Kritik an falscher Geflügelhaltung

Johannes Remmel im Gespräch mit Christopher Ricke · 10.01.2012
Es fehle eine Rechtsgrundlage, um Verstöße bei der Geflügelhaltung zu ahnden, erklärt der nordrhein-westfälische Verbraucherminister Johannes Remmel (Bündnis 90/Die Grünen). Verbraucher müssten "stallscharf" nachvollziehen können, wo Antibiotika gegeben wurden.
Christopher Ricke: Das verdirbt den Appetit schon beim Frühstück: Hähnchenfleisch ist nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz oft mit Keimen belastet, die gegen Antibiotika resistent sind. Bei Stichproben im Supermarkt seien auf jeder zweiten Probe Keime gefunden worden. Erreger, gegen die Antibiotika nicht mehr wirken – das kann tödlich ausgehen! Der Vorwurf: Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung führt dazu, dass sich resistente Keime entwickeln. Johannes Remmel von den Bündnisgrünen ist Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Remmel!

Johannes Remmel: Guten Morgen!

Ricke: Sind Sie der Polizist, der an der roten Ampel steht und einfach zuschaut?

Remmel: Na ja, das Bild ist an mehreren Stellen schon sehr schief: Es müsste erst mal eine Straßenverkehrsordnung geben, das ist das Problem. Es ist schon ziemlich perfide, also, insofern regt mich das auch auf, einen an den Händen und an den Füßen zu fesseln und dann zu sagen, nun lauf mal schneller! Es fehlt einfach die Rechtsgrundsage, um die Verstöße zu ahnden. Wir haben das seit Anfang an beklagt und moniert, das zwar für Rinderfleisch und Schweinemast, Geflügel eben nicht, diese Offenlegung und Transparenzpflicht vorhanden ist. Und deshalb muss das dringend nachgeholt werden.

Ricke: Das will ja die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner von der CSU jetzt tun. Sie hat angekündigt, noch in dieser Woche einen Gesetzentwurf einzubringen, der den Einsatz von Antibiotika stark einschränkt. Hat sie demnach Ihre volle Unterstützung?

Remmel: Was diesen Teil angeht, ja. Es muss allerdings dann auch in aller Konsequenz gemacht werden, das heißt, eine umfängliche Transparenz hergestellt werden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen nachvollziehen können – und zwar stallscharf –, wo und wie Antibiotika gegeben werden. Antibiotika sind Medikamente und dürfen nur dann gegeben werden, wenn wirklich Krankheiten vorhanden sind. Wir haben allerdings die Befürchtung, dass Antibiotikagabe auch deshalb erfolgt, weil die Tiere eben die Haltungsbedingungen nicht aushalten und deshalb quasi präventiv mit Medikamenten versorgt werden müssen, weil sie sonst per se krank werden. Wir haben einfach festgestellt bei unseren Untersuchungen, 96 Prozent der Masthähnchen sind innerhalb ihrer kurzen Lebensdauer – 30 bis 35 Tage – mit Antibiotika in Berührung gekommen. Und das ist einfach erschreckend.

Ricke: Diese Zahlen, die Sie nennen, sind ja aus einer Studie, die Ihr Haus in Auftrag gegeben hat. Jetzt ohne die Tabellen vorzulesen: Wie gedopt sind die Tiere denn? Über diese 96 Prozent haben Sie ja schon gesprochen.

Remmel: Ja, man kann schon die Aussage treffen, dass eben fast 100 Prozent der Tiere mit Antibiotika in Berührung gekommen sind, und das eben nicht nur einmal und im Krankheitsfall, sondern über eine längere Dauer sind diese Medikamente dann in Abständen gegeben worden und teilweise sogar verschiedene Medikamente. Sodass entweder das seit 2006 geltende Verbot, dass Antibiotika nicht als Mastförderer gegeben werden dürfen, gebrochen worden ist, oder, wie gesagt, umgekehrt, die Haltungsbedingungen so schlecht sind, dass sie automatisch dazu führen, dass Tiere krank werden. Wir haben eben auch festgestellt, dass es Betriebe gibt, die ohne Antibiotika auskommen. Meistens sind es die Betriebe, die auf eine längere Mastdauer setzen und die in kleineren Gruppen halten. – Im Übrigen auch konventionelle Betriebe, nicht nur biologisch und ökologisch wirtschaftende Betriebe.

Ricke: Das sind jetzt Zahlen aus Nordrhein-Westfalen. Ist das ein regionales Problem oder würden Sie diese Zahlen bundesweit übertragen?

Remmel: Ich denke, dass diese Zahlen bundesweit übertragbar sind. Der Kollege in Niedersachsen hat ja zwar nicht so eine tiefgehende Studie gemacht, aber etwas breiter angelegt, auch andere Masttiere mit betrachtet. Beispielsweise bei Kälbern ist er zu der Erkenntnis gekommen, das 100 Prozent der Kälber in Kälbermast Antibiotika bekommen. Also, das ist ein Phänomen, was auch in anderen Bundesländern bundesweit in der Tiermast offensichtlich gang und gäbe ist.

Ricke: Weniger Antibiotika im Stall heißt mehr kranke Tiere oder eine längere Mastdauer, eine geringere Produktion. Und das wird auf jeden Fall zu höheren Preisen führen, ist das richtig?

Remmel: Ich will das nicht ausschließen. Wir haben eben auch in Nordrhein-Westfalen von den gut 950 Betrieben 18, 19 Betriebe identifizieren können, die ohne Antibiotika auskommen, und auch die verkaufen ihre Produkte am Markt. In der Tat etwas teurer, aber ich finde, das sollten uns unsere Lebensmittel und unsere Tiere und vor allem letztlich auch unsere eigene Gesundheit wert sein, weil, Antibiotikagabe heißt einfach, dass Multiresistenzen entstehen können. Und die sind auch gefährlich für die menschliche Gesundheit.

Ricke: Ist man angesichts eines europäisierten, ja, vielleicht sogar globalisierten Lebensmittelmarktes da überhaupt handlungsfähig auf nationaler Ebene? Ist das nicht eher ein Thema für die Europäische Union?

Remmel: Das mit Sicherheit. Das muss auch auf die Europäische Union transportiert werden. Und seit 2006 – das zeigt ja eben, dass es auch europäisch geregelt werden kann und muss –, ist es verboten, Antibiotika als Dauergabe einzusetzen. Meines Erachtens wird es an vielen Stellen aber umgangen.

Ricke: Was mache ich denn jetzt, wenn ich ein Hähnchen im Tiefkühlfach habe, das mir jetzt ein bisschen komisch vorkommt? Schmeiß ich es weg oder reicht es, es ordentlich durchzugrillen, damit diese möglicherweise darauf aufkommenden resistenten Keime abgetötet werden?

Remmel: Also, gut zu braten, zu kochen, ist immer ratsam. Aber das Problem ist, dass Sie diesem Fleisch das von außen eben nicht ansehen können. Und deshalb muss unser Ziel sein, letztlich in der Tiermast auf Antibiotika zu verzichten. Wir wollen eine antibiotikafreie Tiermast. Medikamente dürfen aus unserer Sicht – und ich finde, das ist eigentlich selbstverständlich – nur dann gegeben werden, wenn wirklich Krankheiten vorhanden sind.

Ricke: Johannes Remmel von den Bündnisgrünen. Er ist Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank, Herr Remmel!

Remmel: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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