Krzysztof Warlikowsky mit "Pelléas und Mélisande"

Grandioser Auftakt der Ruhrtriennale

Barbara Hannigan als Mélisande und Leigh Melrose als Golaud
Barbara Hannigan als Mélisande und Leigh Melrose als Golaud © Ben van Duin/ Ruhrtriennale 2017
Von Ulrike Gondorf · 18.08.2017
Krzysztof Warlikowsky ist mit Claude Debussys Oper "Pelléas und Mélisande" eine großartige Eröffnung der Ruhrtriennale gelungen. Er zeigt die Tragödie mit radikaler Konsequenz und spannend wie einen Psychothriller.
Zwei verlorene Nachtschwärmer an einer Bar, die hell und bunt erleuchtet in der Bochumer Jahrhunderthalle steht. So beginnt der Regisseur Krzysztof Warlikowsky seine Erzählung der traurigen Geschichte von "Pelléas und Mélisande" bei der Ruhrtriennale. Hinten in der Tiefe des Raums spielen die Bochumer Symphoniker unter der Leitung von die Sylvain Cambreling die Zaubermusik, in der sich diese Tragödie spiegelt.
Warlikowsky zeigt in starken, überraschenden Bildern das Innenleben einer zerstörten und selbstzerstörerischen Familie. Jeder will nur weg aus diesem hermetisch geschlossenen Raum, keiner findet einen Ausweg. Als Golaud, der Enkel des Patriarchen, eine fremde Frau mit in diese fest gefügte Welt bringt, bahnt sich die Katastrophe an. Golaud bemerkt, wie sich Mélisande und sein Bruder Pelléas einander annähern, tötet Pelléas und treibt Mélisande in den Tod. Dass auch er nicht weiterleben kann, scheint gewiss.

Mélisande ist die Femme fatale

Warlikowski zeigt diese Tragödie mit radikaler Konsequenz und spannend wie einen Psychothriller. Mit seiner atemberaubenden Hauptdarstellerin Barbara Hannigan macht er dabei eine aufregende Entdeckung. Mélisande, oft als rätselhafte und unschuldige Kindfrau gezeigt, ist die Femme fatale dieser Geschichte. Traumatisiert, verwirrt, sucht und findet sie instinktiv in dieser ungesunden Familienkonstellation das Klima, in dem sie ihren selbstzerstörerischen Lebenshunger befriedigen kann. Sie lebt nur in den Augenblicken, in denen sie begehrende Blicke auf sich spürt, und sie wird in steter Verwandlung für die gegensätzlichen Brüder Golaud und Pelléas und selbst für den alten Arkel das Objekt ihrer unterschiedlichen Begierden: Hure, Göttin, unschuldiges Kind.

Barbara Hannigan ist so faszinierend, weil sie ihre starke darstellerische Kraft mit ebenso großer stimmlicher Wandlungsfähigkeit beglaubigen kann. Von Szene zu Szene wechselt die Farbe, der Klang ihrer Stimme. Wie ein Spiegel, der jeden Moment verschwimmen und sich neu zusammensetzen kann, ist ihr Charakterbild dieser Frau. Und mit Phillip Addis als Pelléas und Leigh Melrose als Golaud hat sie Partner, die ihr auf ihrem Niveau begegnen: Sänger, die mit der selbstverständlichen Überzeugungskraft von Filmschauspielerin agieren und die physischen Erfordernisse des Operngesangs völlig vergessen machen können. Alle drei setzen sie einen Meilenstein für das Musik-Theater.

Die Bochumer Symphoniker lassen die Musik strömen

Sylvain Cambreling hat jahrzehntelange Erfahrung und ein Herzensverhältnis zu Debussys "Pelléas". Unter seiner Leitung lassen die Bochumer Symphonikern die Musik strömen und fließen, schaffen das Drama aus Farben und Stimmungen, aus dem Geschichte auf der Bühne erst erwächst. Wunderbar glückt da die Balance zwischen den schönen Details, die das Orchester berückend ausmusiziert, und der großen Architektur des Ganzen. Wer weiß, welches Wunder man gehört hätte, wenn die technische Verstärkung, die die riesige Jahrhunderthalle nötig macht, dem ganz ohne Abstriche gerecht werden könnte. Die Klangtextur von "Pelléas und Mélisande" eignet sich am Ende vielleicht doch nicht für eine Industriehalle. Trotzdem ist man froh, dieses Opernereignis dort bei der Ruhrtriennale erlebt zu haben.

Das Festival findet noch bis zum 30. September statt. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage.

Mehr zum Thema