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Griechenland
Führende Neonazis vor Gericht

In Athen beginnt heute der Prozess gegen 69 Mitglieder der Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte", unter ihnen die Parteispitze. Zu den Anklagepunkten gehören Totschlag, Körperverletzung und illegaler Waffenbesitz. Dass viele Mitglieder gewalttätig sind, ist seit Jahren bekannt - verbieten lässt sich die Partei jedoch nicht.

Von Thomas Bormann | 20.04.2015
    Nikolaos Michaloliakos, Parteichef der "Goldenen Morgenröte" (rechts) steht mit anderen Parteimitgliedern im griechischen Parlament, die rechten Hände in die Höhe gestreckt.
    Nikolaos Michaloliakos, Parteichef der "Goldenen Morgenröte" (rechts) mit anderen Parteimitgliedern im griechischen Parlament. (YANNIS KOLESIDIS / POOL / AFP)
    "Aus dem Weg, aus dem Weg", ruft ein Ordner, als Parteichef Nikolaos Michaloliakos vor vier Wochen aus der Haft freikommt. Vor dem Gefängnis-Tor stehen seine Anhänger Spalier und jubeln ihm zu:
    "Blut, Ehre, Goldene Morgenröte", rufen sie.
    18 Monate lang hatte Parteichef Michaloliakos in Untersuchungshaft gesessen. Dann musste er freigelassen werden, weil nach den griechischen Gesetzen Untersuchungshaft nicht länger als 18 Monate dauern darf. Der Prozess beginnt aber erst heute, 19 Monate nach der ersten Verhaftung von Parteichef Michaloliakos.
    Er soll mit verantwortlich sein für den Mord an einem Rap-Musiker aus der linken Szene, so heißt es in der Anklageschrift; Schlägertrupps seiner Partei sollen zudem einen pakistanischen Einwanderer getötet haben.
    Warum kann man eine solch gewalttätige Neonazi-Partei nicht einfach verbieten, fragen viele Griechen?
    "Nach dem griechischen Gesetz gibt es keine Möglichkeit für ein Parteiverbot",
    sagt der Athener Strafrechtsprofessor Christos Mylonopoulos:
    "Es gibt nur die strafrechtliche Haftung bestimmter Individuen."
    Die griechische Justiz hat aus den Reihen der Partei "Goldene Morgenröte" insgesamt 69 Personen ermittelt, die für eine ganze Reihe von Verbrechen strafrechtlich haftbar sein sollen:
    Totschlag, Körperverletzung, Nötigung, illegaler Waffenbesitz - und:
    Bildung einer kriminellen Vereinigung.
    Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Stathis Boukouras zum Beispiel soll Waffen für seine Partei gelagert haben; er soll Überfälle gegen Einwanderer organisiert und Schutzgeld erpresst haben.
    Im griechischen Parlament aber nutzte er seinen letzten Auftritt, um sich als Märtyrer zu präsentieren. Schluchzend rief er:
    "Was soll ich denn verbrochen haben", fragt er mit verzweifelter Stimme. "Ich bin doch kein Faschist, kein Nazi. Ich bin ein griechischer Patriot. Ich leide für mein Vaterland, ich werde weiter für mein Vaterland kämpfen."
    Drittstärkste Kraft im Parlament
    Ähnlich wird er sich vermutlich vor Gericht verteidigen. Die Staatsanwälte aber meinen, sie hätten genug Beweise, dass der Ex-Abgeordnete Boukouras wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt werden kann. Ihm und den anderen Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft.
    Dass viele Parteimitglieder der "Goldenen Morgenröte" gewalttätig sind, ist seit Jahren bekannt. Schlägertrupps, die in schwarzen T-Shirt und Jacken durch Straßen patrouillieren sind berüchtigt für ihre Übergriffe gegen Ausländer. Die Partei verspricht ihren Wählern einfache Lösungen, nämlich:
    Werft alle Ausländer raus und die korrupten Politiker gleich mit - dann werde es den Griechen wieder gut gehen. Parteichef Michaloliakos hat gefordert, um Griechenland herum einen Zaun zu bauen und dort künftig auf alle illegalen Einwanderer zu schießen.
    Bei vielen griechischen Wählern, die durch die Wirtschaftskrise alles verloren haben, kommen solche Parolen tatsächlich an. Zudem hat die "Goldene Morgenröte" in Armenvierteln regelmäßig kostenlose Mahlzeiten verteilt, allerdings mussten die Empfänger mit ihrem Ausweis beweisen, dass sie Griechen sind. Ausländer bekamen nichts.
    Bei den Wahlen vor einem Vierteljahr erzielte die "Goldene Morgenröte" trotz all der Skandale und Vorwürfe 6,3 Prozent der Stimmen und wurde damit zur drittstärksten Kraft im griechischen Parlament. Professor Mylonopoulos ist skeptisch, ob der heute beginnende Prozess die "Goldene Morgenröte" schwächen wird, denn:
    "Die Verarmung, die Misere, unter der man leidet heute, hat viele Leute zu extremen Auswegen geführt."
    Der Athener Strafrechtsprofessor geht wie die meisten Griechen davon aus, dass die Neonazis von der "Goldenen Morgenröte" erst dann wieder von der Bildfläche verschwinden werden, wenn die tiefe Wirtschaftskrise in Griechenland überwunden ist.