Kritik an der Bilderberg-Konferenz

Politik hinter verschlossenen Türen

Protest gegen die Bilderberg-Konferenz in Tirol
Protest gegen die Bilderberg-Konferenz in Tirol © afp
Von Simone Miller  · 14.06.2015
Beim Bilderberg-Treffen kommen Spitzenvertreter aus Politik, Militär und Wirtschaft zusammen - ohne, dass die Öffentlichkeit Details erfährt. Solche informellen Konferenzen entmachten die Bürger und könnten aus Politik ein geheimes Spiel ohne Regeln machen.
Wer in unserer repräsentativen Demokratie tatsächlich den Hut auf hat – das Volk oder die gewählte Führung – darüber kann man streiten. Mit Blick nach Tirol kommt einem aber unweigerlich Joseph Schumpeters Elitetheorie in den Sinn.
Der hat die Demokratie in den 40er-Jahren als "klägliches Stecken im Sumpfe der Untermittelmäßigkeit" beschrieben und dafür plädiert, sie einfach abzuschaffen. Man solle sich zum Wohle der Gesellschaft eingestehen, dass der Otto Normal-Bürger völlig überfordert sei von seinen demokratischen Pflichten, schreibt er in seinem berühmt gewordenen Buch "Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie". Es sei zum Wohle aller, wenn die Masse eine Elite wähle, die die Geschicke der Gesellschaft eigenmächtig lenkt.
Schumpeters Elitetheorie hat viel Widerspruch hinnehmen müssen – zurecht: Man kann sich zum Beispiel fragen, wie ein Haufen Idioten, die Fähigkeit besitzen soll, kompetente Politiker zu wählen. Und natürlich auch, ob wir es wirklich mit einem Haufen Idioten zu tun haben, wenn wir über die Bürger eines Landes sprechen? Die repräsentative Demokratie musste letztlich nicht klein bei geben, Schumpeters Ideen sind nie Wirklichkeit geworden.
Bürger haben immer weniger Einfluss auf die Sphäre der Macht
Oder doch, aber nicht im Nationalstaat, sondern an ihm vorbei?
Je wichtiger überstaatliche Institutionen werden, desto weniger Einfluss haben Staatsbürger auf die Sphäre der Macht. Auf dem Bilderbergtreffen kommen Einhundertfünfzig Entscheidungsträger aus Politik, Militär, Wirtschaft und Finanzwelt zusammen – sie kommen aus aller Welt. Und sie werden wohl nicht nur das Tiroler Ambiente genießen, sondern vor allem politische Strategien entwerfen.
Institutionen wie das Bilderberg-Treffen drohen das Volk noch radikaler zu entmachten, als es Schumpeter je vor Augen hatte. Schumpeters Elite wäre nämlich zum einen gewählt und zum anderen frei von Privatinteressen. Die Bilderberger sind nicht gewählt und bündeln geradezu die mächtigsten Privatinteressen.
Dass dieses Jahr zum ersten Mal bekannt ist, wer am Treffen teilnimmt, ist nur ein schwacher Trost; einer der nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass diese Einrichtung jeglicher demokratischer Legitimation entbehrt.
Jürgen Habermas zufolge bezieht die Demokratie ihre Legitimität daraus, eine diskutierende Öffentlichkeit herzustellen. Nur sie ist der Ort, an dem sich ein vernünftiger politischer Wille bilden kann. Die Demokratie zieht ihre Kraft aus den Teilnahmerechten der Bürger. Und noch mehr: die öffentliche Diskussion macht aus Privatmenschen erst Bürger. Wenn die Politik ihre eigenen Bürger von genau dieser Praxis ausschließt, sägt sie an ihrem eigenen Ast.
Aber vielleicht ist der Baum der Volkssouveränität sowieso dabei zu verdorren; die politische Macht daran, ihre Gestalt zu verändern. Einem Baum gleich gewinnt der demokratische Nationalstaat seine Kraft nicht aus den Wipfeln, sondern aus den Wurzeln und sein Mächte-Gleichgewicht durch die ausgleichende Anordnung seiner Äste, der Institutionen.
Ein Spiel ohne Regeln
Wenn es um politische Macht geht, haben wir es heute aber vielleicht weniger mit einem Baum zu tun, als mit einer Ingwerwurzel, so wie der französische Philosoph Gilles Deleuze sie sich vorgestellt hat. Eine Ingwerknolle hat kein Zentrum, unter der Erde wächst sie wild in alle Richtungen und bleibt doch unsichtbar.
Wenn informelle Gremien wie die Bilderberg-Konferenz an Entscheidungsgewalt gewinnen, geht immer mehr politische Macht über an solche ingwerknollenartigen Netzwerke. Zwischen diesen "Knollenakteuren" gibt es keine Checks and Balances, also wechselseitige Kontrollen. Sie spielen vielmehr ein Spiel ohne Regeln. Deshalb spricht Zeitdiagnostiker Joseph Vogl auch nicht mehr von einem Souverän, sondern von einem "Souveränitätseffekt". Die Steuerung demokratischer Nationalstaaten werde mehr und mehr zum Effekt eines unkontrollierten Zusammenspiels von global angeordneten Akteuren.
Und so steht der entmachtete Volkssouverän, seinen Hut in der Hand, vor der schmucken Fassade des Tiroler Interalpen-Hotels und wird zum melancholischen Beobachter des Unbeobachtbaren. Die Zeitungen von morgen in der Hand kann er sich dann fragen, ob das Ereignis von heute ein Effekt des Treffens von gestern ist. Doch diese Frage wird unbeantwortet bleiben. Die Regierenden müssen aufpassen, dass man nicht bald auch vom "Politik-Effekt" spricht.
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