Kommentar zum Papst-Rückritt

"Joseph Ratzinger hat ein massives Rollenproblem"

04:10 Minuten
Papst Franziskus (rechts) beim Treffen mit seinem emeritierten Vorgänger Benedikt XVI (links).
Papst Franziskus beim Treffen mit seinem emeritierten Vorgänger Benedikt XVI. © picture alliance / abaca
Von Jan-Christoph Kitzler · 19.01.2020
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Ein Text des zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI sorgt derzeit für Aufruhr in der katholischen Kirche: Er wird als Affront gegen den amtierenden Papst Franziskus verstanden, meint der langjährige Vatikankorrespondent Jan-Christoph Kitzler.
Eigentlich hatte ich das mal für eine gute Idee gehalten: Ein Papst tritt zurück wenn er spürt, dass er nicht mehr die Kraft hat, sein Amt auszuüben. So weit, so menschlich. Und weil es das jahrhundertelang nicht gegeben hatte, hatte dieser Schritt von Joseph Ratzinger, alias Benedikt XVI., im Februar 2013 historische Größe.
Doch danach begannen die Probleme: Die Ankündigung Benedikts, er werde von nun an "für die Welt verborgen" leben, klang ja auch noch ganz vernünftig. Leider nur wurde diese Ankündigung nie wahr gemacht.

Ganz konnte er vom Amt nicht lassen

Schon als Benedikt und seine Entourage damals, in den ersten Wochen nach dem Rücktritt, die Äußerlichkeiten regelten, hätten einem Zweifel kommen können: "Papa emeritus" wollte der Alt-Papst fortan genannt werden, gerne auch mit der Anrede "Eure Heiligkeit". Das weiße Gewand, das Markenzeichen schlechthin für den Pontifex, wollte Benedikt auch nicht ablegen. Und dann faselte Erzbischof Georg Gänswein, sein engster Mitarbeiter, auch noch etwas von einem "erweiterten Papstamt – mit einem aktiven und einem kontemplativen Teilhaber". So als ob es ein Papstamt mit zwei Körpern gäbe – oder eben doch noch zwei Päpste.
Die Wahrheit ist: dieser "kontemplative Teilhaber", wenn man ihn denn so nennen will, macht seinem Nachfolger Franziskus als eine Art Nebenpapst das Leben schwer. Denn es ist nicht bei der stillen Kontemplation geblieben. 2016 zum Beispiel erschien ein Buch von ihm mit dem Titel "Letzte Gespräche". Es waren natürlich nicht die letzten.

Mit steilen Thesen gegen Franziskus

Mal hielt er eine öffentliche Rede oder schrieb einen Text. Und immer erregten seine Worte Aufsehen. Viele schauten ganz genau hin, wie der alte Papst zum neuen steht und wie es um die theologische Kontinuität steht. Da gab es viel an Interpretationsstoff. Und einige der Texte von Benedikt gehen ja auch ans Eingemachte: So wagte er die steile These, dass die Lockerung der Moral durch die 68er in Wahrheit für die vielen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche mitverantwortlich sei.
Und jetzt äußert er sich zum Thema Zölibat – das in der katholischen Kirche ein Minenfeld ist, man kann es nicht anders sagen. Das Timing ist gut gewählt: Denn es wird ein Text von Papst Franziskus erwartet, indem er zum Zölibat Stellung nimmt – da grätscht ihm der Alt-Papst rein.
Mal abgesehen davon, was man inhaltlich davon hält, muss man feststellen, dass Joseph Ratzinger ein massives Rollenproblem hat.

Benedikt weiß, was er tut

Nun könnte man ihm zugutehalten, dass er 92 Jahre alt ist, dass viele der Ultrakonservativen an der römischen Kurie und außerhalb, denen die mitunter eher liberalen Töne von Papst Franziskus zu weit gehen, sich nur zu gerne auf den "Papa emeritus" berufen, ihn für ihre Sache, für die "reine Lehre" einspannen.
Aber das muss er ja nicht mitmachen.
Ein bebrillter Mann in Hemd und Sakko steht vor einem weißen Hintergrund und lächelt in die Kamera.
Der ehemalige Vatikan-Korrespondent Jan-Christoph Kitzler kritisiert die Rolle, die Joseph Ratzinger seit seinem Rücktritt spielt.© Deutschlandradio/Kruppa
Die regelmäßigen Besucher, die Benedikt empfängt, berichten, er sei körperlich schwach, aber geistig noch voll da. Man muss also davon ausgehen, er weiß, was er da tut.
Von Joseph Ratzinger heißt es ja immer, er sei ein brillanter Theologe, ein messerscharfer Denker. Insofern darf man ihm in seinen Äußerungen schon eine gewisse Absicht unterstellen.
Und Ratzinger weiß natürlich auch, was die wichtigste Aufgabe eines Papstes ist, nämlich die Herde zusammen zu halten, für die Einheit der Kirche zu sorgen.
Mit seinem Verhalten aber tut er das Gegenteil: Er schadet seinem Nachfolger und trägt zur Spaltung der katholischen Kirche bei.
Vielleicht war sein Rücktritt – so gesehen – doch keine gute Idee.
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