Kritik an Promotionsverfahren

Alle Doktortitel sollten auf den Prüfstand

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Illustration von Doktorhüten in der Luft.
Experten schlagen Alarm wegen Qualitätsmängeln bei der Promotion in Deutschland. © imago images / Sascha Steinach
Liane Bednarz im Gespräch mit Axel Rahmlow  · 21.11.2020
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Das gesamte Promotionswesen sollte auf den Prüfstand und nicht nur die umstrittene Doktorarbeit von Familienministerin Franziska Giffey, fordert die Publizistin Liane Bednarz. Es sollte nur noch Dissertationen geben, die wissenschaftlich relevant seien.
Die Freie Universität (FU) in Berlin will das Prüfverfahren um die umstrittene Doktorarbeit der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) neu aufrollen. Unser Studiogast, die Publizistin Liane Bednarz, findet nicht nur den Umgang von Giffey mit den Plagiatsvorwürfen unverfroren, sondern fordert eine grundsätzliche Debatte über die Promotionsverfahren.

"Es geht gar nicht nur um Frau Giffey, sondern es wirft jetzt aus meiner Sicht endlich, endlich den Blick auf dieses Promotionsunwesen an deutschen Universitäten", sagt Bednarz. Es sei schon viel darüber geschrieben worden, dass Giffeys Arbeit auch wissenschaftlich offenbar ziemlich wertlos sei. Dennoch habe deren Doktormutter die zweithöchste Note "Magna cum laude" gegeben. "Da kann man sich theoretisch habilitieren."

Die gleiche Professorin sei am Prüfverfahren beteiligt gewesen, obwohl da ein "klassischer Interessenkonflikt" vorliege. "Das rückt jetzt stärker in den Fokus." Sie sei froh, dass das jetzt endlich passiere, so Bednarz.
Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz
Die Juristin und Publizistin Liane Bednarz fordert eine Neugestaltung des Promotionswesens. © Liane Bednarz

Fragwürdige Titel

Es gehe an vielen Fakultäten nicht nur um einen Konkurrenzkampf um möglichst viele Doktoranten, sondern je mehr Dissertationen ein Professor annehme, umso mehr steige auch die Besoldung. "Ich war sehr an der Uni tätig und kenne den Betrieb von innen", sagt Bednarz, die selbst einen Doktortitel trägt. Es gebe viele Leute, die mit wissenschaftlich relativ unwichtigen Arbeiten promovierten. Selbst mit der schlechtesten Note gebe es noch den Doktortitel. "Fast durchgefallen, aber dann doch nicht ganz."

Deshalb sage ein Doktortitel in Deutschland nicht viel aus, sagt Bednarz. "Mich beeindruckt das gar nicht, wenn jemand den Titel trägt." Sie googele dann manchmal, wo die Doktorarbeit veröffentlicht wurde. Daraus lasse sich ableiten, ob die Arbeit in einer wissenschaftlich wichtigen Schriftenreihe veröffentlich worden sei oder nur irgendwo im Selbstverlag. "Ich persönlich meine, dass man dieses ganze Promotionswesen grundlegend neu aufstellen sollte." Es sollten Leute nur noch dann promovieren, wenn die Arbeit wirklich wissenschaftlich relevant war.

SPD verrät ihre Ideale

Der Versuch anderer SPD-Politiker, Giffey zu verteidigen, überzeugt Bednarz nicht. "Da versucht man zu menscheln und Mitleid zu schüren." Dabei werde auf diese Weise Politikverdrossenheit gefördert. Den Umgang der SPD mit der umstrittenen Doktorarbeit hatte die Publizistin bereits auf ihrem Blog "Starke Meinungen" kritisiert und beklagt, dass auf diese Weise die Ideale einer Partei verraten würden, die für die "Ermöglichung des ehrlichen sozialen Aufstiegs" stehe.
(gem)

Liane Bednarz ist Publizistin und promovierte Juristin mit dem Schwerpunkt Neue Rechte, Populismus und religiöse Bewegungen. Ihr Studium absolvierte sie in Passau, Genf und Heidelberg. Sie ist regelmäßige Gastkommentatorin beim SPIEGEL und betreibt gemeinsam mit dem Publizisten Alan Posener den Blog "Starke Meinungen". Weitere Texte wurden in der NZZ, der FAS und dem "Freitag" publiziert. Im Frühjahr 2018 erschien im Droemer-Verlag ihr Buch "Die Angstprediger – Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern".

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