Kubistische Kriegswarnung und futuristische Begeisterung

Von Michael Köhler · 07.11.2013
Die einen sahen die nahende Katastrophe, die anderen hofften auf einen "Fortschrittsmacher": Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs löste die unterschiedlichsten Reaktionen bei Künstlern aus. Eine Ausstellung in Bonn zeigt sie, und wie die realen Schrecken in ihren Werken Spuren hinterließen.
Wolfger Stumpfe: "Wir sind eigentlich angetreten, weil wir festgestellt haben, dass in vielen Publikationen diese vier Jahre des Krieges ausgespart werden, mehr oder weniger. Dann steht in den Biografien: '1914 fing der Krieg an, und 1918 ging es weiter.' Und da haben wir gesagt, das lohnt sich, da mal ein bisschen genauer hinzuschauen."

Auf grafischen Blättern der Vorkriegsjahre warnen Alfred Kubin und Ludwig Meidner schon vor den Schrecken und Leiden des Krieges im Allgemeinen. Sie zeichnen Amputierte, die sich unterhalten, Städte vor Vulkanen, sinkende Schiffe und Totenköpfe als Leuchttürme. Die apokalyptische Kriegswarnung in Schwarz-Weiß steht kubistischen, farbigen Großstadtgemälden von Léger und Delaunay in der umfangreichen Ausstellung gegenüber. Mit Beginn des Krieges und Eintritt der Künstler in den Kriegsdienst verändert sich die Situation.

Stumpfe: "Wir haben festgestellt, dass die Reaktionen extrem individuell sind. Jeder Künstler hat eben seine ganz eigene Biografie gehabt. Es gibt welche, die sind freiwillig in den Krieg gegangen, welche die wurden eingezogen, obwohl sie nicht wollten. Es gibt welche, die emigriert sind, es gibt welche, die geflohen sind. Es gibt etwas von Allem."

Ernst Ludwig Kirchner begrüßt den Krieg zuerst, malt dann aber 1915, als er vom Kriegsdienst wegen Nervenzerrüttung freigestellt wird, ein Selbstbildnis als Soldat mit Armstumpf. Max Beckmann, der zunächst auch den Krieg mit einer verbreiteten Hoffnung auf Reinigung und Erneuerung erwartet, malt und zeichnet Leichenhäuser und Operationssäle. Die kleinen Tuscheblätter oder Radierungen von Paul Klee und Max Beckmann sind für den deutschen Besucher Entdeckungen und belegen den Wandel im Menschenbild der Künstler. Es gab deutsche Künstler, die die Furcht vor der vermeintlich französischen und russischen Bedrohung schürten, wie Franz von Stuck, zugleich gab es auch Kriegsgegner.

Stumpfe: "Es gab Künstler, die gesagt haben, wir brauchen Krieg. Wir stehen jetzt gerade zufällig in dem Raum, wo zwei italienische Futuristen vertreten sind, die ja ganz extrem gesagt haben, wir benötigen den Krieg als eine Reinigung, oder wir benötigen den Krieg als Fortschrittsmacher, der bringt uns nach vorne. Modernität sollte dadurch entstehen, industrielle Wahrzeichen. Zum Beispiel auf den Werken von Severini hat man Kanonen aber auch Fabrikschornsteine, Schnelligkeit, alles das erhoffte man sich."

Max Slevogt, der von der Westfront freigestellt wurde, malt hingegen ein ergreifendes "Kriegstagebuch 1917", das deutsche Verwundete in belgischen Kirchen zeigt. Die Bonner Ausstellung rückt funktional an die Stelle einer offiziellen bundesdeutschen Gedächtnisausstellung zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg und versammelt großartige Werke unter einem thematischen Dach. Sie zeigt, wie ein paneuropäisches Kunstgespräch zwischen den Avantgarden nicht nur bei Kriegsausbruch abriss, sondern zur weiteren Aufsplitterung der künstlerischen Stile und Handschriften beitrug.

Stumpfe: "So unterschiedlich, wie diese Lebenswege sind, so unterschiedlich sind auch die Reaktionen auf den Krieg, auf diese Extremsituation, in der sich Europa oder fast die ganze Welt befand. Und das zeigen wir in dieser Ausstellung. Diese vielen verschiedenen Reaktionen der Künstler auf diese Situation."

Oskar Kokoschka und Egon Schiele vertiefen ihr skeptisches Menschenbild unter dem Eindruck der Erlebten. Fernand Léger gibt später zu, von der 75-Zentimeter-Kanone in Verdun mehr für seine bildnerische Entwicklung gelernt zu haben, als in den Museen. Die gemeinsamen europäisch-künstlerischen Wege trennten sich. Der Schau gelingt aber auch, englische Kriegsmaler wie Christopher Richard Wynne Nevinson mit Werken zu zeigen. Dessen Bild "Weg zum Ruhm" zeigt zwei getötete englische Soldaten und musste auf Geheiß des britischen Kriegsministeriums aus einer Londoner Ausstellung entfernt werden. Die anfängliche Begeisterung wich rasch dem Entsetzen. Die meisten Gemälde künden davon. Ausstellungsleiterin Angelika Francke:

"Pablo Picasso als Spanier musste ja nicht zum Kriegsdienst, Braque aber. Picasso und Braque, Kubismus, das war ja eine enge Freundschaft, eine fruchtbare Zusammenarbeit, und als Braque aus dem Krieg kam, zerbrach die Freundschaft, weil Braque ganz andere Erlebnisse hatte. Auch der Krieg hatte da und dort dann Auswirkungen auf die Künstlerfreundschaften, die von der Vorkriegszeit stammen."

Der Krieg zerriss Menschen und Weltbilder, Himmel stürzten ein, Leben verloschen. Lovis Corinths beeindruckendes Selbstbildnis in Öl von 1914 zeigt ihn in blendender Rüstung, 1918 malt er nur noch den nutzlosen Harnisch, der am Boden liegt, leer, entleibt.

Stumpfe: "Das ist unser symbolisches Bild, das über der Ausstellung schwebt: 1914 Corinth als strahlender Ritter – und 1918 nur noch die zerbrochenen Rüstungsteile in seinem Atelier."

Service:
Die Ausstellung "1914. Die Avantgarden im Kampf" ist vom 8.11.2013 bis 23.2.2014 in der
Bundeskunsthalle Bonn zu sehen.
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