Kritik am documenta-Aufsichtsrat

"Ein bisschen mehr Demut"

Auf einem Hügel steht ein aus Büchern zusammengesetzter Parthenon nach dem Vorbild des Parthenon auf der Athener Akropolis.
Das "Parthenon der Bücher" von Marta Minujín auf der documenta in Kassel. © Christel Boßbach
Carsten Probst im Gespräch mit Moderatorin Andrea Gerk · 15.01.2018
Museumsdirektoren, Kuratoren und Künstler machen sich Sorgen um die Zukunft der documenta. In einem offenen Brief an den Aufsichtsrat nehmen die Unterzeichner die Geschäftsführerin Annette Kulenkampff in Schutz und fordern die Installierung eines internationalen Expertenbeirats.
Zu den 135 Unterzeichnern des offenen Briefs an den documenta-Aufsichtsrat gehören Filmemacher Alexander Kluge, Volksbühnen-Chef Chris Dercon oder die ehemalige documenta-Kuratorin Ruth Noack. In dem Schreiben heißt es, dass das Ausscheiden von Geschäftsführerin Annette Kulenkampff zum 1. Juni ein Bauernopfer darstelle. An dem documenta-Defizit von 5,4 Millionen sei sie nicht alleine Schuld.
Kunstkritiker Carsten Probst sagt er könne auch nicht erkennen, dass der Weggang von Kulenkampff "einen Vorteil in der Sache bringen würde."
"Es wirkt so (...), als würde die Managerin der Kasseler Müllabfuhr wegen Untreue und Misswirtschaft geschasst", so Probst.
Er finde es zutiefst beunruhigend, dass solche "kommunalpolitischen Erwägungen" bei Entscheidungen über die zentralen Personalfragen bei der documenta "die Oberhand bekommen".

Kassel und Hessen profitieren enorm von der documenta

"Die Stadt Kassel tut ja gerade so, als sei sie die Erfinderin der documenta.", so Probst weiter. In Wirklichkeit sei es aber umgekehrt: Die Stadt Kassel und das Land Hessen könnten sich glücklich schätzen die documenta zu haben. Sie hätten sie von sich aus nicht zustandebringen können und profitierten auf eine völlig unersetzliche Art und Weise von ihr. Deswegen stünde den Lokalpolitikern ein bisschen mehr Demut gut an.
Allerdings halte er die im offenen Brief erwähnte drohende Kommerzialisierung für das schwächste Argument, denn: "Durchkommerzialisiert ist die documenta doch schon lange." Die Rede von der angeblich so marktfernen Kunst, die dort immer zu sehen sei "hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren imer etwas von Koketterie gehabt", meint Probst.

Debatte über die Zukunft der documenta ist überfällig

Die documenta sei mit der Zeit immer "touristischer" und "Massenereignis-hafter" geworden und die Debatte um ihre Zukunft sei schon überfällig.
"Dass die Stadt Kassel offenbar inzwischen glaubt, es gäbe ein Grundrecht auf immer weiter steigende Besucherzahlen und Einnahmeüberschüsse zeigt ja nur wie überfällig diese Debatte ist.", sagt Probst. Leider komme diese Debatte aber gefühlte zehn bis fünfzehn Jahre zu spät.
"Wenn der documenta das Recht abgesprochen wird 'zu scheitern', und meinetwegen auch mal die Besucherzahlen zu halbieren, also wenn sie nur noch als wirtschaftliches Erfolgsmodell herhalten soll, ist sie programmatisch gestorben.", urteilt Probst.
Desweiteren mache die Forderung eines internationalen Expertenbeirats nur Sinn, wenn man im Aufsichtsrat auch gewillt sei diesen Experten zuzuhören: "Ansonsten sind diese Beiräte auch ganz schnell wieder weg, weil sie keine Lust haben auf die Ignoranz von Provinz-Politikern."

Kunst muss wieder in den Vordergrund gerückt werden

Auch der Forderung Annette Kulenkampff weiter zu beschäftigen würde er sich anschließen. Er halte dies aber zum jetzigen Zeitpunkt für unwahrscheinlich. Die Kern-Forderung sei ja eigentlich ganz einfach: Man solle die documenta frei lassen, ihr auch mal erlauben einen Verlust zu machen und die Sache wieder in den Vordergrund rücken, nämlich die Kunst und nicht das Geld.
Abschließend rechnet Kritiker Carsten Probst damit, dass der offene Brief nicht ausreichen werde und man wahrscheinlich sogar die Bildung einer neuen Bundesregierung abwarten müsse bis die Existenzgrundlage der documenta gesichert sei.
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