Kritik an Vergabepraxis des UNESCO-Weltkulturerbe-Titels

Moderation: Katrin Heise · 08.07.2008
Die Professorin für World Heritage Studies an der Universität Cottbus, Marie-Theres Albert,
hat einen Umdenkungsprozess in der Vergabe des Weltkulturerbetitels gefordert. Bereits jetzt kämen 20 Prozent der Weltkulturerbestätten aus Spanien, Italien, Deutschland und China. Sie forderte, den Blick auf Entwicklungsländer zu richten und ihnen bei der Antragstellung zu helfen.

Katrin Heise: Und mit der Aufnahme der Wohnsiedlung umfasst die Liste jetzt 33 deutsche Kulturerbestätten. Gespannt beobachtet wird die Entwicklung der Kulturerbeliste vom Studiengang World Heritage Studies, an der Universität Cottbus. In diesem in seiner Art doch einmaligen Studiengang will man den technischen, sozioökonomischen, den kulturellen, den ökologischen und politischen Problemen, die mit der Erhaltung des Welterbes verbunden sind, begegnen. Der Studiengang wird von der UNESCO unterstützt. Und ich begrüße jetzt Marie-Theres Albert, die die Professur in Cottbus innehat. Schönen guten Morgen!

Marie-Theres Albert: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Freuen Sie sich über die Aufnahme der Berliner Siedlungen?

Albert: Ja, ich freue mich über die Aufnahme, wenngleich ich immer wieder bei deutschen Nominierungen das Problem habe, dass ich denke, jetzt noch eine Erbestätte und noch eine Erbestätte und noch eine auf der Liste. Wir haben schon 33 nun. Aber ich denke, mit dieser Aufnahme und mit dieser Erbestätte ist etwas gelungen, was so ein bisschen in eine neue Richtung verweist, dass man tatsächlich soziale politische ökonomische Aspekte mitbedacht hat. Und das ist eigentlich genau das, was wir mit unseren Studierenden auch immer wieder diskutieren.

Heise: Die Liste, Sie haben es gerade erwähnt, man hat den Eindruck, die UNESCO will so viel wie möglich schützen. Die wird immer länger, immer länger, fast 50 Neuanträge, die zu bescheiden waren.

Albert: Es gibt, ich habe jetzt nur die alten Zahlen im Kopf, 852 Erbestätten auf der Liste und ich finde, das ist eindeutig zu viel. Man sollte sich schlichtweg mit Nominierungen immer wieder des gleichen Typs zurückhalten und das Entscheidende daran ist, man sollte sich mit Nominierungen zurückhalten, die im Wesentlichen in Europa eine eigentlich immer wieder neue identifizierte Phase oder Epoche der europäischen Geschichte verweist. Darin sehe ich eigentlich das Problem.

Heise: Sie meinen, da wird immer das Gleiche wieder eingereicht und da haben wir jetzt schon eine Städte, oder wie viele auch immer – also gesichert ist das Erbe?

Albert: Wir haben in Europa, beispielsweise in Spanien, Italien, Deutschland, etwas außerhalb Europas liegt China, aber wir haben alleine mit diesen vier Ländern zirka 20 Prozent aller Erbestätten auf der Liste. Jetzt nehmen Sie einfach noch mal die europäische Geschichte. Dann haben wir zirka 150 Erbestätten auf der Liste. Was soll denn eigentlich an universellem Wert noch neu aus diesen Ländern kommen, wenn nicht etwas, so wie in diesem Falle gut gelungen, Soziales und Politisches dazukommt? Es kann nicht mehr der Typ Monument sein. Es kann nicht mehr der Typ Kulturlandschaft sein, die nicht schon existierte.

Heise: Es gibt ja immerhin zehn Kriterien, von denen mindestens eins erfüllt sein muss, um in der Liste aufgenommen zu werden. Mal so ein Kriterium genannt, zum Beispiel "die Güter stellen ein Meisterwerk menschlicher Schöpfung dar" - oder aber "die Güter stellen ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis von einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur dar". Sind diese Kriterien zu schwammig formuliert?

Albert: Nein, sie sind nicht schwammig formuliert. Auf dem Papier sind sie sehr klar und sehr deutlich. Es ist nur im internationalen Feld eine Frage der Auslegung. Das, was an Einzigartigkeit ausgelegt wird in der Weltgemeinschaft, ist in Afrika etwas ganz anderes als in Europa oder in Lateinamerika. Und ich denke, dass man verstärkt versuchen sollte, tatsächlich in die Entwicklungsländer reinzugehen, dort zu gucken, was für außergewöhnliche Stätten es gibt, beispielsweise im Zusammenhang mit ursprünglichen Gesellschaften und Kolonialismus. Da gibt es noch so viel an Stätten, die wichtig sind, dass ich denke, da sollte man hinblicken.

Heise: Gerade die Berliner Einreicher haben uns erzählt, hier im "Radiofeuilleton", dass sie seit '97 dabei sind, eben auf die Kulturerbeliste zu kommen, sich weltweit vernetzt haben, um diesen Antrag zu stellen. Das heißt, es steckt unwahrscheinlich viel Arbeit dahinter.

Albert: Richtig!

Heise: Ist das in den Entwicklungsländern vielleicht gar nicht so möglich, Anträge so stellen zu können?

Albert: Das ist genau das Problem. Wir haben in Europa ein Know-how entwickelt, eine Professionalität entwickelt, die es uns natürlich ermöglicht, immer einige Schritte voraus zu sein. Das ist nicht schlecht, das ist im Gegenteil sogar erforderlich. Aber auf der anderen Seite wird damit der Unterschied zu den Entwicklungsländern immer größer. Und noch mal, ich plädiere dafür, dass wir unser Know-how einsetzen, um tatsächlich auch die außergewöhnlichen Stätten in anderen Regionen der Welt zu erschließen.

Heise: Die Liste des UNESCO-geschützten Weltkulturerbes wird immer länger. Unser Thema im "Radiofeuilleton" mit Prof. Marie-Theres Albert vom World Heritage Studiengang an der Universität Cottbus. Das heißt aber, dass trotz der Länge der Liste und der immer länger werdenden Liste der Wert, da drauf zu sein, nicht gesunken ist?

Albert: Gott sei Dank, dieser Wert ist tatsächlich der des außergewöhnlichen Welterbes. Und dieser Wert ist nach wie vor vorhanden. Er nimmt etwas ab in den Köpfen der Leute.
Heise: In der Bevölkerung?

Albert: In der Bevölkerung, genau. Weil zunehmend stärker dieser Wert genutzt wird, um eine Erbestätte touristisch zu vermarkten. Da ist ein Problem in Sicht, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, denn das eine, der außergewöhnliche Wert, hat zunächst mal mit dem Tourismus nichts zu tun. Andererseits, warum sollten Touristen Welterbestätten nicht besuchen. Warum sollten Welterbestätten nicht so genutzt werden, dass sie auch einem nicht nur lokalen, sondern eben auch einem touristisch genutzten Besuch nahegebracht werden kann. Ich denke, auch da ist noch ganz viel zu tun. Wir reden im Tourismus über Nachhaltigkeit und Fragen der nachhaltigen Entwicklung, und ich denke, da auch ist.

Heise: Gerade in dem Zusammenhang fällt ja immer auf, dass man da fast das Gefühl hat, die Kulturerbekommission besitzt eine ziemlich große Macht, nämlich indem sie eben diesen Titel zu entziehen droht und damit, wie im Fall Dresdens, dann gleich die Stimmen laut werden, und was sollen dann die Touristen machen. Die Touristenzahlen gehen schon zurück.

Albert: Ich denke, in Dresden ist es einfach ein falsches Verständnis von Welterbe, wenn man das ausschließlich über die Touristen thematisiert. Und ich denke, deswegen sollte man einfach die Dresdner noch mal etwas mehr an ihre ursprünglichen Vereinbarungen erinnern. Und was die Macht des Komitees betrifft. So groß ist die Macht nicht. Es ist aus der Gemeinschaft von 192 Mitgliedsländern sind es 21 Länder, die in dem Welterbekomitee tätig sind und die beraten und die dann entscheiden, ob sie jetzt eine Erbestätte aufnehmen oder eine auf die rote Liste setzen. Die Macht dort ist Professionalität. Die Macht dort ist Know-how. Und dieses kann nur positiv sein.

Heise: Wenn ich Sie richtig verstehe, in welchem Zusammenhang oder wer soll denn dann aber die Bremse ziehen, die Sie sich ja eingelegt wünschen, wer hat diese Macht wiederum?

Albert: Die Mitgliedsländer selber. Es gibt nicht eine reale Macht, oder es gibt nicht eine politische Macht, wenn sie denn nicht auch gewollt ist. Und ich denke, es muss ein Umdenkungsprozess stattfinden. Das ist das, was wir beispielsweise in Cottbus versuchen. Wir haben Studenten aus der ganzen Welt und die diskutieren miteinander und die sagen, es wird allerhöchste Zeit, dass Erbestätten in Entwicklungsländern nominiert werden. Und hier muss ein Umdenkungsprozess stattfinden, dass man tatsächlich versucht, einfach mal die Schätze in anderen Regionen der Welt, ich sagte es schon, zu erkennen.

Heise: Noch unübersichtlicher wird es, wenn die 2003 in Kraft getretene Konvention wirklich tatsächlich greift, nämlich dass man sich um immaterielles Kulturgut kümmert. Das ginge ja dann quasi vom Pizzarezept bis hin zu einer Matheformel oder einem Tanz. Was sehen Sie da für Gefahren kommen?

Albert: Keine! Erst mal sehe ich keine Gefahren kommen, weil dieses Konzept anders ausgerichtet ist. Da geht es jetzt nicht um den sogenannten Outstanding Universal Value, sondern da geht es darum, kulturelle Traditionen, Handwerk, zu schützen vor den Einflüssen des Lebens, vor der Entfremdung von eigenen Traditionen. Insbesondere das materielle Kulturerbe zählt zu den wichtigsten identitätsstiftenden Erbe.

Heise: Das immaterielle?

Albert: Entschuldigung, das immaterielle Erbe identitätsstiftenden Elementen. Und insofern ist die Ausweisung und Ausrichtung eine etwas andere.

Heise: Das heißt, da haben Sie keine Angst, dass das dann inflationär verteilt wird?

Albert: Noch nicht. Beispielsweise hat Deutschland diese Konvention noch nicht mal ratifiziert. Insofern sind da noch einige politische Vorbehalte. Es gibt 90 Masterpieces auf der Liste des immateriellen Erbes.

Heise: Da steht zum Beispiel ein Fußballclub mit drauf.

Albert: Tatsächlich?

Heise: Ein Fußballclub, der sich um die kulturelle Zusammenarbeit, um ein Miteinander bemüht.

Albert: Ah ja, aber es steht auch die Kunqu-Oper in China drauf. Es ist der Ausdruck von lebender Kultur. Und ich denke, das ist das Entscheidende, ob man nun da tatsächlich die Paella-Bäckerei oder Pizza-Bäckerei mit aufnehmen sollte. Das sehe ich nicht ganz. Aber ich halte es schon für eine wichtige Konvention.

Heise: Vielen Dank! Marie-Theres Albert ist Professorin für World Heritage Studies in Cottbus. Ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!

Albert: Gern geschehen!