Kuba

Anschlag auf kritischen Intellektuellen

Antonio Rodiles wurde in Kuba stranguliert und zusammengeschlagen.
Antonio Rodiles wurde in Kuba stranguliert und zusammengeschlagen. © dpa / picture alliance / Vit Simanek
Von Peter B. Schumann · 12.07.2015
Seit Monaten verhandeln die USA und Kuba über die Normalisierung ihrer Beziehungen. Von dieser außenpolitischen Entspannung erhofften sich viele Künstler mehr Freiheiten. Doch zwei Ereignisse der letzten Woche schmälern die Hoffnungen.
"Sie sollen sich meiner erinnern, sollen weinen und verzweifeln!" So heißt es in Eugène Ionescos Stück "Der König stirbt". Ein halbes Jahrhundert ist dieses Drama alt und wird in bestimmten politischen Situationen gern gespielt, denn im Mittelpunkt steht ein Monarch, dessen Todesstunde längst gekommen ist und der einfach nicht sterben will.
Juan Carlos Cremata hat sich vor einer Woche im Teatro Bertolt Brecht in Havanna an eine Inszenierung gewagt und ganz bewusst Anspielungen auf irgendwelche Spitzenpolitiker vermieden. Sein König trat beispielsweise mit der ausufernden Gestik des französischen Komikers Louis de Funès auf. Doch der Nationalrat für szenische Künste verstand wohl die aktuellen Bezüge und verbot die Aufführung nach zwei Vorstellungen. Die Begründung lieferte wenig später der Theaterkritiker des offiziellen Webportals "Cubarte".
"Cremata zieht die Hymne, die cubanische Fahne und all die politischen Symbole, die für das Projekt der Cubanischen Revolution seit 1959 stehen, in den Dreck. Er sprengt damit die ethischen, ästhetischen und menschlich wünschenswerten Grenzen."
Der 54-Jährige ist keineswegs ein Dissident, sondern gehört zu den Theater- und Filmregisseuren, die immer wieder den Spielraum austesten, der ihnen vom Kulturministerium erlaubt ist. Sie nehmen Schwierigkeiten und selbst Verbote in Kauf und reagieren öffentlich auf "die infame Zensur" - wie Juan Carlos Cremata schrieb.
"Das ist eine unmoralische, mittelalterliche Maßnahme, der Machtmissbrauch einer absolutistischen Institution, die sich mit solchen grausamen Akten gefällt."
Viele Künstler und Intellektuelle hofften, dass sich mit der außenpolitischen Entspannung auch innenpolitisch vieles verändern würde. Außerdem hatte Abel Prieto, langjähriger Kulturminister und einer der wichtigsten Berater von Raúl Castro, erst vor kurzem in der spanischen Tageszeitung "El País" verkündet:
"Wir verbieten nichts, denn Verbote machen erst das obskure Objekt der Begierde attraktiv."
Gefesselt, stranguliert und zusammengeschlagen
Die Liberalität, die im Ausland gern behauptet wird, muss nicht unbedingt im Inland gelten. Sonst wäre wohl Antonio Rodiles, einer der intellektuellen Köpfe der Opposition, am vergangenen Sonntag nicht zusammengeschlagen worden. Er war auf dem Weg zur Santa-Rita-Kirche, zum allwöchentlichen Treffen der "Damen in Weiß". Mit ihnen wollte er friedlich für die Freilassung der politischen Häftlinge und ein Amnestiegesetz demonstrieren. Plötzlich sprangen vier Agenten der Staatssicherheit aus einem Privatwagen und forderten ihn auf einzusteigen. Als er ihre Ausweise verlangte, begannen sie, auf ihn einzuschlagen. Antonio Rodiles berichtete später in einer Videobotschaft über die Ereignisse.
"Sie fesselten mich mit Handschellen, praktizierten dann eine Technik der Strangulierung, durch die ich beinahe bewusstlos wurde. Ich erinnere mich noch, wie Passanten ihnen zuriefen: Lasst ihn frei, ihr tötet ihn. Sie traten auf mich ein und zerrten mich dann in den Wagen, wo mir einer von ihnen mit der Faust voll ins Gesicht schlug und mein Nasenbein zertrümmerte. Ich fing heftig an zu bluten."
Danach kam er ins Gefängnis und von dort in ein Krankenhaus, wo er kostenlos versorgt wurde. Zumindest das staatliche Gesundheitswesen steht Dissidenten noch offen. Antonio Rodiles ist 2010 aus den USA nach Kuba zurückgekehrt, um die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Er gründete das Diskussionsforum "Estado de SATS", veranstaltete öffentliche Debatten zwischen den Dissidenten und stellte sie ins Internet. Seither steht er unter ständiger Aufsicht der Staatssicherheit, wurde bereits mehrfach verhaftetund erhielt zuletzt Ausreiseverbot. Einen Anschlag auf offener Straße hat er bisher nicht erlebt.
"Ich bin über das Geschehene wirklich sehr besorgt. Es herrscht eine totale Straflosigkeit für diese Agenten der Staatssicherheit, die es sich erlauben können, auf Menschenrechtsaktivisten blindlings einzuschlagen, ohne die geringsten Folgen zu fürchten. Und wenn sie schon auf mich, der einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt, mitten in Havanna einprügeln dürfen, dann kann man sich vorstellen, was mit unbekannten Aktivisten in entlegenen Provinzen geschieht."
Antonio Rodiles war nicht der Einzige, der am vergangenen Sonntag verhaftet wurde. Gegen nahezu hundert Menschenrechtler richtete sich eine neue Welle der Repression. Die US-Regierung hat scharf protestiert, und ein Sprecher der Europäischen Kommission hat sogar im Fall Rodiles die Bestrafung der Täter verlangt. An ihm, einem auch international bekannten Vertreter der kubanischen Opposition wollte das Regime offensichtlich ein Exempel statuieren - wohl darauf vertrauend, dass die USA und die Europäische Union sich durch solche Menschenrechtsverletzungen nicht von ihrem Entspannungskurs abbringen lassen.
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