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Birgit Weyhes "Madgermanes"
Vergessene Zeitgeschichte als Comic

"Madgermanes" arbeitet ein Stück DDR-Geschichte auf: Anfang der 80er trafen rund 15.000 Männer und Frauen aus der Volksrepublik Mosambik als Vertragsarbeiter im sozialistischen Schwesterland DDR ein. Als zehn Jahre später der Staat zusammenbrach, verloren sie ihre Arbeitserlaubnis und mussten in ein Land zurückkehren, das inzwischen nicht mehr ihre Heimat war.

Von Kai Löffler | 26.05.2016
    Cover des Graphic Novel "Madgermanes" über mosambikanische Gastarbeiter in Ostdeutschland
    Cover des Graphic Novel "Madgermanes" über mosambikanische Gastarbeiter in Ostdeutschland (Birgit Weyhe / avant-verlag)
    Ganz Hoyerswerda schien sich plötzlich einig zu sein. Plötzlich hat es auf der einen Seite des Hauses gebrannt. Und die Polizei hat einfach zugesehen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich wirklich Angst.
    25 Jahre ist es her, dass ein Mob aus Neonazis und Sympathisanten im sächsischen Hoyerswerda Flüchtlinge und Vertragsarbeiter bedroht hat. Der Anfang einer Welle fremdenfeindlicher Ausschreitungen. Mitten darin findet sich der junge Mosambikaner Basilio in Birgit Weyhes neuem Comic Madgermanes, der die Geschichte dreier Gastarbeiter erzählt. Die Hauptfiguren des Comics sind fiktiv, die Ereignisse nicht, erklärt Birgit Weyhe:
    "Ich hatte einen interviewt, der in Hoyerswerda war, und der mir auch erzält hatte, dass es eben schon lange vor der Wende diese Situationen gab, dass man nicht in Gaststätten gekommen ist, oder auch einfach nicht bedient wurde. Dass es Orte gab, wo man nicht hingehen konnte, schon gar nicht alleine, weil man dann zusammengeschlagen wurde und so weiter."
    Aktueller denn je
    Birgit Weyhe wollte vor allem eine Geschichte über Heimat und Entwurzelung schreiben. Wie tagesaktuell ihr Comic sein würde, damit hat sie nicht gerechnet.
    "Hätte ich gewusst, was das noch alles gibt, weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt den Mut gehabt hätte, den zu schreiben. Das hat mich komplett überrannt, diese Ereignisse, also dass sich so viel von dem, was in dem Buch vorkommt, wiederholt oder wieder so brandaktuell ist, im wahrsten Sinne des Wortes, das konnte ich überhaupt nicht vorraussehen, als ich angefangen hab, dieses Buch zu schreiben."
    Weyhes einfache, stilsichere Zeichnungen sind manchmal bewusst kindlich naiv, manchmal angelehnt an afrikanische Kunst, und treffen immer den richtigen Ton für ihre Erzählung.
    Anfangs war sie allerdings erstmal frustiert, als viele Interviews sehr ähnlich ausfielen.
    "Ich dachte, das wird ja das langweiligste Buch aller Zeiten, wenn ich das so einfach niederschreibe."
    Um Wiederholungen zu vermeiden, hat die Autorin den Fokus erweitert. Sie führte Gespräche in Deutschland, recherchierte in verschiedene Richtungen, bis sie eine zündende Idee hatte.
    "Dann erfinde ich eine Geschichte und bette all das was ich gehört habe, in diese drei Figuren. Dass hat mir eigentlich die Freiheit gegeben, dieses Buch dann überhaupt zu machen."
    Die miteinander verwobenen Geschichten von Basilio, José und Anabella stehen für das Schicksal der Madgermanes. Sie kommen mit knapp 20 Jahren hoffnungsvoll nach Ostdeutschland, wo sie sich, anders als erwartet, ihren Beruf nicht aussuchen können und das Leben sehr eingeschränkt ist: So droht den weiblichen Arbeitern die Ausweisung, sollten sie schwanger werden, und zwei Drittel ihres Gehalts werden einbehalten. Nach der Wende wächst der Druck, das Land wieder zu verlassen. Die Idee zum Comic ist durch einen Zufall entstanden. Während die Autorin 2007 ihren Bruder in Pemba, im Norden Mosambiks, besuchte, fiel irgendwann der Strom aus. Und im Dunkeln sprach sie jemand in perfektem Sächsisch an.
    "Und als dann das Licht wieder anging, hab ich gesehen, dass da kein weißer Ex-DDRler hinter mir stand, sondern eben ein schwarzer Mosambikaner. Und dann hab ich ihn gefragt, huch, wieso kannst du denn so gut Deutsch? Und dann hat er eben seine Geschichte mir erzählt und ich war sehr peinlich berührt weil ich davon noch nie was gehört hatte, dass es in der DDR Vertragsarbeiter aus Mosambik gab und vor allem nicht in einer so großen Zahl."
    Von Einsamkeit und Ausbeutung
    "Die aus Deutschland" heißt Madgermanes in einem mosambikanischen Dialekt. Die wahre Geschichte der rund 15.000 Vertragsarbeiter ist nicht nur deshalb tragisch, weil viele von ihnen in Deutschland wie Menschern zweiter Klasse behandelt wurden. Nach ihrer meist erzwungenen Rückkehr ging es ihnen auch nicht besser.
    "Es fiel mir schwer, in Pemba Kontakte zu knüpfen. Traurigerweise war ich noch einsamer als in all den Jahren in der Fremde."
    Weyhe erzählt von Menschen zwischen zwei Welten, von Fremdenhass und nicht zuletzt von Ausbeutung.
    "Sie ist im Prinzip die Folie für die Geschichte und sie ist die Folie für unseren Wohlstand. Dass es eben immer nur darum geht, was gerade passend ist. Dass man sich immer nur das holt, was man dann gerade braucht, und danach kann man es auch wieder zurückgeben. Ob das jetzt Menschen sind oder Landstriche oder was auch immer."
    Das Schicksal von Basilio, José und Anabella ist ebenso tragisch wie fesselnd, und zwar bis zum Ende des Buches. Und auch wenn die letzte der drei Geschichten fast schon ein Happy End hat, ist bei allen drei Figuren die Entwurzelung wie eine Wunde, die sich nie ganz schließt. Madgermanes schlägt hier und da versönliche Töne an, was zurückbleibt, ist aber vor allem das Gefühl einer großen historischen Ungerechtigkeit.
    "Letztlich haben uns alle Seiten ausgebeutet und betrogen. Siehst du Unrecht oder Böses und sprichst nicht dagegen, dann wirst du sein Opfer."