbei, sie gehen einkaufen, sie machen, was sie wollen, und das ist natürlich eine schöne Chance für Kunst wirksam oder ein Bestandteil des normalen Lebens zu werden."

Die Kühe, die er Ende der 90er an einer Hauswand in Prenzlauer Berg montierte, wurden Touristenattraktion, ein Wahrzeichen des Viertels. Er wurde bekannt, reich allerdings nicht, denn seine Projekte sind teuer, allein von den Materialkosten her -

Dott: "Auf dem Balkon hatten wir drei Bienenvölker."

Er ist das Improvisieren gewohnt, von Kindheit an.

Dott: "Im Keller wurden Hühner gezüchtet."

1959 geboren in Ostberlin, wuchs er in einer Großfamilie auf, mit fünf Geschwistern.

Dott: "Meine Großmutter baute im Garten Tabak an, rauchte auch den Tabak."

Sein Vater Russe und Maler.

Dott: "Mein Vater brachte einen Mäusebussard mit, dann lebte der Mäusebussard im Flur."

Die Mutter Österreicherin.

Dott: "Das war einfach eine völlig skurrile Atmosphäre in diesem Haushalt und das ist auch was sehr prägendes, wie alle Dinge zusammen funktionierten."

Dieser skurrilen Witz, der Charme des kreativen Chaos, das trägt ihn bis heute, das strahlt er auch aus: Freude am spontanen Machen - und am Absurden:

Dott: "Das ist alles Risiko."

Immer mehrere Projekte gleichzeitig: Zwei in der Planung, eines in der Ausarbeitung, eines, für das sich kein Geld auftreiben lässt.

Dott: "Dann sag ich ok, wir machen es einfach."

Eines, das scheitert, eines das ein Erfolg wird, wie zum Beispiel die Rosen, die er am Potsdamer Platz leuchten ließ.

Von seiner Ausbildung her ist er Bildhauer,

Dott: "studiert in Dresden, Berlin, Wien."

Zuerst ganz klassisch in Stein. Bis zur Wende in der DDR:

Dott: "Mit der Wende entstanden Brüche in der eigenen Person und diese Brüche, haben natürlich auch formal andere Dinge mit sich gezogen."

Er reiste. In Tokyo sah er Neon leuchten:

Dott: "Es war plötzlich, wie wenn die Stadt in der Nacht Tag war, und diese Faszination von Licht, die diese Stadt ausstrahlte, die habe ich mitgenommen und mich bemüht in Neon zu arbeiten, mit dem Stoff der alles sichtbar macht und selber nicht sichtbar ist."

Auch wenn der Aufbruch der Wende

Dott: "So jäh umkippte in den Beitritt in den Westen,"

baute er die neuen Impulse in seine Arbeiten ein.

Umfrage: "Da oben links ist irgendwie Herzattacke, Tod, unten ein Affe, könnte auch ein Sprinter sein, der los läuft, vielleicht der Mensch als Irrweg oder als sich selbst Suchender."

Leuchtsignale eines Mannes, der sich schwer festlegen lässt,

Dott: "Bin immer dabei, die Grenzen zu sprengen, Grenzen sind eigentlich dazu da, dass man sie sprengt und was rausbekommt."