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EU-Streit mit Polen
Die Brüsseler Zwangslage

Der Streit um die polnischen Verfassungsreformen droht zu eskalieren: Die EU-Kommission prüft gerade das jüngste Schreiben aus Warschau, in dem sich die PiS-Regierung vollkommen uneinsichtig zeigt. Doch die Brüsseler Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Auch wegen Donald Trump.

Von Kai Küstner | 23.02.2017
    Eine polnische Flagge und eine Europafahne wehen im Wind.
    Die EU-Kommission streitet mit Polen über die Rechtsstaatlichkeit mehrerer Regierungsmaßnahmen. (dpa/Beate Schleep)
    Innerhalb der EU-Kommission gilt Vize-Präsident Frans Timmermans wahrlich nicht als einer von denjenigen, die eine besonders extreme Position vertreten: Dialog, Dialog, Dialog – so lautete sein Motto, um im Fernduell zwischen Brüssel und Warschau irgendwie eine Lösung zu erzielen. Doch vor wenigen Tagen, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, platzte Timmermans dann mal so richtig der Kragen. Recht und Gesetz seien nun mal der Webstoff der Europäischen Union, belehrte er den direkt neben ihm sitzenden polnischen Außenminister:
    "Der Rechtsstaat schreibt vor, dass Regierungen nicht in den Bereich der Justiz eingreifen. Nicht die Richter in ihren Entscheidungen beschneiden. Das Gesetz bildet die Grundlage unserer Union. Nicht Macht und Politik, nein: Verträge und das Gesetz."
    Der Ton ist rau
    Das wollte der polnische Außenminister Waszczykowski nicht auf sich sitzen lassen. Und verbat sich einmal mehr die Einmischung in – aus seiner Sicht – polnische Angelegenheiten:
    "Bitte, erlauben Sie uns, dass wir unsere eigene Verfassung respektieren. Nicht Ihre Sicht auf unsere Verfassung."
    So argumentiert Warschau seit über einem Jahr: Brüssel solle sich raushalten, stelle das Land aus politischen Gründen zu Unrecht an den Pranger. Doch die EU-Kommission erwidert: Sehr wohl sei das ein Thema für die ganze EU, wenn in einem Mitgliedsland Demokratie und Rechtsstaat ausgehöhlt würden. Mageres Ergebnis des seit über einem Jahr währenden regen Briefverkehrs zwischen Brüssel und Warschau ist jedoch nun: Der Ton ist rau, doch der Wille der polnischen Regierung, sich noch einen Millimeter zu bewegen, nicht vorhanden.
    Es werde jetzt ein bisschen dauern, erklärte nun Kommissionsvize Dombrovskis, bis man den jüngsten Antwortbrief aus Warschau genau unter die Lupe genommen habe. Dass der in der polnischen Landessprache verfasst ist, dürfte dabei nicht das Hauptproblem sein. Schon eher, dass Warschau Brüssel nun zu einer Entscheidung zwingt, die ein wenig wie die Wahl zwischen Pest und Cholera erscheint: Zum einen will man Polen das vermutete Demokratie-Defizit nicht durchgehen lassen. Zum anderen will man aber auch in Zeiten, in denen man befürchtet, dass ein Donald Trump im Weißen Haus bewusst einen Keil in die Union treiben könnte, jeden Eindruck einer Spaltung unbedingt vermeiden.
    Moralischer Beistand aus Berlin für Brüssel
    "Die Bundesregierung unterstützt vollständig die Arbeit von Frans Timmermans. Der eine wichtige Aufgabe bei der Beurteilung dessen hat, was an Rechtsstaatlichkeit in Polen geleistet oder verletzt wird."
    Moralischen Beistand aus Berlin für Brüssel versuchte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel jetzt zu übermitteln. Als wenig wahrscheinlich gilt derzeit, dass die EU-Kommission versucht, Strafmaßnahmen gegen Polen einzuleiten. Als 'Nuklear-Waffe' wird diese Option in Brüsseler Kreisen bezeichnet, die am Ende den Entzug des Stimmrechts Polens bei den wichtigen EU-Minister-Räten zur Folge hätte. Doch kaum jemand rechnet damit, dass die Kommission so weit gehen würde. Am Ende, so die Befürchtung, könnte sie sich damit selbst mehr schaden als dem Rechtsstaat in Polen nützen. Zumal die ebenfalls rechtsnationale Regierung in Ungarn bereits verkündet hatte, dieses Vorgehen, für das Einstimmigkeit nötig wäre, verhindern zu wollen.
    Doch Nichtstun will sich Brüssel auch nicht vorwerfen lassen. Eine heikle Lage: Wäre die EU in einem stabileren Zustand, würde die Kommission sich mit der Entscheidung vermutlich leichter tun.